27.06.2025 Newsletter

Fokus Arbeitsrecht 2. Quartal 2025

Zum Abschluss der ersten Jahreshälfte senden wir Ihnen unsere zweite Ausgabe des Fokus Arbeitsrecht, der einen aktuellen Überblick über wichtige arbeitsgerichtliche Entscheidungen der letzten Monate sowie neue Gesetzgebung gibt.

Besonders relevant für die Praxis: Die viel beachtete BAG-Entscheidungen über den Verfall von virtuellen Optionsrechten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und über die mehrfache (aktive) Wahlberechtigung von Matrixführungskräften im Zuge von Betriebsratswahlen.

Schließlich widmen wir uns in der Rubrik „HR neu denken!“ der KI-Verordnung und beleuchten die Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung von KI-Systemen im HR-Bereich.

 

1. Rechtsprechung

1.1 Kündigungsschutz für ehemaligen Geschäftsführer: Ende der Organstellung – Beginn des Kündigungsschutzes?

1.2 Ende des Verzichts auf Mindesturlaub durch Prozessvergleich?

1.3 ​​​​​Schadensersatz wegen Test einer cloudbasierten Software 

1.4 Verfall von virtuellen Optionsrechten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses?

1.5 ​Verzugszinsen die 1.: Vergütungsansprüche bei Eingruppierung

1.6 Verzugszinsen die 2.: Sozialplanansprüche bei Anfechtung des Sozialplans

1.7 Mehrfache (aktive) Wahlberechtigung von Matrixführungskräften: Neue Herausforderung bei kommenden Betriebsratswahlen

2. Gesetzgebung

Reform des Mutterschutzgesetzes

3. HR neu denken!

Hochrisiko-KI im HR-Bereich

 

1. Neue Rechtsprechung

1.1 ​Kündigungsschutz für ehemaligen Geschäftsführer: Ende der Organstellung – Beginn des Kündigungsschutzes?

Ein ehemaliger Geschäftsführer, dessen Organstellung zum Zeitpunkt des Zugangs seinerKündigung nicht mehr besteht, kann sich auf den allgemeinen Kündigungsschutz des KSchG berufen. Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG, wonach der Kündigungsschutz nicht für gesetzlich bestellte Vertreter einer juristischen Person gilt, steht dem insoweit nicht entgegen. Dies hat das Hessische LAG jüngst mit Urt. v. 28.02.2025 – 14 SLa 578/24 entschieden.

Die Parteien schlossen einen Arbeitsvertrag, der die Beschäftigung des Klägers als Geschäftsführer der Gesellschaft vorsah, mit der Möglichkeit, eine anderweitige Beschäftigung auszuüben. Der Kläger wurde zum Geschäftsführer bestellt und war auf Grundlage dieses Arbeitsvertrages als Geschäftsführer bei der Beklagten tätig. Im Februar 2023 wurde er durch Gesellschafterbeschluss mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abberufen und nahm ab diesem Zeitpunkt keine gleichwertigen Geschäftsführeraufgaben mehr wahr. Die Beklagte suchte in der Folgezeit erfolglos nach einer gleichwertigen Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger. Im Juni 2023 kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Die Klage wurde in erster Instanz unter Verweis auf die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG abgewiesen.

Das LAG Hessen hingegen erklärte den Anwendungsbereich des KSchG für eröffnet und gab der Klage statt. Die Schutzwirkung des KSchG entfalle nicht allein deshalb, weil das Arbeitsverhältnis ursprünglich mit der Geschäftsführertätigkeit verknüpft gewesen sei. Maßgeblich sei allein, ob zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs noch eine Organstellung bestanden habe. Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG finde jedenfalls keine Anwendung auf Fälle, in denen die Organstellung im Zugangszeitpunkt der Kündigung nicht mehr bestehe und zwischen der Abberufung und der Kündigung mehrere Wochen vergangen seien. Der Arbeitgeber könne den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes zugunsten des Geschäftsführers verhindern, indem er vor oder zeitgleich mit der Abberufung das Vertragsverhältnis kündige. Lege der Geschäftsführer vor Zugang dieser Kündigung sein Amt allein deshalb nieder, um in den Genuss des Kündigungsschutzes zu kommen, werde er sich darauf entsprechend § 162 BGB nicht berufen können.

Die Entscheidung des Hessischen LAG ist nicht rechtskräftig; die Revision ist beim BAG anhängig (Az. 2 AZR 89/25) und dürfte mit Spannung zu erwarten sein. Denn vieles ist im Zusammenhang mit der Beendigung von Verträgen mit Geschäftsführern noch ungeklärt. Insbesondere, wenn Grundlage der Zusammenarbeit ein Arbeitsvertrag ist und kein gesonderter Geschäftsführerdienstvertrag abgeschlossen wurde, besteht oft Unsicherheit, wie die Gesellschaft den Vertrag möglichst ohne Risiko eines Kündigungsschutzes beenden kann.

