Arbeitsrecht20.03.2023 Newsletter

Fokus Arbeitsrecht 1. Quartal 2023

Die Entscheidung des BAG zur Arbeitszeiterfassung hat in der betrieblichen Praxis für viel Aufsehen und Fragen gesorgt.Seit September 2022 warten Unternehmen nun mit Spannung auf eine Reaktion des Gesetzgebers. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte für das erste Quartal 2023 die Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland angekündigt. Erfolgt ist dies bislang noch nicht. Selbstverständlich halten wir Sie dazu auf dem Laufenden.

Ähnlich lebhaft wie die Entscheidung des BAG zur Arbeitszeiterfassung wurde in der Arbeitswelt jüngst auch das Urteil des höchsten deutschen Arbeitsgerichts zur Entgeltgleichheit von Männern und Frauen aufgenommen. Dieses und weitere wichtige Urteile finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Fokus Arbeitsrecht, ebenso wie

  • ein Update zum aktuellen Stand des Hinweisgeberschutzgesetzes,
  • zur gesetzlichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung von Unternehmen sowie
  • zum Dauerbrenner „Workation“.

Schließlich freuen wir uns, Sie auf unsere neue Webseminar-Reihe „Fokus Arbeitsrecht – LIVE!“ hinzuweisen, mit der wir zukünftig einmal im Quartal aktuelle arbeitsrechtliche Themen aufgreifen und Ihnen die wichtigsten Aspekte kurz und präzise virtuell vorstellen.

1. Neue Rechtsprechung

1.1 Equal Pay: Verhandlungsgeschick rechtfertigt keine Ungleichbehandlung

1.2 Neues zum Urlaubsrecht, Teil 1: Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen

1.3 Neues zum Urlaubsrecht, Teil 2: Urlaubsabgeltung und tarifliche Ausschlussfristen

1.4 Keine „Heilung“ einer unterbliebenen oder fehlerhaften Betriebsratsbeteiligung

1.5 Wirksamkeit von Hypotax-Vereinbarungen bei vorübergehender Auslandsentsendung

1.6 Isolierter Gewinnabführungsvertrag führt nicht zu einem Berechnungsdurchgriff bei Betriebsrentenanpassung

1.7 Betriebsvereinbarungsoffener Arbeitsvertrag: Änderung durch Betriebsvereinbarung zum Nachteil des Arbeitnehmers möglich

1.8 Keine Unwirksamkeit einer Kündigung bei fehlendem Hinweis auf § 4 KSchG

1.9 (Zusätzliche) Sozialplanabfindung für Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung – Verstoß der Höchstbetragsregelung gegen Gleichbehandlungsgrundsatz

1.10 Pauschale Abfindungskürzung für rentennahe Jahrgänge in Sozialplan zulässig

1.11 Neues zur Mitbestimmung bei (privater) Nutzung von Dienstwagen

1.12 Verpflichtende Nutzung von DV-Systemen durch den Betriebsrat

1.13 Berücksichtigung der Rentennähe in der Sozialauswahl

2. Rechtsentwicklungen

2.1 Mitbestimmungsrechte kennen (nahezu) keine Grenzen

2.2 Update zum Hinweisgeberschutzgesetz

2.3 Dauerbrenner Workation

3. Fokus Arbeitsrecht – LIVE! 

 

1. Neue Rechtsprechung

1.1 Equal Pay: Verhandlungsgeschick rechtfertigt keine Ungleichbehandlung

Eine Frau hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Das Argument, der männliche Kollege habe „besser verhandelt“, zählt nicht – so das BAG mit Urteil vom 16.02.2023 (Az. 8 AZR 450/21).  

Ziel des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) ist es, das Gebot des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen.

Bereits im Jahr 2021 entschied das BAG (Az. 8 AZR 488/19), dass eine geschlechterspezifische Benachteiligung nach dem AGG vermutet wird, wenn eine Beschäftigte für die gleiche Arbeit ein geringeres Grundentgelt erhält, als ihre männlichen Kollegen. Möchte der Arbeitgeber diese Vermutung widerlegen, so trägt er die volle Beweislast nach § 22 AGG, dass die unterschiedliche Vergütung durch objektive Kriterien gerechtfertigt und nicht geschlechterspezifisch bedingt ist. 

Im nun entschiedenen Fall erhielt die Klägerin ebenfalls ein geringeres Entgelt als zwei ihrer männlichen Kollegen, die unstreitig die gleiche bzw. gleichwertige Arbeit erbrachten. Die Klägerin war der Ansicht, die beklagte Arbeitgeberin schulde ihr ein ebenso hohes Grundentgelt wie dem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Die geringere Entlohnung diskriminiere sie wegen ihres Geschlechts. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin von ihrer (ehemaligen) Arbeitgeberin die Zahlung rückständiger Differenzvergütung und eine Entschädigungszahlung wegen geschlechterspezifischer Diskriminierung.

Die Beklagte berief sich auf die Vertragsfreiheit und begründete die ungleiche Vergütung mit dem Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen, der bei seiner Einstellung ein höheres Entgelt ausgehandelt hatte.

Das BAG erteilte diesem Argument eine klare Absage und gab der Klage überwiegend statt. Die Klägerin habe einen Anspruch nach Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege. Neben der Differenzvergütung sprach es der Klägerin zudem eine Entschädigung nach dem AGG wegen erlittener Geschlechterdiskriminierung zu. Damit stärkt das BAG angesichts des noch immer bestehenden Gender-Pay-Gap erneut die Rechte von Frauen auf gleiches Entgelt. Da bisher lediglich die Pressemitteilung vorliegt, werden die Entscheidungsgründe mit Spannung erwartet.

Fazit: Die Entscheidung ist praktisch enorm relevant. Arbeitgeber werden sich vermehrt Auskunftsansprüchen nach dem EntgTranspG und – bei bestehendem Gender-Pay-Gap – Entgeltklagen ausgesetzt sehen. Zwar sind unterschiedliche Gehälter weiterhin möglich; für deren Rechtfertigung bedarf es jedoch objektiver und insbesondere geschlechtsneutraler Kriterien. Aus Compliance-Sicht ist Arbeitgebern daher zu raten:

  • Die objektiven Gründe wie Berufserfahrung, Qualifikation oder Soft-Skills der Vergütungsentscheidung sollten genau dokumentiert werden, um im Streitfall geschlechterneutrale Gründe prozessual darlegen zu können.
  • Ferner empfiehlt es sich, ein objektives und transparentes Vergütungssystem einzuführen, etwa mit Gehaltsbändern.

Dr. Johannes Kaesbach

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1.2 Neues zum Urlaubsrecht, Teil 1: Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen

Nachdem das BAG bereits im vergangenen Jahr wegweisend zu Verfall und Verjährung von Urlaubsansprüchen entschieden hat, äußerte es sich nun zur Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen (BAG vom 31.01.2023 – 9 AZR 456/20). Die Karlsruher Richter stellten klar, dass Ansprüche auf Urlaubsabgeltung der allgemeinen dreijährigen Verjährungsfrist unterliegen – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hat. Für den Beginn der Verjährungsfrist können sich allerdings im Einzelfall Besonderheiten ergeben.

Der Kläger war bei der Beklagten von Juni 2010 bis Oktober 2015 beschäftigt, ohne dass ihm in diesem Zeitraum sein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen gewährt wurde. Die Beklagte hatte den Kläger im laufenden Arbeitsverhältnis nicht auf den drohenden Verfall des Urlaubs zum Jahresende hingewiesen. Mit seiner im August 2019 erhobenen Klage verlangte der Kläger Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.

