Klarheit bei der Arbeitszeiterfassung: Die Entscheidungsgründe zum Stechuhr-Urteil des BAG

Am vergangenen Freitag, den 2. Dezember 2022 wurden die mit Spannung erwarteten Entscheidungsgründe im Stechuhr-Urteil des BAG veröffentlicht. Mit erstaunlicher Klarheit nimmt der Senat unter dem Vorsitz von Inken Gallner zu zuvor aufgeworfenen Praxisfragen bei der Arbeitszeiterfassung Stellung. Wir erklären, worauf Unternehmen nun achten müssen.

Das BAG hatte am 13. September 2022 in einer oftmals als „Paukenschlag“ (1 ABR 22/21) bezeichneten Entscheidung eine Pflicht zur Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG abgeleitet. Wir berichteten hierzu ebenfalls in unseren Beiträgen Elektronische Zeiterfassung – BAG schafft Klarheit und Unsicherheit zugleich und Elektronische Zeiterfassung – BAG eröffnet Compliance-Risiko für Unternehmen. Die seiner Zeit verfasste Pressemitteilung des BAG warf allerdings eine Vielzahl an Fragen auf. Dazu gehörte beispielsweise, ob Arbeitszeiten zwingend elektronisch erfasst werden müssen, oder ob der oftmals genutzte händische „Stundenzettel“ (weiterhin) ausreichend ist. Nun hat das BAG mit erstaunlicher Klarheit zu den aufgeworfenen Fragen in seinen Entscheidungsgründen Stellung genommen.

Zur Erinnerung: Dem BAG lag der Fall zugrunde, dass ein Betriebsrat ein Initiativrecht bei der Einführung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems geltend machte. Unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung des LAG Hamm (Beschl. v. 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20) lehnte das BAG dies allerdings mit der Begründung ab, dass sich eine Verpflichtung zur Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten bereits aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ergebe. Deshalb bestehe für ein Initiativrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Eingangshalbsatz BetrVG kein Raum mehr.

Das BAG führt in den jetzt veröffentlichten Entscheidungsgründen aus, dass bereits der EuGH in seiner CCOO-Entscheidung (Urt. v. 14.05.2019 – C-55/18) festgestellt habe, dass Arbeitgeber verpflichtet seien, ein objektives, verlässliches und zugängliches System für die Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten einzurichten. Das ergebe sich unter anderem aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG (sog. Arbeitsschutzrichtlinie). Dieser wiederum sei durch § 3 ArbSchG fast wortidentisch in nationales Recht umgesetzt worden. Dementsprechend besteht bereits heute nach deutschem Recht die Verpflichtung von Unternehmen zur Erfassung der Arbeitszeiten.

Nach der Veröffentlichung der knappen Pressemitteilung des BAG kamen insbesondere in der Unternehmerschaft eine Vielzahl von Fragen auf, zu denen das BAG in seinen Entscheidungsgründen nun Stellung genommen hat:

  • Unternehmen sind bereits jetzt verpflichtet, ein System zur Erfassung von Arbeitszeiten einzuführen und auch zu nutzen.
  • Eine elektronische Arbeitszeiterfassung ist nicht zwingend erforderlich, vielmehr kann auch (weiterhin) ein händischer Stundenzettel genutzt werden, um Arbeitszeiten zu erfassen. Unternehmen haben bei der Wahl des Zeiterfassungssystems die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Beschäftigten sowie die Eigenheiten des Unternehmens, insbesondere seine Größe, zu berücksichtigen. Rein wirtschaftliche Erwägungen genügen nicht.
  • Die Einführung eines unternehmensweit einheitlichen Zeiterfassungssystems ist nicht erforderlich. Es kann zwischen verschiedenen Arten von Tätigkeiten differenziert werden.
  • Die tatsächliche Aufzeichnung der Arbeitszeiten kann auf die Beschäftigten delegiert werden.
  • Eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung leitender Angestellter besteht nach Auffassung des BAG nicht. Aus einem Erst-recht-Schluss kann hieraus abgeleitet werden, dass Arbeitszeiten von Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern ebenfalls nicht erfasst werden müssen. Die vom BAG an dieser Stelle angewandte Dogmatik erscheint allerdings mehr als fragwürdig, da ein Ausnahmetatbestand des ArbZG auf eine generelle Regelung des ArbSchG angewandt wird.
  • Auch eine Vertrauensarbeitszeit dürfte nach unserem Dafürhalten weiterhin möglich sein, sofern man hierunter die Entscheidungsfreiheit bei der Lage der Arbeitszeit versteht. Unter Beachtung der Vorgaben des ArbZG und der Pflicht zur Zeiterfassung aus dem ArbSchG kann die Vertrauensarbeitszeit weiterhin gelebt werden.

Die Entscheidungsgründe des BAG schaffen – wenn auch mit zum Teil fragwürdiger Begründung – Klarheit für viele Unternehmen. Gleichwohl stellt das BAG seine rechtliche Entscheidung unter den Vorbehalt zukünftiger Änderungen durch den Gesetzgeber und spielt somit den Ball eindeutig nach Berlin.

Es bleibt abzuwarten, wie die Ampel-Koalition im kommenden Jahr mit den Entscheidungsgründen und den bisher geltenden gesetzlichen Regelungen umgehen wird.

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