Arbeitsrecht13.09.2022 Newsletter

Elektronische Zeiterfassung – BAG schafft Klarheit und Unsicherheit zugleich

Bei der Einführung von Zeiterfassungssystemen im Unternehmen steht dem Betriebsrat kein Initiativrecht zu. Soweit zu erwarten, bestätigte das BAG heute (Beschluss vom 13.9.2022 – 1 ABR 22/21) seine bisherige Rechtsprechung. Gleichzeitig sorgt das BAG mit seinem Beschluss für einen Paukenschlag in der Diskussion zur Arbeitszeiterfassung: Nach Auffassung der Erfurter Richter besteht schon heute bei unionskonformer Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes eine Verpflichtung der Arbeitgeber, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.

Dem Betriebsrat steht neben der Frage nach Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen zu, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Bereits mit Beschluss vom 28.11.1989 – 1 ABR 97/88 hat das BAG entschieden, dass der Betriebsrat im Rahmen seines Mitbestimmungsrechtes kein Initiativrecht bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung hat. Hiervon ist das BAG auch heute nicht abgerückt.

Dem heutigen Beschluss des BAG liegt der Streit der Betriebsparteien vor dem Hintergrund eines Einigungsstellenverfahrens zugrunde, ob der Betriebsrat auch gegen den Willen des Arbeitgebers die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung verlangen könne. Nachdem der Arbeitgeber zunächst ein elektronisches Zeiterfassungssystem einführen wollte, nahm er schließlich doch von der Nutzung eines solchen Systems Abstand und brach die Verhandlungen mit dem Betriebsrat über die Einführung eines solchen Systems ab. Daraufhin leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle ein. Der Arbeitgeber rügte vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des BAG, dass dem Betriebsrat ein Initiativrecht für die Einführung einer solchen technischen Einrichtung fehle. Die Einigungsstelle wurde daraufhin ausgesetzt, um die Frage gerichtlich zu klären.

Während das Arbeitsgericht Minden der bisherigen BAG-Rechtsprechung folgend ein Initiativrecht ablehnte, entschied das LAG Hamm überraschend im Sinne des Betriebsrats. Das LAG Hamm begründete seine Entscheidung im Wesentlichen mit dem Wortlaut von § 87 Abs. 1 BetrVG, der explizit die „Einführung“ technischer Systeme miteinschließe. Zum anderen habe der Gesetzgeber eine punktuelle Einschränkung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hinsichtlich des Initiativrechts unterlassen.

Kein Initiativrecht des Betriebsrates aufgrund gesetzlicher Regelungen

Das BAG hat heute den Beschluss des LAG Hamm kassiert und an seiner bisherigen restriktiven Rechtsprechung hinsichtlich eines Initiativrechts des Betriebsrates festgehalten. Aufatmen lässt der Beschluss des BAG Arbeitgeber dennoch nicht, da die arbeitsrechtliche Sprengkraft in der Begründung der heutigen Entscheidung liegt: Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs.1 BetrVG bestehe nur, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht bestünde. Arbeitgeber seien aber bereits nach unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr.1 ArbSchG gesetzlich verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die Arbeitszeit der Beschäftigten erfasst werden kann.

Was bedeutet der Beschluss für Arbeitgeber in der Praxis?

Selbst wenn das BAG heute ein Initiativrecht des Betriebsrates zur Einführung eines (elektronischen) Zeiterfassungssystems abgelehnt hat, hat die Entscheidung für Arbeitgeber weitreichende Konsequenzen: Während nähere Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung durch den Gesetzgeber weiterhin auf sich warten lassen, dürfte mit der Entscheidung der Erfurter Richter eine Vielzahl der derzeit praktizierten Vertrauensarbeitszeitmodelle hinfällig werden. Klar ist, dass das BAG ohne Tätigwerden des Gesetzgebers schon heute eine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber sieht, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer mit Hilfe eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zu erfassen. Was konkret darunter zu verstehen ist, bleibt jedenfalls nach der Pressemitteilung weiterhin offen.

Auch die Folgen bei einem Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht sind weiterhin unklar, da das Arbeitsschutzgesetz keine unmittelbaren Folgen an einen Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG knüpft. Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungsgründe hierzu noch nähere Informationen liefern werden.

Die Entscheidung könnte allerdings auch als Einladung an den Gesetzgeber verstanden werden, durch eine Rechtsverordnung nach § 18 Abs. 1 ArbSchG eine konkrete Regelung zur Ausgestaltung von Arbeitszeiterfassungssystemen zu erlassen, deren Verstoß dann nach § 25 ArbSchG bußgeldbehaftet wäre. Hier liegt der Ball aber nun beim Gesetzgeber.

Wie weit die Auswirkungen des heutigen Urteils reichen, werden die nächsten Wochen und die dann vorliegende Urteilsbegründung zeigen. Nicht ausgeschlossen erscheint eine Wirkung weit über die bloße Frage der technischen Zeiterfassung hinaus: Denkbar wäre, dass Arbeitnehmer bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG beispielsweise in Burn-out-Fällen unmittelbar einen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber ableiten könnten.

Insofern hat das BAG mit ein- und derselben Entscheidung Klarheit und Unsicherheit zugleich geschaffen.

Wir haben hier eine Checkliste mit ersten Praxishinweisen zum Umgang mit der Verpflichtung zur Dokumentation der Arbeitszeit für Sie erstellt (PDF).

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Alexandra Groth

Alexandra Groth

PartnerinRechtsanwältinFachanwältin für Arbeitsrecht

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