Klar sollte sein, dass die Abberufung vom Amt des Geschäftsführers in jedem Fall erst nach Zugang der Kündigung erklärt werden sollte oder wenigstens zeitgleich mit ihrem Zugang. Denn dann gilt nach herrschender Meinung zugunsten des Geschäftsführers gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG kein Kündigungsschutz.

Einen interessanten Aspekt erwähnt das LAG geradezu beiläufig: Versucht der Geschäftsführer durch die Niederlegung seiner Organstellung der Kündigung zuvorzukommen und so Kündigungsschutz nach dem KSchG herzustellen, wird man dies wohl als treuwidriges Handeln bewerten können, das ihm keinen Vorteil verschaffen kann. Es ist zu wünschen, dass sich das BAG in der zu erwartenden Entscheidung auch zu diesem Thema positioniert, da es ebenfalls von hoher Praxisrelevanz ist.

Kathrin Vossen

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1.2 ​​​​​​Ende des Verzichts auf Mindesturlaub durch Prozessvergleich?

Das BAG stellt in seinem Urteil vom 03.06.2025 – 9 AZR 104/24) klar, dass in einem gerichtlichen Vergleich nicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub verzichtet werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Urlaub krankheitsbedingt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann.

Der Kläger war als Betriebsleiter bei der Beklagten beschäftigt. Seit Beginn des Jahres 2023 war er arbeitsunfähig erkrankt und konnte dadurch seine gesetzlichen Urlaubstage nicht nehmen. Im März 2023 schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Vergleich enthielt unter anderem die Klausel, dass „Urlaubsansprüche in natura gewährt“ seien. Aus Sicht des Unternehmens war damit der Urlaub erledigt.

Mit einer weiteren Klage begehrte der Kläger sodann, die noch offenen Tage des gesetzlichen Mindesturlaubs abzugelten. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt und das BAG wies die Revision des Unternehmens zurück.

Das BAG stellte klar: Die Klausel „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt“ regele einen unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs und sei deshalb unwirksam. Der gesetzliche Mindesturlaub könne während eines laufenden Arbeitsverhältnisses nicht im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden. Der Urlaubsanspruch diene der Erholung im Sinne des Gesundheitsschutzes und sei nicht disponibel. Dies gelte selbst dann, wenn bei Abschluss des Vergleichs feststeht, dass der Urlaub krankheitsbedingt nicht mehr genommen werden kann und eine Abfindung gezahlt wird.

Auch stelle die Klausel keinen sog. Tatsachenvergleich dar. Voraussetzung hierfür sei, dass eine bestehende Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden solle. Aufgrund der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe hingegen kein Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs bestanden.

Was folgt aus der Entscheidung für die Praxis? Beim Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs oder Aufhebungsvertrags während des laufenden Arbeitsverhältnisses ist insbesondere bei langzeit- bzw. dauererkrankten Beschäftigten Vorsicht geboten. Denn in der Regel besteht hier keine Unsicherheit über bestehende Urlaubsansprüche.

Auch insgesamt sollten die so gängigen Tatsachenvergleiche, die festhalten, dass der Urlaubsanspruch bereits in natura gewährt wurde, nicht ohne weitere Prüfung vereinbart werden. Ist nicht absehbar, ob der Urlaubsanspruch noch bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses gewährt werden kann, sind Tatsachenvergleiche auch weiterhin möglich. Zudem bleibt die Möglichkeit, die regelmäßig ebenfalls vereinbarte Abfindung um mögliche Ansprüche auf Urlaubsabgeltung zu kürzen sowie eine unwiderrufliche Freistellung unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen im gerichtlichen Vergleich vorzusehen.

Auch ist es weiterhin möglich, für den vertraglichen Urlaub eine andere Regelung zu treffen, da die Entscheidung lediglich den gesetzlichen Mindesturlaub betrifft.

Katharina Schäffer

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1.3 Schadensersatz wegen Test einer cloudbasierten Software

Wenn ein Unternehmen personenbezogene Daten innerhalb des Konzerns an eine andere Gesellschaft überträgt, um eine cloudbasierte Software für Personalverwaltung („Workday“) zu testen, unterliegt dies den Vorgaben der DSGVO. Erfolgt die Übermittlung – auch nur teilweise – ohne ausreichende Rechtsgrundlage, stellt dies einen Verstoß gegen die DSGVO dar.. Folge: Ein möglicher Anspruch des Beschäftigten auf Schadensersatz, so das BAG mit Urteil vom 08.05.2025 – 8 AZR 209/21.

Das Unternehmen beabsichtigte, die Software Workday als konzernweit einheitliches Personalverwaltungssystem einzuführen. Zu diesem Zweck hatte es mit dem Betriebsrat den vorläufigen Software-Testbetrieb in einer Duldungs-Betriebsvereinbarung geregelt. Neben der zu Testzwecken gestatteten Übermittlung von Stammdaten hinaus hatte das Unternehmen jedoch weitere personenbezogene Daten an die in den USA sitzende Konzernobergesellschaft übertragen, u. a. Gehaltsinformationen, private Wohnanschrift, Familienstand, SV-Nummer und Steuer-ID.

