Arbeitsrecht29.09.2021 Newsletter

Fokus Arbeitsrecht – 3. Quartal 2021

Eine spannende Bundestagswahl liegt hinter uns. Nun starten die Sondierungsgespräche für eine künftige Regierungskoalition, die auf Bundesebene voraussichtlich erstmals aus mindestens drei Parteien bestehen wird. Mit welchem arbeitsrechtlichen Programm die neue Regierung antreten wird, ist aktuell noch ungewiss.

Über die Aktivitäten des Gesetzgebers werden wir Sie mit unserem Fokus Arbeitsrecht in gewohnter Weise auf dem Laufenden halten. Schon heute können wir Sie über die bereits vorliegenden Entscheidungen der Arbeitsgerichte informieren, die für die tägliche HR-Praxis bedeutsam sind.

1. Neue Rechtsprechung

1.1 Fristlose Kündigung wegen eigenmächtigem Urlaubsantritt im Prozessarbeitsverhältnis

1.2 Erschütterter Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

1.3 Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers als unfaire Verhandlungssituation?

1.4 Arbeitgeber darf die Rückkehr aus dem Home-Office anordnen

1.5 Ausgleich von Minusstunden nur bei ausdrücklicher Regelung

1.6 Kein Anspruch des Betriebsrates auf Gehaltslisten in auswertbarem Dateiformat

1.7 Hat der Betriebsrat auch ein Initiativrecht bei der Einführung elektronischer Arbeitszeiterfassung?

1.8 Keine Gesamtschuld zwischen Arbeitgeber und externem Versorgungsträger

1.9 Diskriminierungsfreie Berechnung der betrieblichen Altersversorgung von Teilzeitbeschäftigten

2. Rechtsentwicklungen

2.1 Die konzernweite Einrichtung eines Hinweisgebersystems ist nach Auffassung der EU-Kommission nicht ausreichend 

3. Dreizehnter Arbeitsrechtstag bei Oppenhoff am 11.11.2021

 

1. Neue Rechtsprechung

1.1 Fristlose Kündigung wegen eigenmächtigem Urlaubsantritt im Prozessarbeitsverhältnis

Auch in einem Prozessarbeitsverhältnis darf der Arbeitnehmer nicht eigenmächtig einen nicht gewährten Urlaub antreten. Mit Urteil vom 20.05.2021, Az. 2 AZR 457/20, hat das BAG klargestellt, dass der eigenmächtige Urlaubsantritt durch den Arbeitnehmer „an sich“ geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu begründen.

Die Besonderheit des Falles lag weniger in dem Umstand des Kündigungsgrundes an sich, als vielmehr in dem Umstand des eigenmächtigen Urlaubsantritts in einem sog. Prozessarbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber hatte das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer zunächst ordentlich gekündigt, wogegen sich der Arbeitnehmer wehrte und einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend machte. Noch vor dem – klagestattgebenden – erstinstanzlichen Urteil schlossen die Parteien ein vertragliches „Prozessarbeitsverhältnis“. In dessen Rahmen beantragte der Arbeitnehmer Urlaub, den der Arbeitgeber ihm nicht gewährte. Gleichwohl erschien der Arbeitnehmer am nächsten Tag nicht zur Arbeit, was den Arbeitgeber veranlasste, erneut - diesmal fristlos - zu kündigen.

Das BAG kam zu der Ansicht, dass es sich bei dem zwischen den Parteien vereinbarten „Prozessarbeitsverhältnis“ um die auflösend bedingte Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses handelte und nicht um eine Weiterbeschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung, da ein erstinstanzliches Urteil bei Abschluss der Vereinbarung nicht vorlag. Bei der auflösend bedingten Fortsetzung des gekündigten Arbeitsvertrages bestünden zwischen den Parteien die gleichen Rechte und Pflichten wie in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Dies umfasse auch das Verbot, eigenmächtig Urlaub anzutreten und der Verpflichtung zur Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß nachzukommen.