Während die Vorinstanzen die Klage abwiesen, hatte der Kläger mit seiner Klage beim BAG überwiegend Erfolg – das BAG sprach diesem für vier der fünf Beschäftigungsjahre insgesamt 37.416 Euro zu. Zwar teilte das BAG erfreulicherweise die Ansicht, dass der gesetzliche Anspruch auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen aus beendeten Arbeitsverhältnissen als reiner Geldanspruch der dreijährigen Verjährungsfrist unterfallen. Denn anders als der Urlaubsanspruch selbst, diene der Abgeltungsanspruch nicht dem Erholungszweck der Mitarbeitenden, sondern sei lediglich auf die finanzielle Kompensation beschränkt. Die besondere Schutzbedürftigkeit von Mitarbeitenden bei der Inanspruchnahme von Urlaubsansprüchen ende mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die dreijährige Verjährungsfrist beginne daher i. d. R. mit dem Ende des Jahres, in dem der Mitarbeitende aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, auch wenn der Arbeitgeber seine urlaubsrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten zuvor nicht erfüllt hat.

Hinsichtlich des Beginns der Verjährung ergibt sich allerdings eine Besonderheit für Abgeltungsansprüche, die vor dem Urteil des EuGH vom 06.11.2018 entstanden sind. Erst mit diesem Grundsatzurteil hatte der EuGH neue Regeln für den Verfall von Urlaubsansprüchen aufgestellt, so dass der Kläger erst ab diesem Zeitpunkt gehalten gewesen sei, seinen Abgeltungsanspruch gerichtlich durchzusetzen. Da die Urlaubsabgeltungsansprüche für die Jahre 2010–2014 zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt waren, es dem Kläger aber nicht zumutbar gewesen sei, diese bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einzuklagen, sprach ihm das BAG einen Abgeltungsanspruch zu. Demgegenüber sei der Abgeltungsanspruch aus 2015 verjährt.

Mit wenig nachvollziehbarer Argumentation schafft das höchste deutsche Arbeitsgericht den Arbeitnehmern einen nie da gewesenen besonderen Vertrauensschutz, den es der Arbeitgeberseite im Zuge des EuGH-Urteils aus November 2018 zuvor nicht gewährt hatte. Und das, obwohl die daraus resultierende Rechtsprechungsänderung zu den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers auch für diesen ein absolutes Novum darstellte.

Die Klarstellung zur Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen ist zwar grundsätzlich sehr zu begrüßen. Allerdings bleibt nach der Entscheidung unklar, ob Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor der Bekanntgabe des EuGH-Urteils im November 2018 endete, heute immer noch Urlaubsabgeltungsansprüche aus den Jahren 2014 und früher geltend machen können. Dies dürfte zu verneinen sein, da nach der Denke des BAG eine Geltendmachung spätestens 2018 zumutbar gewesen wäre und somit etwaige Abgeltungsansprüche längst verjährt sein sollten.     

Jennifer Bold

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1.3 Neues zum Urlaubsrecht, Teil 2: Urlaubsabgeltung und tarifliche Ausschlussfristen

Mit einem weiteren Urteil vom 31.01.2023 (Az. 9 AZR 244/20) entschied das BAG erstmalig zum Verfall von Urlaubsabgeltungsansprüchen aufgrund tarifvertraglicher Ausschlussfristen. Demnach kann die Abgeltung von Urlaubsansprüchen aufgrund einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Endete jedoch das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018 (C 684/16) zu den Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers, beginnt die tarifvertragliche Ausschlussfrist erst mit der Bekanntgabe des EuGH-Urteils zu laufen.

Der Kläger war seit April 2007 bei der Beklagten, einem Zeitungsverlag, beschäftigt. Nicht erfüllte arbeitsvertragliche Ansprüche waren nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Manteltarifvertrag innerhalb einer Ausschlussfrist drei Monaten ab Fälligkeit geltend zu machen. Im Zeitraum vom April 2007 bis Juni 2010 erhielt der Kläger keinen Erholungsurlaub. Das Arbeitsverhältnis endete im September 2014, im August 2018 forderte der Kläger die Beklagte zur Abgeltung von insgesamt 65 Urlaubstagen resultierend aus den Jahren 2007 bis 2010 auf. Die Forderung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass ein etwaiger Anspruch des Klägers aus dieser Zeit verfallen und verjährt sei. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

Das BAG stellte in seiner Entscheidung, die derzeit nur als Pressemitteilung vorliegt, fest, dass der Anspruch auf Abgeltung nicht genommener Urlaubstage nach ständiger Rechtsprechung als reiner Geldanspruch tarifvertraglichen Ausschlussfristen unterliege. Denn der Abgeltungsanspruch diene nicht mehr der Gesundheit, sondern lediglich der finanziellen Kompensation, sodass die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ende. Dem Kläger sei es jedoch erst mit Bekanntgabe der EuGH-Entscheidung vom 06.11.2018 zumutbar gewesen, die Urlaubsabgeltung auch zu verlangen. Zuvor habe der Kläger aufgrund der damals geltenden gegenläufigen Rechtsprechung davon ausgehen müssen, dass die Urlaubsansprüche unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten bereits verjährt seien und eine Abgeltung nicht in Betracht komme.

Das Urteil des BAG steht im Einklang mit der am selben Tag entschiedenen zuvor dargestellten Rechtssache zur Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen. Der besondere Vertrauensschutz der Arbeitnehmer müsste aber auch hier allenfalls noch für rechtshängige Gerichtsfälle von Relevanz sein. Eine neue Klagewelle ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten, da Ausschlussfristen inzwischen abgelaufen sind und Urlaubsabgeltungsansprüche, die vor Bekanntgabe der EuGH-Entscheidung aus November 2018 entstanden sind, bereits verjährt sein dürften. 

Cornelia-Cristina Scupra

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1.4 Keine „Heilung“ einer unterbliebenen oder fehlerhaften Betriebsratsbeteiligung

Hat das Unternehmen einen Arbeitnehmer ohne Beteiligung des Betriebsrats versetzt, muss es diese personelle Einzelmaßnahme zunächst faktisch rückgängig machen. Nicht ausreichend ist die bloße Mitteilung an den Betriebsrat, dass die (mitbestimmungswidrige) Versetzung zurückgenommen werde. Der Einsatz des betroffenen Arbeitnehmers muss bis zur Einleitung eines ordnungsgemäßen Beteiligungsverfahrens vielmehr tatsächlich unterbleiben.

Das Unternehmen hatte im Mai 2018 einem Mitarbeiter die Stelle eines Abteilungsleiters zugewiesen, ohne zuvor den Betriebsrat zu beteiligen. Der Betriebsrat verlangte daraufhin die Aufhebung der Maßnahme wegen Verstoßes gegen § 99 Abs. 1 BetrVG. Im anschließenden Gerichtsverfahren erklärte das Unternehmen im Januar 2020, dass es die Versetzung zurücknehmen werde und das Gerichtsverfahren erledigt sei. Noch am gleichen Tag bat der Arbeitgeber den Betriebsrat um Zustimmung zur beabsichtigten erneuten Versetzung des Mitarbeiters und teilte mit, diese Versetzung als vorläufige Maßnahme durchzuführen. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung.

Im Zustimmungsersetzungsverfahren machte das Unternehmen geltend, dass es sich bei der Versetzung im Januar 2020 um eine andere personelle Maßnahme als im Mai 2018 gehandelt habe.

