Arbeitsrecht28.06.2019 Newsletter

Newsletter Arbeitsrecht II/2019

Für viel medialen Aufruhr sorgte im 2. Quartal des Jahres 2019 die Entscheidung des EuGH vom 14.5.2019 (Az. C-55/18) zur Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, Arbeitgebern die Implementierung eines wirksamen und zugänglichen Arbeitszeiterfassungssystems aufzugeben, mit dem die tatsächlich von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit täglich, objektiv und verlässlich gemessen werden kann (wir berichteten darüber bereits mit unserem Newsflash vom 14.5.2019). Nicht zu Unrecht wird in diesem Urteil der Anfang vom Ende der Vertrauensarbeitszeit gesehen. Wie der deutsche Gesetzgeber diese Vorgaben umsetzen und welche Änderungen er gegebenenfalls am ArbZG vornehmen wird, ist derzeit noch unklar. Vor Ende 2019 wird dazu auch nichts aus dem zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu erwarten sein. Der EuGH hat den Mitgliedsstaaten jedenfalls ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, bei der Ausgestaltung einer derartigen Verpflichtung etwaige Besonderheiten einer Branche oder eines Unternehmens ebenso berücksichtigen zu können wie die Größe eines Unternehmens. Wie und in welchem Maße der Gesetzgeber davon Gebrauch machen wird, bleibt abzuwarten.

 

1. Aktuelle Rechtsprechung

1.1 Massenentlassung und Kündigungsentschluss vor Anzeige

1.2 Anforderungen an den vorübergehenden Bedarf für eine Sachgrundbefristung bei Projektarbeiten

1.3 Keine Einschränkung der arbeitgeberseitigen Organisationsfreiheit durch § 164 Abs. 4 SGB IX

1.4 Anwendung des AGG auf Fremdgeschäftsführer einer GmbH

1.5 Kein Unterlassungsanspruch bei unzulässiger Rechtsausübung durch den Betriebsrat

1.6 Unterrichtung des Betriebsrats über Arbeitsunfälle Dritter

1.7 Angemessenheit der Betriebsratsvergütung

1.8 Ärzte und Pflegekräfte auf Honorarbasis sind regelmäßig keine Freiberufler

 

2. Rechtsentwicklungen

2.1 Neue EU-Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen verabschiedet

 

1. Aktuelle Rechtsprechung
 

1.1 Massenentlassung und Kündigungsentschluss vor Anzeige

Das BAG hat kürzlich in einem Urteil vom 13.6.2019 (Az. 6 AZR 459/18), welches bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, entschieden, dass eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG auch dann wirksam erstattet werden kann, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist. Maßgeblich ist, dass die Anzeige eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugeht.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall erstattete der Insolvenzverwalter eine Massenentlassungsanzeige, welche bei der Agentur für Arbeit am 26.6.2017 einging. Mit Schreiben vom gleichen Tage kündigte der Insolvenzverwalter sodann 45 Beschäftigten einschließlich dem Kläger, wobei das Kündigungsschreiben dem Kläger am nächsten Tag zuging. In der Folgezeit rügte der Kläger die Wirksamkeit der Kündigung mit der Begründung, dass die Unterschrift unter dem Kündigungsschreiben die Kündigungsentscheidung manifestiere, weshalb dadurch die Kündigungserklärung konstitutiv geschaffen werde. Daher dürfe die Unterzeichnung erst nach dem Eingang der Massenentlassungsanzeige erfolgen.

Das BAG stellte klar, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Massenentlassungsanzeige ausschließlich beschäftigungspolitischen Zwecken dient. Die Agentur für Arbeit soll sich auf die Massenentlassung und damit auf die dadurch anfallenden Vermittlungsbemühungen einstellen können. Nicht jedoch kann, soll und will sie Einfluss auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nehmen. Zum Zeitpunkt der Anzeige müsse vielmehr bereits feststehen, wie vielen und welchen Arbeitnehmern konkret gekündigt werden soll, da allein dies maßgeblich für die Agentur für Arbeit ist.

