Digital BusinessArbeitsrecht10.07.2023 Newsletter

Sozialversicherungsrechtliche Gestaltungsoptionen bei grenzüberschreitender Arbeit mit mobiler Arbeit im EU-Ausland

Mit Ablauf des 30.6.2023 sind die pandemiebedingten, sozialversicherungsrechtlichen Sonderregelungen für Homeoffice bzw. Remote Work von sog. Grenzgängern endgültig außer Kraft getreten. Damit kann grenzüberschreitende Telearbeit seit dem 1.7.2023 grundsätzlich wieder zu einer Änderung des geltenden Sozialversicherungsstatuts führen - jedenfalls dann, wenn ein wesentlicher Teil der beruflichen Tätigkeit im Homeoffice im EU-Ausland erledigt wird und keine anderen Regelungen zur Anwendung kommen. Da jedoch Homeoffice und Remote Work aus den Unternehmen nicht mehr wegzudenken sind, sind die EU-/ EWR-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, tätig geworden und haben auf EU-Ebene intensiv an einer gesamteuropäischen Lösung gearbeitet. Herausgekommen ist eine Übergangslösung in Form eines multilateralen Rahmenübereinkommens.

Anwendbares Recht bei grenzüberschreitender mobiler Arbeit

Bei grenzüberschreitender mobiler Arbeit gilt sozialversicherungsrechtlich grundsätzlich der Ort als Beschäftigungsort, an dem die Tätigkeit ausgeübt wird. Sprich im Falle mobiler Arbeit entspricht dies dem Ort, an dem der Laptop aufgeklappt und gearbeitet wird.

Arbeitet eine Person ausschließlich aus dem Homeoffice, aus einem anderen EU/EWR-Mitgliedstaat als der in Deutschland ansässige Arbeitgeber, unterfällt die beschäftigte Person dem Sozialversicherungsstatut in ihrem Wohnsitzstaat.

Arbeitet die beschäftigte Person nur ausnahmsweise und für einen vorab definierten Zeitraum aus einem anderen EU-/EWR-Mitgliedstaat aus dem Homeoffice oder aus einem Ferienhaus (auch für den Fall einer sog. Workation), kann dies bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen als Entsendung gem. Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 gewertet werden, sodass das Recht des gewöhnlichen Beschäftigungsstaates weiter Anwendung findet. Auch für diese Tätigkeit bedarf es der Beantragung einer A1-Bescheinigung.

Findet die Tätigkeit einer beschäftigten Person – wie häufig der Fall – regelmäßig sowohl im mobile Arbeit im Wohnsitzstaat sowie gelegentlich im Betrieb des Arbeitsgebers im Staat des Sitzes des Arbeitgebers statt, gilt die Person seit dem 1.7.2023 sozialversicherungsrechtlich wieder als gewöhnlich in zwei Mitgliedsstaaten tätig. Hier ist wie folgt zu differenzieren:

  • Arbeitet die Person regelmäßig mehr als 25 % ihrer Arbeitszeit aus dem Homeoffice und damit aus dem Wohnsitzstaat, findet eine Gesamtbewertung der Tätigkeit statt. Diese führt regelmäßig dazu, dass das Sozialversicherungsstatut des Wohnsitzstaates greift.
     
  • Liegt der Anteil der mobilen Arbeit unter 25 % und wird ansonsten die beschäftigte Person am betrieblichen Arbeitsplatz tätig, so unterliegt das Sozialversicherungsrecht dem Recht des Staates, in dem der Arbeitgeber/in seinen Sitz hat (Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004, Art. 14 VO (EG) Nr. 987/2009).

Neue Reglungen durch das multilaterale Rahmenübereinkommen

Ab dem 1.7.2023 kann aufgrund eines multilateralen Rahmenübereinkommens zur Anwendung von Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004, der die sog. Ausnahmevereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten für die Anwendung des Sozialversicherungsstatuts regelt, bei einer gewöhnlichen grenzüberschreitenden Telearbeit auf Antrag festgelegt werden, dass entgegen des Rechts des Wohnsitzsitzstaates weiterhin das Sozialversicherungsstatut des Staates gilt, in dem der Arbeitgeber/in seinen Sitz hat.