Der Kläger verlangte zuletzt den Ersatz eines immateriellen Schadens i. H. v. EUR 3.000 nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO gestützt darauf, dass das Unternehmen die Grenzen der Duldungsvereinbarung überschritten habe.

Das BAG sprach dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz i. H. v. EUR 200 zu. Soweit das Unternehmen personenbezogene Daten, die nicht in der Duldungsvereinbarung geregelt waren, an die Konzernobergesellschaft übertragen habe, sei dies nicht erforderlich i. S. v. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f) DSGVO gewesen. Demzufolge verstieße die entsprechende Datenübermittlung gegen die DSGVO. Das BAG begründete den Schadensersatzanspruch mit dem verursachten Kontrollverlust über die personenbezogenen Daten.

Die rechtskonforme Datenverarbeitung im Arbeitsverhältnis ist für Unternehmen herausfordernd. Der EuGH hat im vorangegangenen Vorlageverfahren betont (vgl. Urt. v. 19.12.2024 – C-65/23), dass Betriebsvereinbarungen, die gemäß Art. 88 Abs. 1 und 2 DSGVO „spezifischere Vorschriften“ für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Arbeitsverhältnis begründen, gleichwohl auch die allgemeinen Grundsätze der DSGVO beachten müssen. Soweit die DSGVO den Betriebsparteien einen Gestaltungsspielraum bzgl. der „Erforderlichkeit“ der Verarbeitung personenbezogener Daten einräume, sei dieser gerichtlich voll überprüfbar.

Unternehmen müssen vor diesem Hintergrund zwei Aspekte im Blick behalten: Soweit die Datenverarbeitung 1. auf eigenständiger Grundlage einer Betriebsvereinbarung erfolgt, muss diese insgesamt den Vorgaben der DSGVO genügen – ein niedrigeres Schutzniveau zum Nachteil der Beschäftigten ist unzulässig. Sodann muss die konkrete Datenverarbeitung 2. innerhalb der Grenzen der Betriebsvereinbarung erfolgen.

Wir empfehlen, bereits in der Konzeptionsphase kritisch zu prüfen, ob und welche Verarbeitung von personenbezogenen Daten tatsächlich „erforderlich“ bzw. „verhältnismäßig“ ist. Die Verarbeitung muss insgesamt DSGVO-konform sein, sodass deren Grundsätze fortlaufend mitgedacht werden müssen. Ferner besteht das praktische Risiko, dass der Verarbeitungsumfang von personenbezogenen Daten nach Abschluss einer Betriebsvereinbarung – systemgetrieben – sukzessive erweitert und damit rechtswidrig wird. Dies gilt es unter Compliance-Gesichtspunkten fortlaufend im Blick zu halten. Anderenfalls drohen höhere, nicht lediglich „symbolische“ Schadensersatzansprüche respektive Bußgelder. Einschlägige Schulungen helfen, die verantwortlichen Personen zu sensibilisieren.

Johannes Kaesbach

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1.4 Verfall von virtuellen Optionsrechten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses? 

Die Mitarbeiterbeteiligung in Form von Virtual Share Option Plans (VSOP) verspricht im Idealfall eine klassische Win-Win-Situation: Entwickelt sich das Unternehmen positiv, profitieren Beschäftigte finanziell über eine erfolgsabhängige Beteiligung; bleibt der wirtschaftliche Erfolg aus, entsteht dem Unternehmen keine Zusatzlast. Besonderes Konfliktpotenzial bergen Verfallklauseln bei vorzeitigem Ausscheiden des Beschäftigten. Das BAG hat solche Klauseln mit seinem Urteil vom 19.03.2025 – 10 AZR 67/24 nun eingeschränkt.

Das Unternehmen gewährte dem Beschäftigten im Rahmen eines VSOP-Programms 23 virtuelle Optionsrechte auf Basis einer vierjährigen Vesting-Periode (einschließlich eines einjährigen Cliffs). Nach der fristgerechten Eigenkündigung des Beschäftigten zum 31.08.2020 waren 31,25 % dieser virtuellen Optionen „gevestet“. Das Beteiligungsprogramm sah vor, dass diese entweder aufgrund von Eigenkündigung oder durch Zeitablauf verfallen sollten.

Das BAG stuft das VSOP-Programm als Allgemeine Geschäftsbedingungen ein und stellt zunächst klar, dass die bloße Verwendung englischer Fachbegriffe wie „vested“ oder „forfeited“ nicht zur Intransparenz im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB führe.

Gleichwohl hatten beide Verfallklauseln vor dem BAG keinen Bestand. Ausgangspunkt ist dabei die rechtliche Einordnung der gevesteten virtuellen Optionen. Das BAG attestierte dem streitgegenständlichen VSOP-Programm unter anderem deshalb Entgeltcharakter, weil der wirtschaftliche Wert der Optionen von der Unternehmensentwicklung abhänge, zu der der Beschäftigte mittelbar beitrage. Diese Verknüpfung liegt in der Natur von VSOPs und spricht dafür, sie künftig am Maßstab der AGB-Kontrolle für Leistungen mit Entgeltcharakter zu prüfen.