Das BAG hat damit einen Streit in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung zu § 17 KSchG beigelegt und sich für die Arbeitgeberseite positioniert. So hatte sich jüngst das LAG Berlin-Brandenburg in zwei Entscheidungen (Urteile vom 25.4.2019, Az. 21 Sa 1534/18, und 9.5.2019, Az. 18 Sa 1449/18) bereits in gleicher Weise entschieden und dem Arbeitgeber das Recht zugestanden, schon vor dem Eingang der Massenentlassungsanzeige zur Kündigung entschlossen zu sein. Erfreulich ist die Entscheidung vor dem Hintergrund des Urteils der Vorinstanz (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.8.2018, Az. 12 Sa 17/18), das letztes Jahr in der Praxis für große Verwirrung sorgte. Mit dem Urteil schafft das BAG nun Sicherheit für den Arbeitgeber.

Cornelia-Cristina Scupra

 

1.2 Anforderungen an den vorübergehenden Bedarf für eine Sachgrundbefristung bei Projektarbeiten

Mit Urteil vom 21.11.2018 (Az. 7 AZR 234/17) hat das BAG entschieden, dass ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrages nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG vorliegt, wenn es sich bei den Projekttätigkeiten nicht um ständige, im Wesentlichen unverändert anfallende Aufgaben handelt, die einen auf längere Zeit planbaren Personalbedarf mit sich bringen.

Die Parteien stritten um die Wirksamkeit der Sachgrundbefristung des Arbeitsvertrages der Klägerin. Diese war bei der Beklagten zunächst als Sachbearbeiterin und später dann als Projektleiterin auf Grundlage mehrerer befristeter, hintereinander geschalteter Arbeitsverträge tätig. Die im letzten Arbeitsvertrag vereinbarte Tätigkeit der Klägerin bezog sich auf die Abwicklung eines zeitlich befristeten Projektes der Beklagten. Mit Beendigung des Projektes endete auch die Tätigkeit der Klägerin. Hiergegen wendete sich die Klägerin mit einer Befristungskontrollklage.

Das BAG wies, wie schon die Vorinstanzen, die Klage mit der Begründung ab, dass für die Sachgrundbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG für den nur vorübergehenden betrieblichen Bedarf an der Arbeitsleistung entscheidend sei, ob die Tätigkeit im Rahmen des Betriebszwecks ihrer Art nach im Wesentlichen unverändert und kontinuierlich anfällt. Ist dies der Fall, soll es sich um eine Daueraufgabe handeln. Hiervon abzugrenzen sind Zusatzaufgaben, die nur für eine begrenzte Zeit durchzuführen sind und deshalb keinen vorhersehbaren Personalbedarf mit sich bringen. Allein aus der Tatsache, dass ein Arbeitgeber regelmäßig in erheblichem Umfang Projekte durchführt, ergibt sich nicht zwingend, dass es sich um Daueraufgaben handelt. Der durch die einzelnen Projekte ausgelöste Personalbedarf war jedenfalls für die Beklagte nicht langfristig planbar, sodass die Befristung sachlich gerechtfertigt war.

Das BAG hat mit seiner Entscheidung wertvolle Hinweise für die Voraussetzungen der Projektbefristung gegeben. Arbeitgeber sollten Abstand davon nehmen, einzelne dauerhaft anfallende Tätigkeiten als Projekte zu deklarieren, um so eine Sachgrundbefristung zu ermöglichen. Auch die Projektbefristung will daher sorgsam geprüft sein.

Alexandra Groth

 

1.3 Keine Einschränkung der arbeitgeberseitigen Organisationsfreiheit durch § 164 Abs. 4 SGB IX

Der Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf eine der gesundheitlichen Situation angepasste Durchführung des Arbeitsverhältnisses aus § 164 Abs. 4 SGB IX ist sehr weitreichend und umfasst neben einer allgemeinen behinderungsgerechten Beschäftigung, besonderer beruflicher Fortbildung und Gestaltung des Arbeitsplatzes, der Arbeitszeit und des Arbeitsumfeldes auch eine behinderungsgerechte Arbeitsorganisation.