Dieser Auffassung schloss sich das BAG nicht an, sondern bewertete das Zustimmungsersuchen aus Januar 2020 als nicht ordnungsgemäß (Beschluss vom 11.10.2022 – 1 ABR 18/21). Die Beteiligung des Betriebsrates sei vorliegend nicht „vor“ der personellen Maßnahme erfolgt. Dies setze voraus, dass zum Zeitpunkt der Beteiligung noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden sei. Eine Beteiligung, die erst nach der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches erfolge, sei nicht fristgerecht und daher nicht ordnungsgemäß i. S. d. § 99 Abs. 1 BetrVG. Eine „erneute“ Versetzung liege nämlich nicht vor.

Durch die Mitteilung des Unternehmens, es nehme die (alte) personelle Einzelmaßnahme zurück und führe die neue aus Januar 2020 bis zur Zustimmung des Betriebsrats als vorläufige Maßnahme durch, habe das Unternehmen die Versetzung aus Mai 2018 gerade nicht aufgehoben. Zur Aufhebung der vorherigen Maßnahme hätte der Einsatz des betroffenen Arbeitnehmers zumindest vorübergehend bis zur Einleitung eines etwaigen neuen Beteiligungsverfahrens faktisch unterbleiben müssen. Tatsächlich aber habe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer seit Mai 2018 ununterbrochen auf der Stelle beschäftigt.

Die „Heilung“ einer mitbestimmungswidrigen Versetzung kann also nicht lediglich „auf dem Papier“ erfolgen, indem der Arbeitgeber die fehlerhaft unterbliebene Beteiligung des Betriebsrates gemäß § 99 BetrVG nachholt. Vielmehr muss daneben auch rein tatsächlich die personelle Maßnahme aufgehoben worden sein und eine faktische Unterbrechung der Beschäftigung der oder des betreffenden Mitarbeitenden erfolgen.  Dies gilt in gleicher Weise für Einstellungen, die aus welchen Gründen auch immer ohne Beteiligung des Betriebsrates erfolgt sind.

Vorzugswürdig dürfte es daher zur Vermeidung sowohl von operativen Störungen, als auch von zeitlichen Verzögerungen sein, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates ordnungsgemäß zu berücksichtigen – zumal mit der Möglichkeit einer vorläufigen personellen Maßnahme nach § 100 BetrVG dem Arbeitgeber ein Mittel zum kurzfristigen Einsatz dringend benötigter Arbeitskräfte zur Verfügung steht. 

Kathrin Vossen 

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1.5 Wirksamkeit von Hypotax-Vereinbarungen bei vorübergehender Auslandsentsendung

Bei Entsendevereinbarungen können die Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich Steuerausgleichsvereinbarungen zulasten von Mitarbeitenden treffen (BAG vom 07.09.2022 – 5 AZR 128/22). Tarifgebundene Unternehmen können allerdings nicht aufatmen, da bei einer beidseitigen Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien entsprechende, als Nettolohnvereinbarungen besonderer Art zu wertende Regelungen, unwirksam sind, wenn sie mit tarifvertraglichen Vorschriften kollidieren.  

Ein seit 2002 bei einem tarifgebundenen Unternehmen in der Metallindustrie beschäftigter Mitarbeiter wurde aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel nach den maßgeblichen Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie vergütet. Ab 2018 war er selber gewerkschaftlich organisiert, sodass die Tarifbindung nunmehr beidseitig galt. Von 2017 bis 2019 entsandte das Unternehmen den Mitarbeitenden nach Frankreich. In dem zwischen den Parteien geschlossenen Entsendevertrag vereinbarten die Parteien für die Dauer der Entsendung u. a. das sog. „Tax Equalization Prinzip“. Bei dieser Art von Steuerausgleich übernimmt der Arbeitgeber die im Ausland anfallenden Steuern und zieht vom Bruttogehalt des Mitarbeitenden eine hypothetische, aber tatsächlich nicht abzuführende, deutsche Lohnsteuer (sog. Hypertax) ab. Mit seiner Klage begehrte der Kläger die nach seiner Auffassung zu Unrecht einbehaltenen Beträge vom Unternehmen.

Das BAG gab dem Kläger teilweise recht und urteilte, dass bis zum Eintritt der beidseitigen Tarifbindung der Kläger auch eine für ihn nachteilige Steuerausgleichsvereinbarung gegen sich gelten lassen muss. Mit Beginn der gewerkschaftlichen Mitgliedschaft konnte der tariflich festgelegte Bruttolohn jedoch nicht länger aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung unterschritten werden. Der Einbehalt der hypothetisch in Deutschland abzuführenden Lohnsteuer führe gerade nicht zur Erfüllung des tarifvertraglich geregelten Bruttoentgeltanspruchs des Klägers. Die Vereinbarung zum Steuerausgleichsverfahren sei eine Nettolohnvereinbarungen besonderer Art, die nicht mit § 4 Abs. 3 TVG vereinbar sei. Bei einer beidseitigen Tarifbindung läge eine unzulässige Unterschreitung des Bruttogehalts vor, sodass dem Kläger die ab 2018 zu Unrecht einbehaltenen Beträge auszuzahlen waren.

Ist die Erbringung der Arbeitsleistung eines entsandten Mitarbeitenden im Ausland vorübergehend, d.h. nicht auf Dauer angelegt, unterliegt das Arbeitsverhältnis auch während der Entsendung deutschen Rechts. Damit sind auch tarifvertragliche Vorschriften weiter anwendbar. Werden Mitarbeitende länger als 183 Kalendertage von ihrem Unternehmen zur Arbeitsleistung ins Ausland entsandt, führt dies regelmäßig zu einer Lohnsteuerpflicht des Mitarbeitenden im Ausland.

Entsendevereinbarungen zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen können zwar weiterhin für den Auslandseinsatz steuerliche Ausgleichsregelungen vorsehen, die die Mitarbeitenden grundsätzlich gegen sich gelten lassen müssen. Für tarifgebundene Arbeitgeber ist allerdings aufgrund der Fortgeltung deutschen Rechts besondere Vorsicht geboten: Ist auch der Mitarbeitende gewerkschaftlich organisiert, gehen tarifvertragliche Regelungen den Regelungen des Entsendevertrages vor, sodass es zu weiteren Zahlungen an den Arbeitnehmer trotz entsprechender Vertragsabreden kommen kann. In erster Linie tarifgebundene Unternehmen sollten daher ihre ggf. übliche Steuerausgleichspraxis bei Entsendungen prüfen. 

Alexandra Groth

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1.6 Isolierter Gewinnabführungsvertrag führt nicht zu einem Berechnungsdurchgriff bei Betriebsrentenanpassung

Ein bestehender isolierter Gewinnabführungsvertrag rechtfertigt im Rahmen der Anpassungsprüfung und -entscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG keinen Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage der herrschenden Gesellschaft. Maßgeblich für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Versorgungsschuldners ist nach der Entscheidung des BAG vom 15.11.2022 – 3 AZR 505/21 auch in diesen Fällen alleine die wirtschaftliche Entwicklung des Versorgungsschuldners selbst.