Vor diesem Hintergrund beanstandet das BAG zunächst die Klausel zum sofortigen Verfall aller gevesteten Optionen bei Eigenkündigung. Sie entziehe dem Beschäftigten bereits erdientes Entgelt und erschwere sein durch Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Kündigungsrecht in unzumutbarer Weise. Bemerkenswert ist, dass das BAG den sofortigen Verfall nicht per se für unwirksam erklärt. Vielmehr deutet es an, dass eine Differenzierung nach der Verantwortlichkeit für die Beendigung zulässig sein könnte. Auch die zweite Klausel, die einen gestaffelten Verfall binnen 24 Monaten vorsieht, hält der AGB-Kontrolle nicht stand. Das BAG kritisiert insbesondere, dass die Optionen in der Hälfte der Zeit wieder verfallen sollen, in der sie zuvor aufgebaut wurden. Eine solche Beschleunigung sei nicht gerechtfertigt.

VSOP-Programme bleiben auch nach dieser Entscheidung ein attraktives Instrument zur Mitarbeiterbindung – künftig sind sie allerdings mit noch größerer Sorgfalt zu gestalten. Zahlreiche Programme enthalten Klauseln, die aus heutiger Sicht rechtlich angreifbar sind. Sogenannte Bad-Leaver-Klauseln müssen überdacht werden. Erforderlich ist eine differenzierende Betrachtung nach der Verantwortlichkeit für die Beendigung. Auch zeitlich gestaffelte Verfallregelungen sind kein Selbstläufer mehr. Zumindest eine Kongruenz zwischen dem Zeitraum der Vesting-Phase und dem vorgesehenen Verfallzeitraum muss künftig eingehalten werden, um den Anforderungen an die Angemessenheit standzuhalten. Wer VSOPs auch in Zukunft als langfristiges Bindungsinstrument nutzen will, sollte ihre arbeitsrechtliche Ausgestaltung regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls nachjustieren. Das gilt nicht nur bei der Gestaltung neuer Programme.

Roman Braun

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1.5 ​​​​​Verzugszinsen die 1.: Vergütungsansprüche bei Eingruppierung

Das BAG hat am 29.01.2025 entschieden, dass Verzugszinsen bei verspäteter Zahlung geschuldeter Vergütungen auch bei umstrittenen Eingruppierungsfragen zu zahlen sind. Verzugszinsen können ab dem ersten Tag der Eingruppierung geltend gemacht werden.

Der Kläger war über 30 Jahre als LKW-Fahrer im öffentlichen Dienst tätig und wurde nach Entgeltgruppe 5 des TVÖD/VKA vergütet. Er machte geltend, dass seine Tätigkeit die Anforderungen der Entgeltgruppe 6 erfülle, da er ein Sonderfahrzeug mit integriertem Ladekran bedient habe. Die Beklagte wies die Ansprüche zurück und argumentierte, dass der Kläger keine formale Berufsausbildung als Berufskraftfahrer habe. Der Kläger forderte die Differenzvergütung für mehrere Jahre sowie Verzugszinsen für die verspätete Zahlung. Die Vorinstanz, das LAG München, hatte die Klage abgewiesen, da es die Eingruppierungskriterien anders bewertete.

Das BAG stellte klar (BAG, Urt. v. 29.01.2025 – 4 AZR 69/24), dass Verzugszinsen nach § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 BGB zu zahlen sind, wenn das Unternehmen mit der Zahlung in Verzug gerät. Die tarifliche Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TVÖD/VKA war durch die rechtzeitige Geltendmachung der Hauptforderung gewahrt. Ein Rechtsirrtum des Arbeitgebers, der sich auf die unklare Eingruppierungsfrage stützte, wurde nicht als entlastend anerkannt. Das BAG hob das Urteil des LAG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück, da die Eingruppierungskriterien nicht hinreichend geprüft wurden. Insbesondere müsse geklärt werden, ob die langjährige praktische Erfahrung des Klägers als gleichwertig zur formalen Berufsausbildung anzusehen sei.

Unternehmen sollten beachten, dass Verzugszinsen auch bei umstrittenen Eingruppierungsfragen geschuldet sind, sofern die tariflichen Ausschlussfristen eingehalten wurden. Ein Verweis auf einen Rechtsirrtum ist in der Regel nicht ausreichend, um Verzugszinsen zu vermeiden.

Jörn Kuhn

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1.6 Verzugszinsen die 2.: Sozialplanansprüche bei Anfechtung des Sozialplans

Das BAG hat am 28.01.2025 entschieden, dass Abfindungsansprüche aus einem Sozialplan zu dem im Sozialplan bestimmten Zeitpunkt fällig werden, selbst wenn der durch Spruch der Einigungsstelle ergangene Sozialplan gerichtlich angefochten wird. Verzugszinsen können ab dem im Sozialplan festgelegten Zeitpunkt der Fälligkeit geltend gemacht werden.