Dass dieser Anspruch aber keine Einschränkung der unternehmerischen Organisationsfreiheit bedeutet, hat das BAG nun mit Urteil vom 16.5.2019 klargestellt (Az. 6 AZR 329/18). Die beklagte Arbeitgeberin hatte im Rahmen eines Arbeitsplatzabbaus während der Insolvenz nach Zustimmung des Integrationsamtes auch das Arbeitsverhältnis des schwerbehinderten Klägers gekündigt. Der Kläger berief sich im Kündigungsschutzprozess darauf, dass die Beklagte in Anbetracht seines umfassenden Beschäftigungsanspruchs die getroffene Organisationsentscheidung, die zum Wegfall seines Arbeitsplatzes geführt hatte, rückgängig machen müsse oder alternativ einen neuen, geeigneten Arbeitsplatz zu schaffen habe. Dies lehnte das BAG ab. Die besondere Schutznorm des § 164 Abs. 4 SGB IX gebe dem Schwerbehinderten keine Beschäftigungsgarantie. Es bestehe auf Arbeitgeberseite keine Pflicht zur Schaffung oder Beibehaltung eines Arbeitsplatzes, den der Arbeitgeber nicht (mehr) benötige. Der besondere Beschäftigungsanspruch sei erst bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob etwaige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf einem existenten, freien Arbeitsplatz in Betracht kämen. 

Die Entscheidung, die bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, ordnet das Verhältnis des Beschäftigungsanspruchs des schwerbehinderten Arbeitnehmers zur unternehmerischen Organisationsfreiheit des Arbeitgebers. Die Bestätigung des BAG, dass der Arbeitgeber auch in Anbetracht des § 164 Abs. 4 SGB IX keinen Arbeitsplatz schaffen oder entgegen seines Arbeitsplatzkonzeptes beibehalten muss, ist sicherlich erfreulich. Sie darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die arbeitgeberseitigen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer sehr weitreichend sind und die Anstrengungen zum Erhalt des Arbeitsverhältnisses durch Umorganisation unter anderem der Arbeitsabläufe erheblich zu sein haben. Allein Unzumutbarkeit, unverhältnismäßige Aufwendungen oder entgegenstehende Vorschriften bilden gemäß § 164 Abs. 4 S. 3 SGB IX die Grenze der arbeitgeberseitigen Beschäftigungspflicht.

Kathrin Vossen

 

1.4 Anwendung des AGG auf Fremdgeschäftsführer einer GmbH

Der BGH hat mit Urteil vom 26.3.2019 (Az. II ZR 244/17) entschieden, dass Fremdgeschäftsführer einer GmbH bei europarechtskonformer Auslegung Arbeitnehmer im Sinne des AGG sind, sofern der Anwendungsbereich des AGG wegen der Kündigung seines Dienstvertrags eröffnet ist.

Der 1955 geborene Kläger war seit 2005 als Fremdgeschäftsführer bei der Beklagten tätig. Der Anstellungsvertrag sah eine beiderseitige Kündigungsmöglichkeit des befristet geschlossenen Dienstvertrags vor, sobald der Geschäftsführer das 61. Lebensjahr erreicht hat. Im Anschluss daran hatte der Geschäftsführer Anspruch auf ein Ruhegehalt. Im Jahr 2016 wurde der Dienstvertrag durch die Gesellschaft gekündigt, wogegen sich der Geschäftsführer gerichtlich zur Wehr setzte.

Der BGH entschied nun, dass die vereinbarte Entlassungsbedingung in den Anwendungsbereich des AGG fällt. Der sachliche Anwendungsbereich sei eröffnet, da es sich bei der Kündigung um eine Entlassungsbedingung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG handele und die Kündigung auch nicht durch § 2 Abs. 4 AGG ausgeschlossen sei. § 2 Abs. 4 AGG finde keine Anwendung auf Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen. Der persönliche Anwendungsbereich sei eröffnet, da bei europarechtskonformer Auslegung Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer i. S. d. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AGG anzusehen seien. Um die Ziele der Antidiskriminierungsrichtlinie am besten zu verwirklichen, sei eine Anwendung des AGG auf Leitungsorgane einer Kapitalgesellschaft geboten, wenn diese die Voraussetzung des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs erfüllten. Dies sei bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH der Fall, da sie sich aufgrund des gesellschaftlichen Weisungsrechts und der jederzeitigen Abberufbarkeit zu der Gesellschaft in einem Unterordnungsverhältnis befänden. Die altersabhängige Möglichkeit zur Kündigung stelle eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers dar. Zur Rechtfertigung der Benachteiligung nach § 10 AGG reiche es nicht aus, pauschal auf betriebs- und unternehmensbezogene Interessen zu verweisen. Auch die Überbrückung durch eine betriebliche Altersversorgung bis zum Renteneintritt rechtfertige die Benachteiligung nicht.