Für Arbeitgeber sind vertragliche Prozessarbeitsverhältnisse stets mit Vorsicht zu genießen. Die Weiterbeschäftigung eines gekündigten Arbeitnehmers kann gerade dokumentieren, dass der maßgebliche Kündigungsgrund in Wahrheit nicht gegeben ist. Sofern ein Prozessarbeitsverhältnis gleichwohl vereinbart wird, gelten die arbeitsvertraglichen Pflichten fort. Anders verhält es sich, wenn nach einem Urteil eine Weiterbeschäftigung lediglich zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung erfolgt. Ansprüche wie etwa auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder auf Urlaub bestehen hier nur dann, wenn sich die Kündigung tatsächlich als unwirksam herausstellt.

Alexandra Groth 

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1.2 Erschütterter Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung 

Ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt und am gleichen Tag arbeitsunfähig krankgeschrieben wird, behält nicht automatisch seinen Entgeltfortzahlungsanspruch. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert des sog. „gelben Scheins“ erschüttern, insbesondere wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (BAG 08.09.2021, Az.5 AZR 149/21).  

Nachdem die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis am 08.02.2019 zum 22.02.2019 gekündigt hatte, legte sie der Beklagten eine auf den Tag der Kündigung datierte, erstausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, deren Geltung den Zeitraum bis zum 22.02.2019 umfasste. Daraufhin verweigerte die Beklagte die Entgeltfortzahlung. Der Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung sei erschüttert, da diese die gesamte Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Indes verlangte die Klägerin Lohnfortzahlung; sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-Out gestanden.

Während die Vorinstanzen den Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung für die Dauer der Kündigungsfrist bejaht hatten, entschied das BAG zu Gunsten der Arbeitgeberin. Zwar habe die Klägerin die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit zunächst mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als hierfür vorgesehenes Beweismittel nachgewiesen. Allerdings könne der Beweiswert erschüttert werden, wenn tatsächliche Umstände dargelegt und ggfs. bewiesen würden, die Anlass zu ernsten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit begründeten. Dem habe die Beklagte hier Genüge getan. Aufgrund der – zeitlichen – Koinzidenz zwischen der Kündigung vom 08.02.2019 zum 22.02.20219 und der für den gleichen Zeitraum bescheinigten Arbeitsunfähigkeit seien ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ausreichend begründet dargelegt worden.

Die Klägerin hätte daraufhin substantiiert darlegen und beweisen müssen, dass sie tatsächlich nicht arbeiten konnte. Dieser Beweis könne insbesondere durch Vernehmung des behandelnden und von der Schweigepflicht befreiten Arztes erfolgen. Dem sei die Klägerin – trotz Hinweises des Senats – nicht nachgekommen.  

Arbeitgeber dürften von der Entscheidung des BAG positiv überrascht sein, da einer missbräuchlichen Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Einhalt geboten werden kann. Sie darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beweiswerterschütterung wohl weiterhin von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt.

Johannes Kaesbach

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1.3 Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers als unfaire Verhandlungssituation?

Der Arbeitgeber verstößt nicht schon dann gegen das Gebot des fairen Verhandelns aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn der Arbeitnehmer während der Verhandlung eines Aufhebungsvertrages arbeitsunfähig ist. Er muss vielmehr eine psychische Drucksituation schaffen oder ausnutzen, die die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers unzulässig beeinträchtigt.

Der Kläger war mehrere Jahre als Projektingenieur bei der Beklagten tätig. Nach zwei Abmahnungen nahmen die Parteien Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages auf. Einem Entwurf der Beklagten stimmte der Kläger nach anwaltlicher Prüfung Ende 2017 fristgerecht zu und der Vertrag wurde Mitte Januar 2018 beiderseits unterzeichnet. Vor Gericht machte der Kläger jedoch die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages geltend. Er sei zur maßgeblichen Verhandlungszeit wegen psychischer Probleme arbeitsunfähig erkrankt und infolge Medikation zumindest teilweise geschäftsunfähig gewesen. Der Aufhebungsvertrag sei unter Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns zustande gekommen.