Die Klägerin war bis zum 31.07.2019 bei der Beklagten beschäftigt. Im Jahr 2018 wurde ein Sozialplan durch eine Einigungsstelle beschlossen, der Abfindungszahlungen für betroffene Beschäftigte vorsah. Nach den Regelungen des Sozialplans entstanden Ansprüche mit dem Abschluss des Sozialplans und wurden mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. Die Beklagte focht den Sozialplan an, da sie ihn für unwirksam hielt. Über die Anfechtung wurde erst im Jahr 2021 rechtskräftig entschieden, wobei die Gerichte in allen Instanzen die Wirksamkeit des Sozialplans bestätigten. Die Beklagte zahlte die Abfindung der Klägerin erst nach Abschluss des Verfahrens im Jahr 2021. Daraufhin forderte die Klägerin Verzugszinsen für den Zeitraum zwischen der Fälligkeit der Abfindung und der tatsächlichen Zahlung.

Das BAG stellte klar (BAG, Urt. v. 28.01.2025 – 1 AZR 73/24), dass die Fälligkeit der Abfindung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintritt, sofern der Sozialplan keinen anderen Zeitpunkt vorsieht. Eine gerichtliche Anfechtung des Sozialplans habe keine aufschiebende Wirkung auf die Fälligkeit der Ansprüche. Das Unternehmen befand sich daher ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit im Verzug, ohne dass es einer Mahnung bedurfte. Das Gericht betonte, dass ein Rechtsirrtum des Unternehmen, das sich auf die Anfechtung des Sozialplans und die Unsicherheit der Zahlungsverpflichtung stützte, nicht entlastend wirkt.

Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass das Hinauszögern von Abfindungszahlungen in vergleichbaren Situationen, in denen der Sozialplan angefochten wurde, zu weiteren Kostensteigerungen führt. Man kann aus Unternehmenssicht etwaige Rückforderungsansprüche für den Fall der erfolgreichen Anfechtung und nachfolgend geringerer Zahlungsverpflichtungen nur insoweit versuchen zu realisieren, als dass die Beschäftigten mit der Zahlung der Abfindung auf die Anfechtung und etwaige Konsequenzen hingewiesen werden. Das dürfte auch den Einwand der Entreicherung von ehemaligen Beschäftigten ins Leere laufen lassen.

Jörn Kuhn

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1.7 Mehrfache (aktive) Wahlberechtigung von Matrixführungskräften:
Neue Herausforderung bei kommenden Betriebsratswahlen

Das BAG dehnt seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Matrixführungskräften aus und stellt klar, dass diese gleich in mehreren Betrieben desselben Unternehmens bei einer Betriebsratswahl aktiv wahlberechtigt sind. Pünktlich zu den turnusmäßigen Betriebsratswahlen im kommenden Jahr schafft dies für Unternehmen in gelebten Matrix-Strukturen zumindest einen nicht zu unterschätzenden Prüfungsaufwand.

Der Entscheidung des BAG vom 22.05.2025 – 7 ABR 28/24, die bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, ging der Beschluss des LAG Baden-Württemberg vom 13.06.2024 – 3 TaBV 1/24 voraus, der das mehrfache Wahlrecht einer Matrixführungskraft in unterschiedlichen Betrieben des Vertragsarbeitgebers abgelehnt hatte. Diametral hierzu hatte das LAG Hessen am 22.01.2024 – 2 BV 860/22 entschieden, dass Beschäftigte, die in mehreren Betrieben „eingegliedert“ sind, auch in all diesen Betrieben aktiv wahlberechtigt seien (vgl. Beitrag im Fokus Arbeitsrecht 4. Quartal 2024).

Das BAG stellte nun klar, dass die Wahlberechtigung eines Beschäftigten bei der Betriebsratswahl in einem Betrieb von seiner Eingliederung in die Betriebsorganisation abhängt. Eine bereits bestehende Eingliederung in einen Betrieb schließe die Wahlberechtigung in einem weiteren Betrieb des Unternehmens nicht aus, sodass eine doppelte Wahlberechtigung durchaus möglich sei. Entscheidend sei, wann eine solche Eingliederung vorliege.

In vorangegangenen Entscheidungen führte das BAG aus, dass alleine die fachliche und/oder disziplinarische Weisungsbefugnis über Mitarbeiter eines anderen Betriebs nicht ausreichend sei. Ob eine Führungskraft in die Arbeitsabläufe eines Betriebs eingebunden ist, sei durch eine Einzelfallprüfung zu klären, wobei eine Tätigkeit vor Ort im Betrieb nicht zwingend erforderlich sei (BAG, Beschl. v. 26.05.2021 – 7 ABR 17/20; 14.06.2022 – 1 ABR 13/21). Die nun vorliegende neue Pressemitteilung des BAG liest sich allerdings so, dass es schon ausreichend sein könnte, wenn lediglich fachliche Weisungen gegenüber Beschäftigten ausgeübt werden, damit eine Zuordnung und so auch Wahlberechtigung in einem Betrieb vorliegt.