Für die Praxis bedeutet dies, dass Dienstverträge, die für die Beendigung an ein vor dem gesetzlichen Rentenalter liegendes Alter anknüpfen, angepasst werden sollten. Weiter ist zukünftig Vorsicht im Hinblick auf den Umgang mit Fremdgeschäftsführern geboten. Nach der Begründung des BGH könnten Fremdgeschäftsführer nämlich immer dann als Arbeitnehmer gelten, wenn nationale Vorschriften maßgeblich sind, die der Umsetzung von unionsrechtlichen Vorgaben dienen, so dass sämtliche unionsrechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften Anwendung finden.

Anja Dombrowsky

 

1.5 Kein Unterlassungsanspruch bei unzulässiger Rechtsausübung durch den Betriebsrat

Mit Urteil vom 12.3.2019 hat das BAG entschieden, dass einem Betriebsrat die Geltendmachung eines ihm grundsätzlich zustehenden Unterlassungsanspruchs ausnahmsweise verwehrt werden kann, wenn dieser eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 2 Abs. 1 BetrVG darstellt (Az.: 1 ABR 42/17).

Die Beteiligten, eine Klinikbetreiberin und ihr Betriebsrat, stritten über das Bestehen von Unterlassungsansprüchen des Betriebsrats. Die Arbeitgeberin hatte wiederholt Dienstpläne aufgestellt, in Kraft gesetzt sowie diese nachträglich geändert, ohne dass der Betriebsrat dem zugestimmt hatte. Im Zuge der vorangegangenen Verhandlungen über die Aufstellung verweigerte der Betriebsrat jede Mitwirkung, sowohl an einvernehmlichen als auch an gerichtlich bestellten Einigungsstellen, da er diese nicht als zur Regelung der Materie geeignet erachtete. Der Betriebsrat begehrt die Unterlassung der einseitigen Aufstellung von Dienstplänen, sowie Untersagung dieses Vorgehens für die Zukunft.

Das BAG stellt zwar eine grundsätzliche Verletzung des Mitbestimmungsrechts gem. § 87 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BetrVG fest, betont aber gleichzeitig, dass das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung auch im Verhältnis von Betriebsrat und Arbeitgeber gelte und in extremen Ausnahmefällen einem Unterlassungsanspruch des Betriebsrats entgegenstehen könne. Es stellt heraus, dass aus Mitbestimmungsrechten in Verbindung mit dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit auch Mitwirkungspflichten des Betriebsrats erwachsen können. Beruft sich der Betriebsrat auf eine Rechtsstellung, die er durch eigenes, in gesteigertem Maße betriebsverfassungswidriges Verhalten erworben hat, kann dies rechtsmissbräuchlich und somit unzulässig sein.

Die Entscheidung ist insbesondere für solche Arbeitgeber erfreulich, die aufgrund gesetzlicher Pflichten zwingend auf ununterbrochenen Personaleinsatz und die kurzfristige Aufstellung von Dienstplänen angewiesen sind. In derartigen Fällen wird es dem Betriebsrat zukünftig deutlich erschwert werden, seine Zustimmung in übersteigertem Maße als Druckmittel zur Erreichung anderer Ziele einzusetzen. Es sei jedoch auch darauf hingewiesen, dass dies nur auf extreme Ausnahmefälle beschränkt bleibt. Dem Arbeitgeber obliegt es weiterhin, seinerseits das Erforderliche zu unternehmen, um die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu wahren.