Die Parteien stritten über die Anpassung der Betriebsrente des Klägers zum 01.01.2019. Der Kläger bezieht eine Betriebsrente i. H. v. 6.754,39 € monatlich, welche zuletzt Anfang 2016 angepasst wurde. 2016 schloss die Beklagte mit dem sie beherrschenden Unternehmen, der B-GmbH, einen Gewinnabführungsvertrag, wonach die erwirtschafteten Jahresüberschüsse und -fehlbeträge durch die B-GmbH übernommen werden. Nachdem das Eigenkapital der Beklagten im Geschäftsjahr 2016 angewachsen war, blieb es in den Folgejahren gleich. Die Beklagte nahm sodann aus wirtschaftlichen Gründen zum 01.01.2019 keine Anpassung der Betriebsrente vor. Der Kläger widersprach dem und verlangte mit seiner Klage eine Anhebung der Betriebsrente zum 01.01.2019. Er argumentierte, dass der Gewinnabführungsvertrag zu einem Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage der B-GmbH führe.

Das BAG lehnte jedoch einen Anspruch auf Anpassung der Betriebsrente gemäß § 16 Abs. 1 und 2 BetrAVG ab. Die wirtschaftliche Lage der Beklagten stehe einer Anpassung entgegen. Für die zum Anpassungsstichtag zu erstellende Prognose sei grundsätzlich die wirtschaftliche Entwicklung des Versorgungsschuldners maßgeblich, die anhand des Eigenkapitals und dessen Verzinsung in den drei letzten Jahren vor dem Anpassungsstichtag beurteilt wird. Die Beklagte erzielte in diesem Referenzeitraum keine angemessene Eigenkapitalverzinsung, so dass eine für die Anpassung der laufenden Leistungen ausreichende wirtschaftliche Lage in den drei Jahren nach dem Anpassungsstichtag nicht zu erwarten ist. Diese negative Prognose könne nicht durch Zurechnung der wirtschaftlichen Lage der B-GmbH über den Gewinnabführungsvertrag relativiert werden. Durch den Gewinnabführungsvertrag komme es nicht zu einem Ab- oder Aufbau des Eigenkapitals. Mangels Weisungsrechts könne die B-GmbH auch – anders als beim Beherrschungsvertrag – nicht die Höhe des Gewinns und die Eigenkapitalverzinsung der Beklagte beeinflussen.

Damit sorgte das BAG in dieser zuletzt von ihm noch offen gelassenen Frage (BAG vom 21.04.2015 – 3 AZR 102/14) für Klarheit: Arbeitgeber müssen im Rahmen der Anpassungsprüfung und -entscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG bei einem isolierten Gewinnabführungsvertrag die wirtschaftliche Lage des anderen Konzernunternehmens nicht berücksichtigen. 

Anja Dombrowsky

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1.7 Betriebsvereinbarungsoffener Arbeitsvertrag: Änderung durch Betriebsvereinbarung zum Nachteil des Arbeitnehmers möglich

Die Parteien eines Arbeitsvertrages können selbst gestalten, inwiefern vertragliche Regelungen Veränderungen durch betriebliche Normen unterliegen. Mit Urteil vom 23.11.2022 – 9 Sa 682/22 hat das LAG Hamm entschieden, dass ein arbeitsvertraglich geregeltes Fixum durch eine Neuregelung der zugrundeliegenden Betriebsvereinbarung auch gegenüber dem klagenden Arbeitnehmer wegfallen kann.

Geklagt hatte ein Arbeitnehmer eines Einrichtungsunternehmens. In seinem Arbeitsvertrag war die Zahlung eines „monatliche[n] Fixum[s] in Höhe von DM 1.100,00 […] sowie Provisionen und Prämien gemäß der jeweils gültigen Betriebsvereinbarung“ vereinbart. Die zur Zeit des Vertragsschlusses geltende Betriebsvereinbarung sah ebenfalls ein entsprechendes Fixum in gleicher Höhe vor. Im Jahr 2005 trat eine neue Betriebsvereinbarung zur Regelung eines Prämien- und Provisionssystems der Beschäftigten in Kraft und löste die vorstehende Betriebsvereinbarung ab. Im Gegensatz zur vorherigen sah die neue Betriebsvereinbarung die Zahlung eines Fixums nicht mehr vor, woraufhin die Beklagte auch die monatlichen Zahlungen des Fixums an den Kläger einstellte. Der Kläger begehrte daher die Zahlung des monatlichen Fixums in Höhe von 562,42 Euro für die Monate Juni 2021 bis Mai 2022. Das ArbG Bielefeld hatte der Klage stattgegeben.

Anders sah dies das LAG Hamm, das zugunsten der Arbeitgeberin entschied. Das LAG stellte die „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ des Arbeitsvertrages fest, so dass durch die neue Betriebsvereinbarung eine abweichende und ungünstigere Regelung wirksam getroffen werden konnte. Dafür spreche, so das LAG, bereits das Vorliegen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die erkennbar sei, dass im Betrieb einheitliche Vertragsbedingungen gelten sollten. Dies stehe einer betriebsvereinbarungsfesten Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen entgegen. Zudem habe sich der Wortlaut der vertraglichen Regelung hinsichtlich Höhe und Inhalt erkennbar an der Formulierung der Betriebsvereinbarung orientiert. Es sei kein Grund ersichtlich, warum ein monatliches Fixum aus dem Vergütungsmodell herausgebrochen und separat einzelvertraglich zugesagt werden sollte. Dies ergebe sich bereits aus der Auslegung der Klausel, so dass die Zweifelsregelung des § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders der AGB nicht zur Anwendung komme.

Für die Praxis ergibt sich daraus, dass bei Ausgestaltung eines Arbeitsvertrages hinsichtlich einer Betriebsvereinbarungsoffenheit genau auf die Formulierung geachtet werden sollte. Die Betriebsvereinbarungsoffenheit kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent durch die Begleitumstände vereinbart werden. Dennoch mag allein ein Verweis auf die Betriebsvereinbarung nicht in jedem Fall ausreichen. Vielmehr sollte auf eine einheitliche Struktur und Formulierung geachtet werden. Mit einer (wirksamen) Betriebsvereinbarungsoffenheit der Arbeitsverträge ergeben sich für den Arbeitgeber deutlich erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten. 

Daniel Gorks

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1.8 Keine Unwirksamkeit einer Kündigung bei fehlendem Hinweis auf § 4 KSchG

Das LAG Hamm hat mit Urteil vom 10.03.2022 – 18 Sa 1449/21 entschieden, dass der fehlende Hinweis auf die Klagefrist gem. § 4 KSchG im Arbeitsvertrag oder im Kündigungsschreiben nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Eine „Vorwirkung“ der Arbeitsbedingungen-Richtlinie (2019/1152/EU) oder einer richtlinienkonformen Auslegung der §§ 623, 125 S. 1 BGB gibt es nicht.

Noch bevor die Arbeitsbedingungen-Richtlinie im deutschen Nachweisgesetz umgesetzt wurde, hatte das LAG Hamm im März 2022 über die Wirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung zu entscheiden, die keinen Hinweis auf die dreiwöchige Klagefrist gem. § 4 KSchG enthielt. Die Klägerin vertrat die Ansicht, zu den Informationspflichten, die den Arbeitgeber nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. j der Arbeitsbedingungen-Richtlinie träfen, gehöre es, die Beschäftigten über die Klagefrist des § 4 KSchG zu unterrichten. Da diese Informationen auch nicht in den Arbeitsverträgen enthalten seien, liege ein Verstoß gegen die Arbeitsbedingungen-Richtlinie vor. Dieser Verstoß ziehe die Rechtsfolgen nach sich, dass die Kündigung nicht dem Schriftformerfordernis nach § 623 BGB entspreche und daher nichtig sei.