Die Entscheidung des BAG wird massive Auswirkungen auf die Betriebsratswahlen im kommenden Jahr haben. Unternehmen sind gut beraten, zu prüfen, ob und in welchen Betrieben ihre Matrixführungskräfte eingegliedert sind, da dies größere Betriebsratsgremien (§ 9 BetrVG) und Freistellungen (§ 38 BetrVG) nach sich ziehen kann. Da Streitfälle mit den Betriebsräten vorprogrammiert sein dürften, sollten sich Unternehmen frühzeitig auf Wahlanfechtungen vorbereiten.

Das BAG sorgt allerdings nicht nur für Klarheit: Offen bleibt weiterhin, wie die Wahlberechtigung in unternehmensübergreifenden Matrixorganisationen, insbesondere im Konzernverbund oder mit Auslandbezug, in denen andere Vertragsarbeitgeber involviert sind, zu bewerten ist. Hierzu äußerte sich zuletzt das LAG Bremen 2024 und vertrat die Auffassung, dass auch eine ausländische Matrixführungskraft in einen deutschen Betrieb eingegliedert werden (Beschl. v. 02.05.2024 – 2 TABV 2/23). Unklar ist aber, ob solche ausländischen Matrixführungskräfte im deutschen Betrieb aktiv oder sogar passiv wahlberechtigt sind und ob Betriebsvereinbarungen für sie gelten, obwohl sie bei einem ausländischen Vertragsarbeitgeber im Ausland tätig sind. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG künftig so weit gehen wird. Die Zweifel an einer solchen weiteren Rechtsfortschreibung dürften indes groß sein.

Um zur Vorbereitung der Betriebsratswahlen die korrekte Größe der Gremien für das kommende Jahr schneller und einfacher zu ermitteln, stellen wir Ihnen in Kürze unser Legal Tech Schwellenwerttool zur Verfügung. Sprechen Sie uns gerne an.

Annabelle Marceau & Alexandra Groth

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2. Gesetzgebung: Reform des Mutterschutzgesetzes

Zum 01.06.2024 ist die Reform des Mutterschutzgesetzes in Kraft getreten. Damit wird der Schutz von Beschäftigten nach Fehlgeburten deutlich gestärkt und eine bisher bestehende rechtliche Lücke geschlossen.

Bislang galt der gesetzliche Mutterschutz nur bei Lebendgeburten oder Totgeburten nach der 24. Schwangerschaftswoche. Fehlgeburten vor diesem Zeitpunkt blieben mutterschutzrechtlich unberücksichtigt. Betroffene Beschäftigte hatten weder Anspruch auf eine Schutzfrist noch auf Mutterschaftsleistungen.

Diese gesetzliche Lücke hat der Gesetzgeber erkannt und führt mit der Reform des Mutterschutzgesetzes gestaffelte Schutzfristen nach Fehlgeburten ein:

  • Fehlgeburt ab der 13. Woche: Schutzfrist von 2 Wochen
  • Fehlgeburt ab der 17. Woche: Schutzfrist von 6 Wochen
  • Fehlgeburt ab der 20. Woche: Schutzfrist von 8 Wochen

Vor der Gesetzesänderung mussten viele Beschäftigte unmittelbar nach einer Fehlgeburt wieder arbeiten oder konnten sich lediglich durch eine Krankschreibung schützen. Mit der Reform wird nun ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot während der Schutzfrist eingeführt. Unternehmen müssen dies in der Personalplanung und Arbeitsorganisation berücksichtigen.

Während der Schutzfrist erhalten Betroffene Mutterschaftsgeld und Unternehmen sind verpflichtet, den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld zu leisten. Sie können sich die Aufwendungen jedoch wie gewohnt über die U2-Umlageversicherung vollständig erstatten lassen. Dadurch wird ein finanzieller Ausgleich geschaffen, der Unternehmen entlastet und gleichzeitig die betroffenen Beschäftigten unterstützt.

Die Reform des Mutterschutzgesetzes erkennt die besondere psychische und physische Belastung betroffener Beschäftigte an und bringt für sie eine längst überfällige Verbesserung. Gleichzeitig bietet sie klare rechtliche Rahmenbedingungen für Unternehmen, um den Schutz und die Unterstützung betroffener Beschäftigte sicherzustellen.