Jörn Kuhn

 

1.6 Unterrichtung des Betriebsrats über Arbeitsunfälle Dritter

Jüngst entschied das BAG, dass der Betriebsrat vom Arbeitgeber verlangen kann, über Arbeitsunfälle von Fremdfirmenmitarbeitern unterrichtet zu werden (Beschluss vom 12.3.2019, Az. 1 ABR 48/17).

Der Arbeitgeber, ein großes Logistikunternehmen, beschäftigte ca. 2.500 Mitarbeiter von Subunternehmen. 2016 verletzten sich zwei Fremdfirmenmitarbeiter beim Verladen von Frachtgut, woraufhin der Betriebsrat die Vorlage von Kopien der Unfallanzeigen verlangte. Zudem wollte der Betriebsrat künftig über Arbeitsunfälle des Fremdpersonals informiert werden. Der Arbeitgeber lehnte dies mit der Begründung ab, dass lediglich der Subunternehmer eine Unfallanzeige zu erstatten habe.

Das BAG entschied, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat über jeden Arbeitsunfall eines Fremdfirmenmitarbeiters auf dem Betriebsgelände unter Angabe von Datum, Uhrzeit des Unfalls, Unfallstelle, Unfallhergang und erlittene Verletzungen zu unterrichten habe. Der Betriebsrat müsse überprüfen können, ob diese Auskünfte erforderlich seien, um betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte hinsichtlich der von ihm repräsentierten betriebszugehörigen Arbeitnehmer ausüben zu können. Dies verlange der auf Fremdpersonal bezogene Unterrichtungsanspruch gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BetrVG. Zwar sei - anders als für Leiharbeitnehmer gemäß § 11 Abs. 6 AÜG - für Fremdfirmenmitarbeiter nicht explizit die Verantwortung des Arbeitgebers hinsichtlich des Arbeitsschutzes geregelt. Dem Betriebsrat obliege aber eine Förderpflicht gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG sowie eine Pflicht gemäß § 89 Abs.1 BetrVG, sich für die Einhaltung des Arbeits- und Unfallverhütungsschutzes im Betrieb einzusetzen. Aus den Unfallinformationen könnten zudem unfallverhütungsrelevante Erkenntnisse für die betriebszugehörigen Arbeitnehmer gewonnen werden, da alle Mitarbeiter dieselbe betriebliche Infrastruktur nutzten. Die Verpflichtung zur Vorlage der Unfallanzeige zwecks Gegenzeichnung durch den Betriebsrat gemäß § 89 Abs. 6 BetrVG beziehe sich indes nur auf Anzeigen, die auch tatsächlich erstattet worden seien, nicht auch auf die Durchsetzung der Pflicht zur Anzeigenerstattung.

Das BAG nimmt mit seiner Entscheidung eine über die Arbeitnehmerüberlassung hinausgehende Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats vor, welche aber ausschließlich dem Arbeitsschutz der internen Mitarbeiter dienen. Dementsprechend müssen Arbeitgeber zukünftig sämtliche Unfälle in ihrem Unternehmen im Blick haben und dem Betriebsrat Auskunft geben. Dies gilt hingegen nicht für Daten, die sich auf das Arbeitsverhältnis des Betroffenen beziehen, wie zum Beispiel Name des Arbeitnehmers oder der Fremdfirma.

Annabelle Mertes

 

1.7 Angemessenheit der Betriebsratsvergütung

Gerade bei langjährigen Betriebsratsmitgliedern besteht oft Unsicherheit, ob die gewährte Vergütung angemessen ist. Das LAG Düsseldorf hatte in einem Urteil vom 17.4.2019 (Az. 7 Sa 1065/18) Gelegenheit zur Klarstellung, ob Rückstufungen in der Gehaltsgruppe aufgrund von früheren Verfehlungen bei der Frage der Angemessenheit der Vergütung berücksichtigt werden müssen.