Das LAG Hessen folgte dieser Argumentation mit Urteil vom 11.06.2021, Az. 10 Sa 1221/20, nicht. Das ärztliche Attest als Beleg für die lediglich „eingeschränkte“ Geschäftsfähigkeit sei mangels konkreter Angaben unzureichend. Auch sei der Kläger während der Vertragsverhandlungen nicht unfair behandelt worden. Denn die Gespräche hätten sich über einen längeren Zeitraum gezogen und er habe stets die Möglichkeit gehabt, am Inhalt des Vertrages mitzuwirken. Ferner zeige die Überlegungsfrist, innerhalb derer der Kläger sogar anwaltlichen Rat einholen konnte, dass keine Überrumpelung stattgefunden habe oder psychische Belastungen des Klägers ausgenutzt wurden. Für eine Fristverlängerung hätte der Kläger auf seine vermeintliche Arbeitsunfähigkeit hinweisen müssen. Das LAG betont den Unterschied zum ersten Grundsatzurteil des BAG vom 07.02.2019, Az. 6 AZR 75/18, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu Hause aufsuchte und ihn zur Unterschrift des mitgebrachten Aufhebungsvertrages aufforderte. Dort wurde ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns bejaht.

Das Urteil steckt die Grenzen fairen Verhandelns von Aufhebungsverträgen für Arbeitgeber weiter ab. Arbeitgeber sollten darauf achten, die Gespräche im Betrieb zu führen und eine angemessene Überlegungszeit zu gewähren, um dem Arbeitnehmer die Einholung von Rechtsrat zu ermöglichen.

Kathrin Vossen

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1.4 Arbeitgeber darf die Rückkehr aus dem Home-Office anordnen

Das LAG München hat mit Urteil vom 26.08.2021 (Az. 3 SaGa 13/21) entschieden, dass ein Arbeitgeber berechtigt ist, eine Home-Office-Tätigkeit per Weisungsrecht wieder einseitig zu beenden, sofern der Arbeitsort weder im Arbeitsvertrag noch kraft ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung auf den häuslichen Arbeitsplatz festgelegt worden ist. Insbesondere stünden die allgemeine Gefahr, sich auf dem Weg zur Arbeit mit Covid-19 anzustecken, und das allgemeine Infektionsrisiko am Arbeitsort einer Verpflichtung zum Erscheinen im Büro nicht entgegen.

Der Verfügungskläger war als Grafiker in Vollzeit beschäftigt. Seit Dezember 2020 arbeiteten die sonst im Büro tätigen Mitarbeiter aufgrund Erlaubnis des Geschäftsführers an ihrem jeweiligen Wohnort. Mit Weisung vom 24.02.2021 ordnete der Arbeitgeber gegenüber dem Verfügungskläger wieder dessen Anwesenheit im Büro an. Letzterer beantragte daraufhin, den Arbeitgeber im Wege der einstweiligen Verfügung zu verurteilen, ihm das Arbeiten aus dem Homeoffice zu gestatten und diese Homeoffice-Tätigkeit nur in Ausnahmefällen zu unterbrechen, sofern die Anwesenheit im Büro tatsächlich erforderlich ist.

Sowohl in erster als auch zweiter Instanz wurde der Antrag vom Gericht zurückgewiesen. Denn der Arbeitgeber sei unter Wahrung billigen Ermessens berechtigt, den Arbeitsort durch Weisung gem. § 106 GewO neu zu bestimmen. Der Arbeitsort sei weder im Arbeitsvertrag noch kraft späterer ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung auf das Home-Office festgelegt. Ein Recht auf Home-Office ergebe sich auch nicht aus § 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-ArbSchVO. Die Weisung habe billiges Ermessen gewahrt, da der Arbeitgeber darlegen konnte, dass die technische Ausstattung am häuslichen Arbeitsplatz nicht der am Bürostandort entsprochen habe. Der Arbeitnehmer habe zudem nicht dargelegt, dass die betrieblichen Daten gegen den Zugriff Dritter und der in Konkurrenz tätigen Ehefrau geschützt seien.