Zurecht wiesen sowohl die Erstinstanz als auch die Berufungsinstanz die Kündigungsschutzklage ab. Mit gut nachvollziehbarer Argumentation lehnte das LAG Hamm eine richtlinienbezogene Auslegung oder Fortbildung des Schriftformerfordernisses in § 623 BGB grundsätzlich ab. Eine richtlinienbezogene Umgestaltung des § 623 BGB mit der Folge einer Formunwirksamkeit der angegriffenen Kündigung sei eine unzulässige Rechtsfortbildung. Aus der Arbeitsbedingungen-Richtlinie ergebe sich eine solche für den Arbeitgeber gravierende Rechtsfolge bei unterlassenem Hinweis auf die Klagefrist des § 4 KSchG nicht.  

Auch nach Novellierung und Inkrafttreten des Nachweisgesetzes am 01.08.2022 ist das Urteil des LAG Hamm für die Wirksamkeit von Arbeitgeberkündigungen bei fehlendem Hinweis auf die Klagefrist nach § 4 KSchG von Bedeutung. In der Neufassung des Nachweisgesetzes hat der deutsche Gesetzgeber von einer Erweiterung des Begriffs der Formunwirksamkeit abgesehen. Für eine richtlinienbezogene Auslegung oder Rechtsfortbildung des § 623 BGB besteht daher richtigerweise kein Raum. Dennoch sollten Arbeitgeber in der Praxis die Regelungen des Nachweisgesetzes beachten. Die Informationspflichten des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nachweisgesetz umfassen auch die Unterrichtung der Beschäftigten – sei es bei Neueinstellung oder im bestehenden Arbeitsverhältnis auf Verlangen der Beschäftigten –  über das bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses einzuhaltende Verfahren. Dies bedeutet, dass mindestens auf das Schriftformerfordernis, die Kündigungsfristen sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage hingewiesen werden sollte. Ein Verstoß kann mit einem Bußgeld in Höhe von 2.000 Euro geahndet werden. 

Cornelia-Cristina Scupra

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1.9 (Zusätzliche) Sozialplanabfindung für Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung – Verstoß der Höchstbetragsregelung gegen Gleichbehandlungsgrundsatz

Vereinbaren die Betriebsparteien in einem Sozialplan für Beschäftigte mit Schwerbehinderung grundsätzlich eine zusätzliche Abfindung, die aber bei älteren Beschäftigten mit Schwerbehinderung wegen einer zugleich getroffenen Höchstbetragsregelung faktisch nicht ausgezahlt wird, verstößt dies nach Meinung des BAG (Urteil vom 11.10.2022 – 1 AZR 129/21) gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Im zugrundeliegenden Sachverhalt schlossen Unternehmen und Betriebsrat anlässlich einer Werksschließung einen Sozialplan. Dieser sah für alle betroffenen Beschäftigten einen Abfindungsanspruch nach folgender Formel vor: „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x Faktor“. Der Faktor richtete sich nach dem Alter des gekündigten Beschäftigten. Beschäftigte mit Schwerbehinderung erhielten eine zusätzliche Abfindung in Höhe von pauschal 2.000 Euro brutto. Der Sozialplan sah zudem eine Regelung vor, nach der die Abfindung insgesamt auf 75.000 Euro brutto begrenzt war.

Dem Kläger, einem langjährigen Mitarbeiter des beklagten Unternehmens mit Schwerbehinderung, wurde die Auszahlung des zusätzlichen Abfindungsbetrages verwehrt, weil aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Klägers bereits der zu berechnende Teilbetrag den Höchstbetrag von 75.000 Euro überschritt. Mit seiner Klage machte der Kläger u. a. geltend, er habe Anspruch auf den zusätzlichen Abfindungsbetrag wegen Schwerbehinderung.

Während die Vorinstanzen einen Anspruch des Klägers ablehnten, gab das BAG ihm nun Recht. Die Höchstbetragsklausel sei, soweit sie sich auf den zusätzlichen Abfindungsanspruch erstrecke, wegen Verstoßes gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 BetrVG unwirksam. Zwar könnte eine Ungleichbehandlung, die durch Höchstbetragsklauseln entstehen kann, grundsätzlich durch den Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit und den begrenzten Sozialplanmitteln gerechtfertigt werden. Erstrecke sich jedoch die Höchstbetragsklausel auf zusätzliche Abfindungen für Beschäftigte mit Schwebehinderung, benachteilige die Klausel ältere Beschäftigte mit Schwerbehinderung unangemessen gegenüber jüngeren. Das Risiko der älteren Beschäftigten, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes keine Anschlussbeschäftigung zu finden, sei im Allgemeinen allerdings größer als bei Jüngeren. Zudem würden sich in der Regel mit zunehmendem Alter auch die unabweisbaren Aufwendungen, denen Beschäftigte mit Schwerbehinderung im Zusammenhang mit ihren Einschränkungen ausgesetzt seien, erhöhen. Die Ungleichbehandlung könne daher nicht gerechtfertigt werden.

Das BAG zeigt im Anschluss an sein Urteil aus dem Jahr 2021 (BAG vom 07.12.2021 – 1 AZR 562/20), dass die Wirksamkeit von Höchstbetragsklauseln eine Frage des Einzelfalls ist. Es argumentiert konsequent, dass jedenfalls der Zusatzbetrag für Beschäftigte mit Schwerbehinderung von der Kappungsgrenze ausgeschlossen werden müsse und die Höchstbetragsregelung im Übrigen erhalten bleiben könne. Bereits jetzt sehen viele Sozialpläne vor, dass sog. Sozialzuschläge, die typischerweise für eine bestehende Schwerbehinderung oder Unterhaltspflichten gezahlt werden, nicht unter die Kappungsgrenze fallen. Unternehmen sind gut beraten, dies in Zukunft ausnahmslos so zu gestalten.

Dr. Alexander Willemsen

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1.10 Pauschale Abfindungskürzung für rentennahe Jahrgänge in Sozialplan zulässig

Die Betriebsparteien können in einem Sozialplan die sich nach der vereinbarten Abfindungsformel ergebende Abfindungszahlung für rentennahe Arbeitnehmer, die bei ihrem Ausscheiden bereits das 62. Lebensjahr vollendet haben, pauschal auf ein Viertel kürzen. Dies hielt das LAG Nürnberg (Urteil vom 19.01.2023 – 8 Sa 164/22) gem. § 10 S. 2, 3 Nr. 6 2. Alt. AGG für gerechtfertigt. Die Betriebsparteien haben dabei die individuelle Höhe der den betroffenen Arbeitnehmern konkret zustehenden Altersrente nicht zu berücksichtigen.

Im Rahmen eines Personalabbaus sah der von den Betriebsparteien verhandelte Sozialplan grundsätzlich vor, dass für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit 0,6 Bruttomonatsgehälter an Abfindung zu zahlen waren. Wer jedoch zu einem von den Betriebsparteien festgelegten Stichtag bereits 62 Jahre alt war, dessen Abfindungsanspruch wurde mittels eines zusätzlichen Altersfaktors pauschal um drei Viertel gekürzt. Der Kläger wies eine Betriebszugehörigkeit von über 25 Jahren auf und hätte nach der regulären Abfindungsformel rund 37.000 Euro Abfindung beanspruchen können. Aufgrund des Altersfaktors reduzierte sich diese jedoch auf ca. 9.250 Euro. Er klagte daher die Differenz gerichtlich ein wegen unzulässiger Diskriminierung wegen des Alters.