Der Kläger war seit 2006 zunächst einfaches Mitglied, später Vorsitzender des Betriebsrates. Über mehrere Berufsentwicklungsstufen erreichte er 2012 die Entgeltgruppe (EG) 11. Anfang 2013 wurde er nach Verzicht auf seine Freistellung und mit Zuweisung eines neuen Tätigkeitsbereichs in die EG 13 mit Perspektive auf Eingruppierung in EG 14 eingruppiert. Wegen einer nachgewiesenen Verfehlung erhielt der Kläger eine Abmahnung und wurde im November 2013 einvernehmlich in einem neuen Tätigkeitsbereich eingesetzt. Hierbei wurde er in die EG 11 zurückgestuft. Im Zuge der Betriebsratswahl im Jahr 2014 wurde der Kläger erneut in den Betriebsrat gewählt, übernahm den Vorsitz und wurde vollständig freigestellt. Ab April 2015 wurde er unter Verweis auf die vermeintliche betriebsübliche Entwicklung in die EG 14 eingruppiert. Im Zuge einer Fusion überprüfte die Beklagte Anfang 2018 die Eingruppierung des Klägers und stufte ihn mit Verweis auf eine unzulässige Begünstigung nach § 78 S. 2 BetrVG auf EG 11 zurück. Der Kläger erhob Klage auf Zahlung der Differenz seit April 2018, die Beklagte verlangte hingegen die Rückzahlung der zu viel gezahlten Vergütung.

Das LAG Düsseldorf wies sowohl die Klage des Arbeitnehmers, als auch die Widerklage der Arbeitgeberin ab. Das Gericht war der Meinung, dass eine Eingruppierung des Klägers in EG 14 eine unzulässige Begünstigung wegen der Betriebsratstätigkeit darstelle. Es könne insbesondere mit Blick auf die Rückgruppierung in EG 11 im Jahr 2013 nicht begründet werden, dass der Kläger bei üblicher betrieblicher und persönlicher Entwicklung als „regulärer“ Arbeitnehmer in die EG 14 einzugruppieren wäre. Der Sprung über drei Entgeltgruppen innerhalb von eineinhalb Jahren sei bei der Arbeitgeberin nicht üblich. Die Unangemessenheit der Vergütung nach § 78 S. 2 BetrVG führte allerdings nicht zu einem Rückzahlungsanspruch der Beklagten, weil die Beklagte gegen das Begünstigungsverbot verstoßen habe und eine Rückforderung deshalb nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; die Revision zum BAG ist ausdrücklich zugelassen.

Dass die übermäßige Vergütung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern ein brisantes Thema und sogar strafbar sein kann, ist nicht erst seit den Verfahren gegen die VW-Betriebsräte (vgl. BGH, Urteil vom 17. 9. 2009, Az. 5 StR 521/08) bekannt. Die vorliegende Entscheidung verdeutlich erneut, dass allein die übliche betriebliche und persönliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer für die Bemessung der Vergütung relevant ist – dies schließt „Rückschritte“ auf der Karriereleiter mit ein. Zwar können die Betriebsparteien grundsätzlich eigenen Regelungen zur Bestimmung der Vergleichsgruppen „mit betriebsüblicher Entwicklung“ treffen, diese müssen jedoch wiederum den Anforderungen der §§ 37 Abs. 4, 78 S. 2 BetrVG genügen (vgl. BAG, Urteil vom 18.01.2017, Az. 7 AZR 205/15).

Dr. Alexander Willemsen

 

1.8 Ärzte und Pflegekräfte auf Honorarbasis sind regelmäßig keine Freiberufler

Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat in zwölf Verfahren am 4.6.2019 (Az. B 12 R 11/18 R) und in vier weiteren Verfahren am 7.6.2019 (Az.: B 12 R 6/18 R) die lange umstrittene Frage der Sozialversicherungspflicht von auf Honorarbasis arbeitenden medizinischen Fachkräften in Krankenhäusern bejaht.

Den Urteilen in den Verfahren kommt als sog. Leitfälle eine allgemeine, über das konkret entschiedene Verfahren hinausreichende Bedeutung zu, denn es geht im Grundsatz um den Einsatz von Beschäftigten auf Honorarbasis.