In besagter Entscheidung dauerte die erlaubte Tätigkeit im Home-Office lediglich zwei Monate an. Für Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer allerdings seit Beginn der Pandemie ohne rechtliche Grundlage durchgehend im Home-Office arbeiten lassen, steigt das Risiko, dass es durch konkludentes Verhalten zu einer vertraglichen Beschränkung der Ausübung des Direktionsrechts kommen kann. Daher ist dringend anzuraten, eine interessengerechte und ggf. befristete Rechtsgrundlage für das Recht auf Home-Office oder mobile Arbeit zu vereinbaren. Soll dies über eine Betriebsvereinbarung kollektiv geregelt werden, ist der neue Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG zu beachten.

Isabel Hexel 

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1.5 Ausgleich von Minusstunden nur bei ausdrücklicher Regelung

Wollen Arbeitgeber bei Ausscheiden eines Arbeitnehmers Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto berücksichtigen, erfordert dies eine ausdrückliche Regelung. Zudem muss für den Arbeitnehmer auch tatsächlich die Möglichkeit bestehen, sein Konto noch in Ausgleich zu bringen.

Die beklagte Arbeitgeberin hatte zunächst eine außerordentliche Kündigung gegenüber dem Kläger ausgesprochen. Im Kündigungsschutzverfahren einigten sich die Parteien durch gerichtlichen Vergleich auf eine Beendigung aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung. Neben der unwiderruflichen Freistellung des Klägers sah der Vergleich auch vor, dass „Urlaubsansprüche und etwaige Zeitguthaben in Natur eingebracht sind“. Zudem enthielt der Vergleich eine allgemeine Abgeltungsklausel für gegenseitige finanzielle Ansprüche.

Zwischen den Parteien kam es nachfolgend zu einem weiteren Prozess. In dessen Rahmen machte die Arbeitgeberin geltend, ihr stehe gegenüber dem Arbeitnehmer ein Rückzahlungsanspruch für ca. 40 Minusstunden zu, die der Arbeitnehmer auf seinem Arbeitszeitkonto zu verzeichnen hatte.

Das LAG Nürnberg verneinte diesen Anspruch in seinem Urteil vom 19.05.2021, Az.: 4 Sa 423/20, gleich aus mehreren Gründen. Zunächst sei ein Ausgleich von Minusstunden beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers nach der Rechtsprechung des BAG nur bei einer entsprechenden Vereinbarung möglich. Eine solche Vereinbarung gebe es hier nicht. Voraussetzung für den Abzug von Minusstunden sei zudem, dass dem Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit eingeräumt werde, vor dem Ausscheiden einen Ausgleich der Minusstunden herbeizuführen. Dass die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer diese Option mit der fristlosen Kündigung und später mit der Freistellungsabrede genommen habe, gehe zu ihren Lasten.

Zudem ergebe sich aus dem Vergleich, dass über die Höhe des Arbeitszeitkontos nicht mehr gestritten werden solle. Eine Regelung, nach der nur eventuelle Plusstunden einzubringen, Minusstunden aber von der Vergütung noch abziehbar gewesen wären, sei widersprüchlich. Wolle man nur Guthabenstunden streitlos stellen, müsse man dies im Vergleich ausdrücklich so aufnehmen.

Schließlich sah das LAG Nürnberg den Anspruch der Arbeitgeberin auch deswegen als nicht gegeben an, weil der Anspruch unter die allgemeine Abgeltungsklausel falle.