Das LAG Nürnberg sah in besagter Stichtagsregelung zwar eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers, hielt diese allerdings für ausreichend gerechtfertigt. Die Betriebsparteien müssten die zur Verfügung stehenden Mittel im Hinblick auf den Ausgleich künftiger Nachteile der Arbeitnehmer angemessen verteilen. Die streitige Stichtagsregelung verfolge nach Ansicht des Gerichts das legitime Ziel einer bedarfsgerechten Verteilung des begrenzten Sozialplanvolumens und sei geeignet, für andere Arbeitnehmergruppen größere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, denen stärkere Nachteile aus der Betriebsänderung drohen. Da rentenberechtigte und rentennahe Arbeitnehmer in der Regel wirtschaftlich stärker abgesichert seien, falle die Stichtagsregelung in die Einschätzungsprärogative der Betriebsparteien. Es genüge, wenn die den älteren Arbeitnehmern individuell noch verbleibende Abfindungssumme zumindest geeignet sei, eine substantielle Abmilderung der ihnen drohenden wirtschaftlichen Nachteile zu bewirken. Dies sei in diesem Fall bei einer Abfindung von knapp vier Monatsgehältern des Klägers der Fall.

Das LAG hat die Revision gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen und der Fall ist bereits beim BAG anhängig (1 AZR 15/23). Die Entscheidung liegt aber auf der bisherigen Linie des BAG, das bereits in der Vergangenheit die Zulässigkeit von (verringerten) Sozialplanabfindungen für rentennahe Mitarbeiter bestätigte (BAG vom 26.03.2013 – 1 AZR 857/11; BAG vom 07.05.2019 – 1 ABR 54/17). Bei der Gestaltung entsprechender Ausschlussgründe und Kürzungstatbestände im Sozialplan muss sehr sorgfältig anhand der Vorgaben der Rechtsprechung gearbeitet werden. Denn bei der Unwirksamkeit einer Sozialplanregelung kann der betroffene Mitarbeiter im Zweifel eine „Anpassung nach oben“ verlangen, ein Risiko, das am Ende allein der Arbeitgeber trägt. 

Isabel Hexel

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1.11 Neues zur Mitbestimmung bei (privater) Nutzung von Dienstwagen

Räumt der Arbeitgeber Mitarbeitenden die Privatnutzung von Dienstwägen ein, sind Einzelheiten hierfür mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, wenn der Arbeitgeber die mit der Überlassung verbundenen Kosten nicht vollständig weitergibt. Bei der Einräumung der Privatnutzung handelt es sich um eine freiwillige Leistung. Gestaltet der Arbeitgeber diese konzernweit gleich, steht die Mitbestimmung dem Konzernbetriebsrat und nicht dem Einzelbetriebsrat zu.

Im Kern hatte das LAG Nürnberg (Beschluss vom 06.06.2022 – 1 TaBV 4/22) über die Frage zu entscheiden, ob die Änderung einer Dienstwagenrichtlinie, wonach sich die Nutzung eines Dienstwagens aus dem Arbeitsvertrag ergeben muss, der Mitbestimmung des örtlichen Betriebsrates unterliegt. Die Richtlinie beansprucht Geltung für alle Mitarbeitenden deutscher Konzerngesellschaften. Mit der Nutzungsberechtigung ist die Nutzung für Privatfahrten verbunden. Das monatliche Bruttoentgelt von Mitarbeitenden, mit denen eine private Nutzung des Dienstwagens vereinbart ist, wird – auch unter Berücksichtigung der gewählten Ausstattung – gekürzt.

Das LAG lehnte den Antrag des örtlichen Betriebsrates auf Untersagung der Nutzung der konzernweiten Richtlinie bereits aufgrund dessen fehlender Zuständigkeit ab. Zuständig sei der Konzernbetriebsrat, denn es handele sich vorliegend um eine freiwillige Leistung, bei der Arbeitgeber selbst entscheide, ob diese nur unternehmens- oder konzernweit erbracht werden soll. Entscheide man sich – wie vorliegend – für eine konzernweite Erbringung der (freiwilligen) Leistung, sei nach dem „Grundsatz der subjektiven Unmöglichkeit“ allein der Konzernbetriebsrat zuständig. Das Gericht stellte – weil dies der antragstellende Betriebsrat bezweifelt hatte – noch einmal klar, dass es für die Freiwilligkeit einer Leistung nicht darauf ankomme, ob der Arbeitgeber individualvertraglich zur Leistung verpflichtet sei. Allein maßgeblich sei, ob eine tarifvertragliche oder gesetzliche Verpflichtung zur Erbringung der Leistung bestehe. Dies war vorliegend nicht der Fall. Der Arbeitgeber hat entschieden, ob und an wen er Dienstwagen zur Verfügung stellt, sodass der örtliche Betriebsrat unzuständig war.

Die Frage, ob ein Mitbestimmungsrecht überhaupt besteht, konnte das LAG damit offenlassen. Das Gericht deutet jedoch an, dass der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erfüllt sei, wenn der Arbeitgeber die mit der Überlassung verbundenen Kosten nicht vollständig weitergibt. Vorliegend konnten die berechtigen Personen über einen Konfigurator über die Grundausstattung hinausgehende Sonderausstattung auswählen, die jedoch von ihnen auszugleichen war. Werde die private Nutzung jedoch ausgeglichen, sei die Entgeltstruktur nach Auffassung des LAG nicht betroffen. In diesem Fall bestehe kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

Das LAG Köln (Beschluss v. 13.01.2020, 9 TaBV 66/19) hatte bereits in einem Einigungsstelleneinsetzungsverfahren die Möglichkeit bejaht, dass der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte hat, wenn es um die Regeln zur Privatnutzung von Dienstwagen geht (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 und Nr. 10 BetrVG). Die vorliegende Entscheidung differenziert nun hinsichtlich der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG danach, ob der Arbeitgeber die mit der Überlassung verbundenen Kosten vollständig weitergibt oder nicht. Somit kommt es für Unternehmen entscheidend auf die Ausgestaltung der Dienstwagen-Richtlinie an, soll eine Diskussion über die Mitbestimmung vermieden werden. 

Jörn Kuhn

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1.12 Verpflichtende Nutzung von DV-Systemen durch den Betriebsrat

Die Vorlage der erforderlichen Bewerbungsunterlagen im Sinne von § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG muss nicht in Papierform erfolgen. Zulässig ist auch, dass Betriebsratsmitgliedern mit eigenem Dienst-Laptop Einblicke in ein Bewerbermanagement-Tool erhalten.

Das LAG Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 13.10.2022 – 2 TaBV 1/22) hatte sich in einer streitigen Auseinandersetzung zwischen Unternehmen und Betriebsrat unter anderem ausführlich mit der Frage beschäftigt, wie der Betriebsrat bei personellen Maßnahmen nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen ist. Nach § 99 BetrVG muss das Unternehmen den Betriebsrat vor jeder Einstellung unterrichten und ihm insbesondere die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorlegen. Im konkreten Fall stellte sich (u. a.) die Frage, ob im Zuge einer Einstellung das Unternehmen dem Betriebsrat die Bewerberunterlagen auch mittels eines IT-Tools zur Verfügung stellen kann.