Das BSG stellte fest, dass Honorarpflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen sowie Honorarärzte in Krankenhäusern nicht als selbstständig Beschäftigte im Sinne von § 7 SGB IV anzusehen sind. Zwar würden Pflegekräfte und Ärzte eigenverantwortlich ihre Arbeit ausüben. Deshalb liege aber keine sozialversicherungsfreie Tätigkeit vor. Auch äußere Einflüsse wie der Fachkräftemangel im medizinischen Sektor änderten daran nichts. Stets sei im Einzelfall die Weisungsgebundenheit oder die Eingliederung in die Arbeitsorganisation anhand der tatsächlichen Gestaltung der Tätigkeit zu werten. Das BSG würdigte, dass gerade bei Pflegekräften und Ärzten eine Einbindung in die Betriebsorganisation zwingend sei, um die Aufgaben zu erledigen.

Auch wenn die Veröffentlichung der Urteilsgründe abgewartet werden muss, deutet bereits vieles daraufhin, dass die Entscheidungen über den medizinischen Sektor hinaus Auswirkungen für sonstige Selbständige, die auf Honorarbasis arbeiten, haben wird: Die Wahlfreiheit, welcher Patient mit welcher Maßnahme gepflegt wird, unterscheidet sich sozialversicherungsrechtlich nicht davon, in welcher Reihenfolge Pakete zugestellt, Etagen geputzt oder Regale aufgefüllt werden. Auch hier dürfte kein hinreichendes Maß an unternehmerischer Freiheit vorliegen, das eine Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit ausschließt.

Die maßgeblichen Abgrenzungskriterien zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit, nämlich die Einbindung in die Betriebsorganisation und die Ausübung des Direktionsrechts, sind durch die Unternehmen bei der Beauftragung von Dritten zu beachten. Die Entscheidungen des BSG zeigen dabei, dass beide Kriterien gleichrangig zu beachten sind, denn auch ein deutliches Überwiegen eines Kriteriums lässt die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung negativ gegen eine ausschließlich selbständige Tätigkeit ausfallen.

Jan Philipp Baale

 

2. Rechtsentwicklung

2.1 Neue EU-Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen verabschiedet

Das Europäische Parlament hat die Ablösung der bisherigen Nachweisrichtlinie (Richtlinie 91/533/EWG vom 14.10.1991) durch die „Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen in der EU“ beschlossen. Das Maßnahmenpaket zielt insbesondere auf die Schaffung von Mindeststandards in der „Gig Economy“, also dem Teil des Arbeitsmarktes, bei dem kleine Aufträge kurzfristig an unabhängige Selbständige, Freiberufler oder geringfügig Beschäftigte („Crowd- bzw. Clickworking“) vergeben werden.

Die neue Richtlinie, die bis 2022 in nationales Recht umzusetzen ist, wird in Deutschland in erster Linie zu einer Anpassung des Nachweisgesetzes führen, da der Katalog der nachzuweisenden Arbeitsbedingungen u. a. um Angaben zur Probezeit und Fortbildungsangeboten ergänzt wird. Zudem muss der Arbeitgeber die Nachweispflicht innerhalb von einer Woche erfüllen; die bisherige Monatsfrist gilt dann nur noch als Ausnahme für bestimmte Angaben. Umfangreiche Regelungen enthält die Richtlinie zur Arbeit auf Abruf, allerdings werden die neuen Mindeststandards für diese Beschäftigungsform bereits jetzt durch § 12 TzBfG (über)erfüllt. Daneben gelten neue Vorgaben für Mehrfachbeschäftigungen – Nebenjobs dürfen nach der neuen Richtlinie nicht pauschal verboten werden – und die Probezeit, die künftig (wie in Deutschland üblich) nicht länger als sechs Monate dauern darf. Neu ist die Regelung, wonach die Probezeit bei befristeten Arbeitsverhältnissen im Verhältnis zur Vertragslaufzeit und Art der Tätigkeit stehen muss. Diese Einschränkung gibt es nach deutschem Recht bislang nicht.

Damit ergibt sich aus der neuen Richtlinie zwar nur punktuell Handlungsbedarf, der allerdings in der Praxis spürbar werden sollte.

Dr. Alexander Willemsen

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