Vor dem Hintergrund der Entscheidung ist Arbeitgebern zu empfehlen, sowohl bei der Vereinbarung von Arbeitszeitkonten, wie auch in Aufhebungsverträgen und gerichtlichen Vergleichen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausdrückliche Regelungen zu einem etwaigen Ausgleich von Minusstunden aufzunehmen.     

Jennifer Bold

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1.6 Kein Anspruch des Betriebsrates auf Gehaltslisten in auswertbarem Dateiformat

Der Wunsch des Betriebsrates nach Bruttoentgeltlisten in auswertbarer Dateiform ist normalerweise groß: Nicht nur Themen wie Entgelttransparenz und innerbetriebliche Lohngleichheit sind damit verknüpft. Oft sind derartige Dateien auch eine aussagekräftige Basis, um Sozialplanvolumina oder Leistungen im Rahmen von potenziellen Freiwilligenprogrammen „durchzurechnen“.

Der antragstellende Betriebsrat gab vor, aufgrund seiner entgelttransparenz- und betriebsverfassungsgesetzlichen Aufgaben eine auswertbare Datei mit den Bruttoentgelten aller Arbeitnehmer zu benötigen. Hilfsweise würde ihm auch eine Zuleitung in Papierform (aber in scanbarem Format), die Überlassung eines PCs mit den entsprechenden Dateien, jedoch ohne Netzwerkzugriff, oder schließlich die Einsicht in eine auswertbare Datei einschließlich geeignetem Büropersonal zum Abschreiben der Listen genügen.

Dass hierauf kein Anspruch besteht, verdeutlichte jetzt das BAG in einem Beschluss vom 23.03.2021, Az. 1 ABR 7/20. Das BAG hat – wie auch die Vorinstanzen – den Antrag des Betriebsrates zurückgewiesen. Das Entgelttransparenzgesetz vermittle dem Betriebsrat nur dann einen Anspruch auf Überlassung von auswertbaren Bruttoentgelten, wenn ein konkretes individuelles Auskunftsverlangen zur Beantwortung vorliege. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergab sich ebenso wenig ein Anspruch: Nach § 80 Abs. 2 BetrVG besteht nur ein Einblicksrecht in die Entgeltlisten. Auch der Antrag des Betriebsrates auf Einsichtnahme schied aus, weil die damit verknüpfte Forderung nach Büropersonal zum Abschreiben deutlich mache, dass gerade nicht nur der bloße Einblick gewollt sei.

Der Beschluss des BAG verdeutlicht, dass ein liberaler Umgang mit Bruttolohnlisten mit Risiken verbunden ist: Es besteht kein zwingender Grund, dem Betriebsrat z. B. eine Exceldatei mit sämtlichen Lohndaten zur Verfügung zu stellen. Im Gegenteilt: Aus Datenschutzgründen ist zu äußerster Zurückhaltung zu raten, wenn der Betriebsrat die Überlassung entsprechender Dateien einfordert. Nur wenn konkrete, nachvollziehbare Gründe vorliegen – beispielsweise laufende Verhandlungen über einen Sozialplan und dessen Dotierungsrahmen – erscheint es angezeigt, dem Betriebsrat Lohndaten in auswertbarer Form vorübergehend zur Verfügung zu stellen. Neben einer Löschfrist sollten diese Dateien dann jedoch auch mit einem Kopier- und Passwortschutz versehen sein. Der neue § 79a S. 2 BetrVG stellt nämlich klar, dass der Arbeitgeber auch in diesem Bereich die Verantwortung für den Datenschutz trägt.

Dr. Alexander Willemsen

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1.7 Hat der Betriebsrat auch ein Initiativrecht bei der Einführung elektronischer Arbeitszeiterfassung?

Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG bejahte das LAG Hamm in seinem Beschluss vom 27.07.2021, Az. 7 TaBV 79/20, erstmals ein Initiativrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Damit kann der Betriebsrat die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung erzwingen.