Fatoumata Kaba

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3. HR neu denken! – Hochrisiko-KI im HR-Bereich

Die EU hat mit der KI-Verordnung („KI-VO“) den weltweit ersten umfassenden Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz geschaffen. Besonders im HR-Bereich, wo KI vielfältige Einsatzmöglichkeiten bietet, sind die neuen Regelungen von großer Bedeutung. Seit August 2024 ist die KI-VO in Kraft und bereits seit Februar dieses Jahres sind die arbeitgeberseitigen Schulungspflichten aus Art. 4 KI-VO und die Vorschriften zu verbotenen KI-Praktiken nach Art. 5 KI-VO anwendbar. Ab dem 2. August 2026 gelten auch die spezifischen Pflichten für Hochrisiko-KI-Systeme, die im HR-Bereich eine zentrale Rolle spielen. Da die Implementierung von IT-Systemen in Unternehmen grundsätzlich – und insbesondere vor dem Hintergrund der strengen Anforderungen an KI-Systeme – erhebliche Zeit in Anspruch nehmen kann, geben wir Ihnen bereits jetzt einen Überblick darüber, welche KI-Systeme unter der KI-VO im HR-Bereich als hochriskant eingestuft werden und welche Pflichten für Unternehmen daraus folgen.

1. Was ist ein KI-System?

Der Begriff des „KI-Systems“ ist zentraler Anknüpfungspunkt der KI-VO. Ein KI-System ist nach Art. 3 Nr. 1 KI-VO eine Software, die nicht allein auf vom Menschen programmierten Regeln basiert, sondern selbst ableitet, wie Ausgaben erstellt werden. Viele Softwareprogramme nutzen bereits sog. Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT, DeepSeek, Claude oder andere KI-Modelle. Nur solche Software, die rein deterministisch arbeiten, gelten nicht als KI im Sinne der KI-VO.

2. Hochrisiko-KI-Systeme im HR-Bereich

Die KI-VO teilt KI-Systeme in verschiedene Risikokategorien ein: Systeme, die verbotene Praktiken umsetzen (Art. 5 KI-VO), Hochrisiko-Systeme (Art. 6 KI-VO) und Systeme mit geringem Risiko. Den Schwerpunkt der Regulierung bilden dabei die Hochrisiko-Systeme. Im HR-Bereich besteht ein besonders großes Risiko. Denn folgende Anwendungen im HR-Bereich sind als hochriskant eingestuft:

  1. Personalauswahl und Recruiting: Systeme, die Bewerbungen sichten und bewerten, etwa automatisierte Kandidaten-Screening-Tools wie „Workday Recruiting“,personalisierte Kommunikation mit Bewerbenden wie „Cornerstone – Galaxy“ oder Video-Interview-Plattformen mit Sprachanalysen wie „My Interview“.
  2. Entscheidungen über Arbeitsbedingungen: Systeme, die Gehaltserhöhungen, Beförderungen oder Kündigungen beeinflussen, auch bekannt als sog. „Human Capital Management-Systeme (HCM-Systeme) wie beispielsweise „Workday“.
  3. Zuweisung von Aufgaben und Personaleinsatzplanung: Systeme, die Aufgaben basierend auf individuellem Verhalten oder persönlichen Eigenschaften zuweisen (Task Management Systeme) wie beispielsweise „Asana“ und Tools zur individuellen Personaleinsatzplanung, die den Personalbedarf vorhersagen und Anomalien – wie Überstunden – erkennen, so beispielsweise das KI-gestützte Workforcemanagement-Tool von „UKG (Ultimate Kronos Group)“.
  4. Überwachung und Bewertung von Mitarbeitenden: Tools, die Leistung oder Verhalten von Beschäftigten analysieren, etwa durch die Auswertung von Arbeitsmustern oder Performance wie beispielsweise „Microsoft Viva Insights“.

Art. 6 Abs. 2 i. V. m. Anhang III Nr. 4 KI-VO regelt, welche Systeme als Hochrisiko-KI gelten. Die Definitionen sind weit gefasst, sodass HR-Software bereits dann der strengen Regulierung für Hochrisiko-KI-Systeme unterfällt, wenn sie nur eine Funktion beinhaltet, die in einen der genannten Bereiche fällt.

Vor allem Punkt (d) könnte ein großes Einfallstor sein, denn er ähnelt stark dem Wortlaut des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, wonach Mitbestimmungsrechte bei der Einführung technischer Einrichtungen bestehen, die das Verhalten oder die Leistung von Beschäftigten überwachen. Nach der Rechtsprechung ist dies letztlich bei jeder Software, die Beschäftigtendaten verarbeitet, der Fall. Würde dies auf die KI-VO übertragen, wäre jede HR-Software, die KI nutzt, ein Hochrisiko-KI-System. Selbst harmlose KI-gestützte Anwendungen in Zeiterfassungssystemen, Tools zur Urlaubsplanung oder Programme zur Erstellung von Leistungsberichten könnten danach unter die strengen Anforderungen für Hochrisiko-KI fallen.

Derzeit wirbt die Mehrzahl der Softwareanbieter mit KI-gestützten Funktionen. Ob es sich bei dem angebotenen System aber tatsächlich um ein KI-System oder gar ein Hochrisiko-System im Sinne der KI-VO handelt, bedarf einer genauen Analyse. Spätestens mit Inkrafttreten der spezifischen Pflichten bei Hochrisiko-KI-Systemen ab dem 02.08.2026 werden auch die Software-Anbieter ihre Marketing-Slogans anpassen.