Anknüpfend an eine Entscheidung des LAG Köln (Beschluss vom 15.05.2020 – 9 TaBV 32/19) bejahte das LAG Sachsen-Anhalt diese Frage. Wenn gewährleistet sei, dass dem Betriebsrat ein uneingeschränktes Zugriffsrecht auf alle digitalisierten Bewerbungsunterlagen und die entsprechend eingepflegten Daten ermöglicht wird, spreche nichts dagegen, den Anspruch des Betriebsrats auf Vorlage von Unterlagen i. S. v. § 99 Abs. 1 BetrVG auch durch ein entsprechendes Einsichtsrecht des Betriebsrats in die im System hinterlegten Unterlagen zu ermöglichen. Das LAG Sachsen-Anhalt führte aus, dass es im „Zeitalter der Digitalisierung“ und der fortschreitenden Organisation möglichst papierfreier Büros keinen Unterschied mehr machen könne, ob dem Betriebsrat sämtliche Unterlagen in Papierform vorgelegt bzw. überlassen werden oder ob die Betriebsratsmitglieder digital Einsicht nehmen können.

Berücksichtigt man den Umstand, dass in der heutigen Arbeitswelt der Großteil aller Bewerbungen digital eingeht, und viele Unternehmen Bewerbungsmanagement-Tools nutzen, erscheint es richtig, den Unternehmen die Möglichkeit zu eröffnen, den Betriebsrat mittels eines digitalen Bewerbungsmanagement-Tool zu beteiligen. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des BAG das Unternehmen nicht nur über die Person des Bewerbers, die eingestellt werden soll, Auskunft geben muss, sondern auch über diejenigen Bewerber, die nicht berücksichtig wurden. Die vorstehenden Erwägungen gelten jedenfalls dann, wenn der Betriebsrat die Möglichkeit hat, auf die entsprechenden Unterlagen zuzugreifen. Hierfür muss der Betriebsrat insbesondere mit den nötigen technischen Mitteln ausgestattet sein.

Eine endgültige Entscheidung in der Sache ist noch offen. Das LAG hat der Frage, ob die Vorlage der erforderlichen Bewerbungsunterlagen i. S. v. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG auch digital erfolgen, grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen. Das Verfahren ist dort nun anhängig (Az. 1 ABR 28/22); ein Entscheidungsdatum ist noch nicht bekannt. 

Jörn Kuhn

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1. 13 Berücksichtigung der Rentennähe in der Sozialauswahl

Das BAG hat mit Urteil vom 08.12.2022 – 6 AZR 31/22 entschieden, dass die Rentennähe in der Sozialauswahl zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden kann. Die lang ersehnte Entscheidung des BAG schafft endlich Klarheit für die bisher umstrittene Frage, ob das Kriterium „Lebensalter“ nicht nur als Vorteil eines Arbeitnehmers zu werten ist.

Der Entscheidung des BAG lag der Sachverhalt zugrunde, dass die 1957 geborene Klägerin auf der Namensliste eines zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleichs zu einem Personalabbau genannt wurde. Die Klägerin hielt die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung mangels ordnungsgemäßer Sozialauswahl für unwirksam. Der Insolvenzverwalter vertrat die Ansicht, die Klägerin sei innerhalb ihrer Vergleichsgruppe am wenigsten sozial schutzbedürftig gewesen, da sie zeitnah nach dem Beendigungsdatum eine Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte beziehen konnte. Vorsorglich kündigte der Insolvenzverwalter der Klägerin aber erneut.

Die beiden Vorinstanzen gaben der Klage statt. Die Revision vor dem BAG hatte teilweise Erfolg. Zwar befand das BAG die erste Kündigung für unwirksam, führte aber aus, dass die Rentennähe der Klägerin bei der Sozialauswahl grundsätzlich zu deren Lasten berücksichtigt werden durfte. Zwar nehme die soziale Schutzbedürftigkeit mit steigendem Lebensalter zu, da sich die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern. Die Schutzbedürftigkeit falle aber wieder ab, wenn Beschäftigte spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlagsfreien Rente wegen Alters verfügen können.

Die erfreuliche Entscheidung des BAG schafft Klarheit im Hinblick auf die bisher umstrittene Frage der nachteiligen Berücksichtigung rentennaher Jahrgänge in der Sozialauswahl. Grundsätzlich regelt § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, dass Unternehmen im Rahmen der Sozialauswahl die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung zu berücksichtigen haben. Der Wortlaut des Gesetzes sagt aber gerade nicht aus, dass diese Kriterien zwingend zugunsten der Beschäftigten gewertet werden müssen. Das BAG zieht hier die Grenze bei einem Zeitraum von zwei Jahren bis zur Möglichkeit des Bezugs einer abschlagsfreien Rente. Hintergrund dürfte hierfür sein, dass betroffene Beschäftigte diesen Zeitraum bis zur Rente durch die Inanspruchnahme von ALG I überbrücken können.

Das Urteil des BAG ergänzt die kollektivrechtlichen Möglichkeiten der Berücksichtigung der Rentennähe zum Nachteil Beschäftigter. Von der Rechtsprechung wurde bisher bereits anerkannt, dass innerhalb eines Sozialplans geringere Abfindungen für rentennahe Jahrgänge vereinbart werden können (m.w.N. unter Ziff. 1.10.). Diesen Grundsatz führt das BAG im Hinblick auf die Namensliste im Interessenausgleich fort. Dass aber auch eine Namensliste, welche sowieso kaum noch in der Praxis vereinbart wird, bei der Durchführung einer Sozialauswahl kein Selbstläufer ist, zeigt diese Entscheidung aber auch: Die erste Kündigung war unwirksam, da ausschließlich die Rentennähe der Klägerin, nicht aber die Betriebszugehörigkeit und die Unterhaltspflichten berücksichtigt worden waren, sodass sich die Sozialauswahl als grob fehlerhaft darstellte.

Annabelle Marceau

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2. Rechtsentwicklungen

2.1 Mitbestimmungsrechte kennen (nahezu) keine Grenzen

Seitdem das „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung“ („MgFSG“) am 31.01.2023 in Kraft getreten ist, gelten für diese Vorhaben neue Regelungen für die Unternehmensmitbestimmung der Beschäftigten. Wird ein solches Vorhaben geplant, sollten Unternehmen das MgFSG stets berücksichtigen, um zeitliche Verzögerungen und Kostentreiber zu vermeiden.

Das erklärte Ziel des Gesetzes ist es, bestehende Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten in den Unternehmensorganen bei grenzüberschreitenden Formwechseln oder Spaltungen zu sichern (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 MgFSG). Die Sicherung vollzieht sich in der formwechselnden bzw. in der sich spaltenden Gesellschaft.

Der Geltungsbereich des MgFSG ist insbesondere eröffnet, wenn die von einem grenzüberschreitenden Vorhaben betroffene Gesellschaft ihren Sitz im Inland, mithin in Deutschland hat. Darüber hinaus kann das MgFSG unter bestimmten Voraussetzungen unabhängig vom Sitz der Gesellschaft Anwendung finden, so dass der praktische Anwendungsbereich eine Vielzahl von Unternehmen betrifft. Dies liegt darin begründet, dass das MgFSG die EU-Richtlinie 2019/2121 umsetzt. Ausweislich der Erwägungsgründe regelt die Richtlinie einen EU-weit harmonisierten Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen.

Unternehmen sind durch das MgFSG nicht mit gänzlich neuen Bestimmungen für einen grenzüberschreitenden Formwechsel oder eine Spaltung konfrontiert, sondern es gelten die bestehenden Vorschriften des Umwandlungsgesetzes („UmwG“), auf die § 2 Abs. 2 MgFSG verweist. Die für Unternehmen „schmerzhafteste“ Rechtsfolge bei grenzüberschreitenden Formwechseln und Spaltungen ist das nun durchzuführende Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren. Verhandlungspartner der Gesellschaft ist das auf Aufforderung des geschäftsführenden Organs der Gesellschaft gebildete, besondere Verhandlungsgremium („BVG“). Das BVG setzt sich aus Beschäftigten der an dem grenzüberschreitenden Vorhaben beteiligten Gesellschaften und etwaig betroffener Tochtergesellschaft und Betrieben zusammen.