Die Arbeitgeberinnen führten mit dem Betriebsrat ergebnislose Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Der Betriebsrat erstritt daraufhin die Einsetzung einer Einigungsstelle, nach deren Einsetzung das Verfahren indes ausgesetzt wurde, um gerichtlich feststellen zu lassen, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht bei der Einführung der elektronischen Zeiterfassung zusteht. Das LAG Hamm hat dies bejaht und weicht damit von einer BAG-Entscheidung aus dem Jahr 1989 ab, die ein Initiativrecht des Betriebsrats im Zusammenhang mit § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG abgelehnt hatte (BAG 28.11.1989, Az.1 ABR 97/88). Das BAG begründete dies seinerzeit damit, dass § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dazu diene, der Gefahr von Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch technischen Kontrolleinrichtungen zu begegnen. Mit dieser Abwehrfunktion sei es nicht vereinbar, wenn der Betriebsrat selbst die Einführung dieser Einrichtungen verlangen kann. Dagegen stützt sich das LAG Hamm in seiner Begründung zum einen auf den Wortlaut der Norm, der explizit die „Einführung“ miteinschließe. Zum anderen habe der Gesetzgeber eine punktuelle Einschränkung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hinsichtlich des Initiativrechts unterlassen.

Abzuwarten bleibt nunmehr, ob sich das BAG dieser Entscheidung anschließt. Das LAG Hamm hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, das Verfahren ist nun beim BAG anhängig (Az. 1 ABR 22/21). Schließt sich das BAG der Entscheidung des LAG Hamm an, könnte dies angesichts des weiten Anwendungsbereichs von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zahlreichen Betriebsratsinitiativen auf Einführung von IT-Anwendungen den Weg bereiten. Noch mehr Sprengkraft erlangt die Entscheidung zudem durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.5.2019, Az C-55/18 – CCOO, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, nationale Regelungen zur Einführung eines umfassenden Zeiterfassungssystems zu schaffen.

Anja Dombrowsky

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1.8 Keine Gesamtschuld zwischen Arbeitgeber und externem Versorgungsträger

Das BAG hat mit Urteil vom 13.07.2021 (Az. 3 AZR 298/20) entschieden, dass die gemäß § 1 Abs.1 S. 3 BetrAVG (Betriebsrentengesetz) vorgesehene Subsidiärhaftung des Arbeitgebers nur dann zu einer Gesamtschuld führt, wenn die Versorgung über eine Unterstützungskasse durchgeführt wird oder Diskriminierungsverbote im Raum stehen.

Der Kläger hatte Leistungen der Altersversorgung von zwei Pensionskassen zugesagt bekommen. Ab dem 01.04.2018 erhielt er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung; das Arbeitsverhältnis wurde zum 28.02.2019 beendet. Ab dem 01.03.2019 bezog er von den Pensionskassen eine Dienstunfähigkeitsrente. Der Kläger verklagte sowohl den Arbeitgeber wie auch die externen Versorgungsträger als Gesamtschuldner auf Zahlung einer Dienstunfähigkeitsrente für den Zeitraum vom 01.04.2018 bis 28.02.2019 verklagt.

Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg. Das BAG hat festgehalten, dass die gesetzliche Subsidiärhaftung gerade keine Gesamtschuld anordnet. Die gesetzliche Subsidiärhaftung ist lediglich eine Pflicht des Arbeitgebers, für die Erfüllung der Versorgungszusage einzustehen. Gesamtschuld nach allgemeinen Grundsätzen ist bei einer externen Versorgung auch nur für den Fall gegeben, dass diese über die Unterstützungskasse durchgeführt wird oder Diskriminierungsverbote berührt sind. Die Besonderheit der Unterstützungskasse liegt im Vergleich zu anderen externen Versorgungsträgern darin, dass der Arbeitnehmer einen unmittelbaren Anspruch gegen diese hat, so dass für eine Gesamtschuld in diesem Falle die Gleichstufigkeit der Forderungen einerseits gegen den Arbeitgeber und andererseits gegen den externen Versorgungsträger gegeben sein muss. Dieses war vorliegend jedoch nicht der Fall.