Eine Rettungsmöglichkeit bestünde dann nur noch gemäß Art. 6 Abs. 3 KI-VO, der Systeme aus dem Hochrisiko-Bereich ausnimmt, die lediglich vorbereitende Aufgaben übernehmen oder Daten strukturieren, ohne eigenständige inhaltliche Bewertungen vorzunehmen.

3. Pflichten für Nutzer von Hochrisiko-KI-Systemen

Unternehmen, die KI-gestützte HR-Tools einsetzen, beziehen die Systeme häufig als Lösungen von spezialisierten Anbietern. In diesen Fällen sind die Unternehmen nicht Anbieter des KI-Systems, da sie es nicht selbst entwickelt haben (Art. 3 Nr. 8 KI-VO). Stattdessen nehmen sie die Rolle des Betreibers ein (Art. 3 Nr. 4 KI-VO) und unterliegen damit bei dem Einsatz von Hochrisiko-KI strengen gesetzlichen Anforderungen, die darauf abzielen, die Sicherheit und Grundrechte der betroffenen Beschäftigten zu schützen und gleichzeitig Innovationen in der EU zu fördern. Diese Anforderungen umfassen nach Art. 26 KI-VO insbesondere:

  • Betriebsanleitung einhalten (Abs. 1): Betreiber müssen sicherstellen, dass das KI-System gemäß der vom Anbieter beigefügten Betriebsanleitung verwendet wird.
  • Menschliche Aufsicht gewährleisten (Abs. 2): Die Überwachung des KI-Systems muss qualifizierten Personen übertragen werden, die über die erforderliche Kompetenz und Befugnis verfügen.
  • Eingabedaten prüfen (Abs. 4): Betreiber sind verpflichtet, sicherzustellen, dass die Eingabedaten der Zweckbestimmung des KI-Systems entsprechen und ausreichend repräsentativ sind.
  • Betriebsüberwachung und Meldung (Abs. 5): Betreiber müssen den Betrieb des KI-Systems kontinuierlich überwachen und bei Risiken oder schwerwiegenden Vorfällen unverzüglich den Anbieter, Händler und die zuständigen Behörden informieren.
  • Protokollaufbewahrung (Abs. 6): Betreiber müssen automatisch erzeugte Protokolle des KI-Systems für mindestens sechs Monate aufbewahren, sofern keine anderen rechtlichen Vorgaben gelten.
  • Information der Beschäftigten und ihrer Vertreter (Abs. 7): Vor der Inbetriebnahme eines Hochrisiko-KI-Systems am Arbeitsplatz sind Beschäftigte und ihre Vertreter, mithin Betriebsräte, über die Verwendung des Systems zu informieren.

Bereits seit Februar dieses Jahres sind Unternehmen darüber hinaus unabhängig vom Risikograd eines KI-Systems verpflichtet, ihre mit KI-Systemen befassten Beschäftigten zu schulen, Art. 4 KI-VO. Dabei sind technische Kenntnisse, berufliche Erfahrungen, Aus- und Weiterbildungen sowie der spezifische Kontext des KI-Einsatzes zu berücksichtigen.

4. Konsequenzen bei Verstößen und Handlungsempfehlungen

Die KI-Verordnung sieht in Art. 99 KI-VO empfindliche Sanktionen bei Verstößen gegen die KI-VO vor. Bei Verstößen gegen die Pflichten für Hochrisiko-KI-Systeme drohen Strafen von bis zu 15 Millionen Euro oder 3 % des weltweiten Jahresumsatzes, Art. 99 Abs. 4 KI-VO.

Um rechtzeitig vorbereitet zu sein, sollten Unternehmen bereits jetzt folgende Maßnahmen ergreifen:

  • Bestandsaufnahme: Identifizieren Sie, ob Ihr Unternehmen KI-Systeme einsetzt und diese als hochriskant eingestuft werden könnten.
  • Compliance sicherstellen: Entwickeln Sie eine für Ihr Unternehmen passende AI-Governance.
  • Schulungen durchführen: Stellen Sie sicher, dass Beschäftigte über die notwendige KI-Kompetenz verfügen.
  • Zusammenarbeit fördern: Binden Sie – falls notwendig – frühzeitig Betriebsräte, Datenschutzbeauftragte und Fachabteilungen ein.

Fazit

Die Nutzung von KI-Systemen im HR-Bereich eröffnet Unternehmen vielfältige Möglichkeiten, Prozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten. Gleichzeitig bringt sie jedoch bei Verstößen gegen die strengen Vorgaben der KI-Verordnung erhebliche Haftungsrisiken mit sich. Für Unternehmen ist es essenziell, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Risiken zu begegnen: Von der Identifikation potenziell hochriskanter KI-Systeme über die Entwicklung einer unternehmensspezifischen AI-Governance bis hin zur Schulung der Beschäftigten. Gerne unterstützen wir Sie dabei.

Annabelle Marceau & Kathrin Vossen

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Dr. Johannes Kaesbach

Dr. Johannes Kaesbach

Junior PartnerRechtsanwaltFachanwalt für Arbeitsrecht

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