Das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren gleicht dabei dem Verfahren im Zuge von SE-Gründungen. Dementsprechend verhandeln die Gesellschaft und das BVG den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung über die Unternehmensmitbestimmung. Das MgFSG setzt dem Verhandlungsgegenstand enge Grenzen. Die Vereinbarung eines Mitbestimmungsniveaus, das hinter dem Mitbestimmungsniveau vor Durchführung des grenzüberschreitenden Vorhabens zurückbleibt, ist nicht möglich. Ausnahmsweise kann die Beteiligungsvereinbarung einen mitbestimmungsfreien Zustand regeln. Dies allerdings nur dann, wenn die Gesellschaft bereits vor dem grenzüberschreitenden Vorhaben nicht mitbestimmt war. Kommt keine Beteiligungsvereinbarung zustande, greift als Auffangtatbestand die Unternehmensmitbestimmung kraft Gesetzes, §§ 25 ff. MgFSG.

Die Bedeutung und die Komplexität eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens sind nicht zu unterschätzen. Ein solches Verfahren kann erhebliche zeitliche und finanzielle Ressourcen in Anspruch nehmen. Daran führt indes kein Weg vorbei: Es muss abgeschlossen sein, bevor das grenzüberschreitende Vorhaben umgesetzt werden kann.

Moritz Coché

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2.2 Update zum Hinweisgeberschutzgesetz

Der Bundesrat hat am 10.02.2023 das Hinweisgeberschutzgesetz gestoppt, mit dem die europäische Whistleblower-Richtlinie (RL (EU) 2019/1937) in Deutschland umgesetzt werden sollte. Das noch im Dezember vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz fand im Bundesrat, insbesondere von den CDU/CSU geführten Bundesländern, keine Zustimmung.

Maßgeblicher Kritikpunkt war, dass der vorliegende Gesetzesentwurf weit über die EU-Vorgaben hinausgeht, da der sachliche Anwendungsbereich erheblich ausgedehnt und die Einrichtung einer internen Meldestelle, die auch zur Entgegennahme anonymer Hinweise verpflichtet ist, zwingend vorgegeben wird. Dies führe gerade für kleine und mittlere Unternehmen zu einer erheblichen bürokratischen Mehrbelastung.

Damit scheiterte bereits der zweite Regierungsentwurf zur Umsetzung der europäischen Whistleblower-Richtlinie in Deutschland und das bereits eingeleitete förmliche EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland geht in die nächste Runde. Denn die Europäische Kommission hat beschlossen, Deutschland und sieben weitere Mitgliedstaaten (Tschechien, Estland, Spanien, Italien, Luxemburg, Ungarn und Polen) vor dem EuGH zu verklagen, weil diese Länder die Richtlinie nicht vollständig umgesetzt und die Umsetzungsmaßnahmen nicht mitgeteilt haben.

Die Koalitionsfraktionen haben nun einen neuen Ansatz zur Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie gewählt und haben das Gesetzesvorhaben in zwei Entwürfe aufgespalten, von denen ihrer Auffassung nach nur einer im Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Diese Initiativen wurden am 17.03.2023 vom Deutschen Bundestag angenommen und werden nun an den Rechtsausschuss überwiesen, der am 27.03.2023 darüber beraten wird. Der neue Entwurf ist inhaltlich fast identisch zu dem Gesetzentwurf, den der Bundestag bereits im Dezember 2022 beschlossen hatte, enthält allerdings keine Regelungen zu LandesbeamtInnen und ist somit nicht zustimmungspflichtig. Ein Ergänzungsgesetz enthält separate Regelungen für LandesbeamtInnen. Am 31.03.2023 könnte das Gesetz dann abschließend durch den Bundesrat kommen und in diesem Fall sogar schon laut Entwurf einen Monat nach Verkündung in Kraft treten.

Der letzte Entwurf des HinSchG-E verpflichtet Unternehmen mit jeweils in der Regel mindestens 50 Beschäftigten zu Einrichtung und Betrieb einer internen Meldestelle. Für den Fall der Nichteinrichtung droht Bußgeld von bis zu 20.000 Euro.

Umstritten bleibt insbesondere, ob die Auslagerung der internen Meldestelle an ein konzernangehöriges Unternehmen und somit die Einrichtung einer konzernweiten Whistleblowing-Hotline zulässig ist. Während die EU-Kommission die Auffassung vertritt, dass jede rechtliche Einheit mit regelmäßig mindestens 50 Beschäftigten einen eigenen internen Meldekanal zu errichten hat, sieht der bisherige Gesetzesentwurf die Möglichkeit eine Auslagerung an konzernangehörigen Unternehmen als „Dritte“ vor. Gerade dieser Punkt ist aber bei der Ausgestaltung der Meldesysteme innerhalb eines Konzerns von zentraler Bedeutung. Da die Einrichtungspflicht allerdings früher oder später kommen wird, sollten sich alle Unternehmen, die in den Anwendungsbereich des HinSchG-E fallen, schon jetzt mit der Etablierung interner Hinweisgeberstrukturen beschäftigen. 

Isabel Hexel

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2.3 Dauerbrenner Workation

In Zeiten des Fachkräftemangels und nach Jahren der Corona-Pandemie spielen flexible Arbeitsmodelle zur Bindung und Gewinnung von Beschäftigten eine wichtigere Rolle denn je. Dabei spielt die Möglichkeit von Workation eine große Rolle bei der Jobauswahl.

Laut einer aktuellen PwC-Studie trägt für 81 % der Befragten Workation zu einer besseren Work-Life-Balance bei. Zusätzlich gaben 79 % an, dass ein Workation-Angebot ihre Zufriedenheit im Job erhöht. Für 76 % stand außerdem fest: Sie steigern dadurch ihre eigene Produktivität. Gerade in den Wintermonaten ist Workation besonders attraktiv: Rund 82 % würden einen Aufenthalt im sonnigen Süden den kalten Wintermonaten in Deutschland vorziehen. Allerdings gibt es hierbei laut Studie noch erhebliche Defizite in der Praxis – sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Beschäftigtenseite.

Wenn Unternehmen das Angebot „Workation“ in Betracht ziehen, sollten sie dies gut vorbereiten. Was es grundsätzlich zu beachten gilt, finden Sie in diesem Beitrag zusammengefasst.  

Isabel Hexel

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3. Fokus Arbeitsrecht – LIVE!

Am 29.03.2023 ist es soweit: Unsere neue Webseminar-Reihe „Fokus-Arbeitsrecht- LIVE!“ startet!

Zukünftig werden Ihnen einmal im Quartal unsere Arbeitsrechts-Expertinnen und -Experten kurz und präzise in 45 Minuten die wichtigsten Aspekte zu einem aktuellen Thema vorstellen. Im Anschluss beantworten wir 15 Minuten Ihre Fragen.

Das Webseminar findet immer von 12.00 bis 13.00 Uhr statt. Die Themen werden wir aus Aktualitätsgründen ein bis zwei Wochen im Voraus auf unserer Webseite und bei LinkedIn bekannt geben.

Das erste Webseminar am 29.03.2023 dreht sich um das Thema „„Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Segen oder Fluch?“ Weitere Informationen & Anmeldung​​​​​​​

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