Das BAG hat aber auch eine alleinige Subsidiärhaftung des Arbeitgebers vorliegend abgelehnt, da hierfür die Voraussetzungen nicht vorlagen. Es ging gerade nicht um eine Leistungsverweigerung durch die Pensionskassen, sondern im Streit war die Auslegung der Versorgungsregelungen der externen Versorgungsträger.

Die Entscheidung des BAG gibt der Praxis eine größere Rechtsklarheit. Viele Arbeitgeber, die die Versorgung über externe Versorgungsträger durchführen, sehen sich Ansprüchen ehemaliger Beschäftigter ausgesetzt, die vor allem mit Blick auf die Subsidiärhaftung, aber auch zuletzt des Öfteren auf eine mögliche Gesamtschuld erhoben werden.

Jörn Kuhn

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1.9 Diskriminierungsfreie Berechnung der betrieblichen Altersversorgung von Teilzeitbeschäftigten

Das LAG Schleswig-Holstein entschied mit Urteil vom 29.06.2021 (Az. 1 Sa 22/21), dass bei der Ermittlung des für die Höhe der betrieblichen Altersversorgung maßgeblichen Teilzeitfaktors auf die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses abzustellen ist.

Die Parteien stritten über die Höhe der monatlich an die Klägerin aufgrund einer Versorgungsordnung zu zahlenden betrieblichen Altersversorgung. Die Klägerin war für die Rechtsvorgängerin der Beklagten zunächst knapp 22 Jahre in Vollzeit und anschließend über drei Jahre in Teilzeit zu einem Teilzeitfaktor von 50% tätig. Nach der anwendbaren Versorgungsordnung berechnete sich die Höhe des Rentenanspruchs auf betriebliche Altersversorgung auf der Grundlage von 1/12 des letzten bezogenen Jahrestarifgehalts vor Vollendung des 65. Lebensjahres. Bei Arbeitnehmern, die in den letzten fünf Jahren vor Vollendung des 65. Lebensjahres nicht nur vorübergehend teilzeitbeschäftigt waren, wurde nach der Versorgungsordnung stattdessen der pensionsfähige Arbeitsverdienst auf 1/60 des in den letzten fünf Geschäftsjahren vor Vollendung des 65. Lebensjahres bezogenen Bruttoeinkommens begrenzt.

Nach Ansicht des LAG Schleswig-Holstein verstößt die Versorgungsordnung damit gegen das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten nach § 4 Abs. 1 TzBfG. Zwar sei es zulässig und nach dem pro-rata-temporis Grundsatz gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG auch geboten, dass die Beklagte Teilzeitbeschäftigen eine betriebliche Altersversorgung anteilig entsprechend ihres Arbeitszeitanteils gewähre. Dies rechtfertige es sachlich indes nicht, dass für die Berechnung der Anspruchshöhe bei Teilzeitbeschäftigten abweichend auf das Durchschnittsgehalt der letzten fünf Jahre vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgestellt werde. Stattdessen sei für die Ermittlung des der Berechnung zugrundeliegenden „Teilzeitfaktors“ auf die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses abzustellen.

Die praktische Relevanz der Entscheidung ist nicht zu unterschätzen, da nach Auffassung des LAG Schleswig-Holstein bereits seit Inkrafttreten des TzBfG zum 01.01.2000 eine derartige Beschränkung bei der Anspruchsermittlung von Teilzeitbeschäftigen auf die letzten fünf Beschäftigungsjahre sachlich nicht mehr gerechtfertigt und die zugrundeliegende BAG-Entscheidung (BAG 27.9.1983, Az. 3 AZR 297/81) nicht mehr zutreffend sei. Die Revision zum BAG wurde zugelassen.

Moritz Coché

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2. Rechtsentwicklungen

2.1 Die konzernweite Einrichtung eines Hinweisgebersystems ist nach Auffassung der EU-Kommission nicht ausreichend

Die Erwartungen der global tätigen Großunternehmen, die aktuell ein zentrales Whistleblowing-System unterhalten und dieses auch als ausreichend im Hinblick auf die EU-Hinweisgeberrichtlinie betrachteten, hat die EU-Kommission nun unerwartet enttäuscht. Denn in einer jüngst veröffentlichten Stellungnahme hat die EU-Kommission klargestellt, dass zwingend jede „Legal Entity“ mit mehr als 49 Mitarbeitern ein eigenes Whistleblowing-System bereitstellen muss. Dies sei nach dem Wortlaut der Richtlinie eindeutig und würde sowohl die Effizienz der Systeme als auch die voraussichtlich abweichende Umsetzung der EU-Richtlinie auf nationaler Ebene erfordern. Zudem können konzernangehörige Unternehmen im Bereich des Outsourcings von Hinweisgebersystemen nicht als „Dritte“ qualifiziert werden.

Zwar sei es grundsätzlich zulässig, dass mittelgroße Tochtergesellschaften (50 bis 249 Mitarbeiter) ihre Ressourcen teilweise bündeln. Ebenso sollen sie von den Untersuchungskapazitäten der Muttergesellschaft profitieren können. Dies gelte jedoch nur unter folgenden Voraussetzungen:

  • die Meldekanäle der Tochtergesellschaft müssen bestehen und verfügbar bleiben;
  • die meldende Person muss eindeutig darüber informiert werden und ihre Zustimmung erteilen, dass die benannte Person/Abteilung in der Zentrale befugt ist, auf die Meldung zuzugreifen (um die erforderliche Untersuchung durchzuführen);
  • die Verantwortung, dem Whistleblower eine Rückmeldung zu geben und das gemeldete Fehlverhalten abzustellen oder zu sanktionieren, verbleibt bei der Tochtergesellschaft.

Diese Stellungnahme wird für viele Unternehmen sehr ernüchternd und weltfremd sein, dürfte doch gerade die Effizienz der Meldewege dadurch faktisch torpediert werden. Zwar ist die Stellungnahme der EU-Kommission für deutsche Gerichte nicht bindend, allerdings ist zu vermuten, dass sich der deutsche Gesetzgeber dieser Auffassung zwecks richtlinienkonformer Implementierung, die bis zum 17.12.2021 erfolgen muss, anschließen wird. Daher sollten jedenfalls große Konzerntöchter ab 250 Mitarbeitern schon jetzt eine eigene Melde- und Untersuchungsstelle einrichten, die Meldungen unabhängig von den anderen Legaleinheiten des Konzerns bearbeiten kann. Je nach Gesellschaftsstruktur ist unter diesem Gesichtspunkt auch das Outsourcing der Meldestelle an externe Dritte unter Kostengesichtspunkten zu erwägen.

Isabel Hexel

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3. Dreizehnter Arbeitsrechtstag bei Oppenhoff am 11.11.2021

Wie bereits angekündigt, wird unser diesjähriger Arbeitsrechtstag aus gegebenem Anlass nochmals ausschließlich online stattfinden.

Am Vormittag beleuchten wir die Betriebsratswahlen 2022 und die Möglichkeiten einer Kontrolle über die Kosten eines Betriebsrats. Am Nachmittag starten wir mit den arbeitsrechtlichen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie und geben zum Abschluss einen Überblick über die wichtigsten Neuerungen der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Gesetzgebung. Dabei werden wir auch einen Ausblick auf die Entwicklungen des Arbeitsrechts geben, die in der kommenden Legislaturperiode zu erwarten sind.

Wir würden uns freuen, Sie an diesem Tag zu interessanten Vorträgen und lebhaften Diskussionen begrüßen zu dürfen. Weitere Informationen hier ...

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Jörn Kuhn

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