Soll für einen Grenzgänger/in also z.B. trotz 40% Homeoffice in dem Wohnsitzstaat (d.h. zwei Tage pro Woche bei einer fünf Tage Arbeitswoche) ausnahmsweise das deutsche Sozialversicherungsrecht weitergelten, kann für Deutschland ein entsprechender Antrag für eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 bei dem GKV-Spitzenverband, Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland (DVKA) gestellt werden.

Die das multilaterale Rahmenübereinkommen anwendenden Staaten haben sich insoweit auf ein vereinfachtes Verfahren zur Erteilung der Ausnahmevereinbarungen bei grenzüberschreitender Telearbeit geeinigt. Dies bedeutet, dass die Staaten auf das ihnen zustehende Ermessen hinsichtlich der Erteilung der Ausnahmevereinbarung verzichten wollen und der Vereinbarung stets zugestimmt wird, wenn die festlegten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Anwendung des Rahmenübereinkommens kann für längstens 3 Jahre beantragt werden; Verlängerungsanträge sind jedoch möglich.

Voraussetzungen für die Ausnahmevereinbarung

Voraussetzung für die Erteilung der Ausnahmevereinbarung ist, dass die entsprechende Vereinbarung im Interesse der beschäftigten Person ist, dass kein dritter Staat involviert ist und die Telearbeit (Homeoffice, mobiles Arbeiten) im Wohnsitzstaat der beschäftigten Person zwischen 25 % und weniger als 50% der gesamten Beschäftigung ausmacht (bei weniger als 25 % bliebe es ohnehin bei dem Sozialversicherungsstatut des Staates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat, siehe zuvor).

Die Beurteilung welchen Umfang die Telearbeit im Wohnsitzstaat ausmacht, soll anhand einer vorausschauenden Betrachtung erfolgen. Hier ist darauf abzustellen, ob voraussichtlich in den kommenden zwölf Kalendermonaten Arbeitsperioden in zwei Mitgliedsstaaten aufeinanderfolgen und hierbei die Homeoffice-Tätigkeit im Wohnsitzstaat der beschäftigten Person den zuvor beschriebenen Umfang aufweist.

Frist zur Antragstellung

Eine Antragstellung ist mit Wirkung seit dem 1.7.2023 möglich. Sofern die beschäftigte Person bis zum Zeitpunkt der Antragstellung durchgängig der Sozialversicherung des Staates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat, unterlag, ist bis zum 30.6.2024 zudem eine rückwirkende Antragsstellung ab dem 1.7.2023 möglich.

Rahmenübereinkommen ohne steuerrechtliche Implikationen

Das multilaterale Rahmenübereinkommen regelt ausschließlich den grenzüberschreitenden Sachverhalt bei mobiler Arbeit für sozialversicherungsrechtliche Belange. Steuerrechtliche Implikation sind hiervon nicht umfasst und bedürfen stets einer gesonderten Prüfung.

Beteiligte Staaten

Die Rahmenvereinbarung ist am 1.7.2023 in Kraft getreten und gilt, sofern sie von mindestens zwei Staaten unterzeichnet ist. Aktuell haben Deutschland, die Schweiz, Lichtenstein, Kroatien, Tschechien, Österreich, Niederlande, Slowakei, Belgien, Luxemburg, Finnland, Malta, Norwegen, Polen, Portugal, Spanien und Schweden die Rahmenvereinbarung ratifiziert. Es ist möglich, dass noch weitere Länder hinzukommen werden.

Ausblick

Bei der Rahmenvereinbarung handelt es sich um eine auf fünf Jahre befristete Regelung, die sich einmalig um weitere fünf Jahre automatisch verlängert. Die für die Rahmenvereinbarung verantwortliche EU-Arbeitsgruppe hat sich aber ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass die europäischen Koordinierungsverordnungen (VO (EG) Nr. 883/2004 und VO (EG) Nr. 987/2009) dauerhaft um eine Regelung zur Bestimmung des maßgeblichen Sozialversicherungsrechts für die Telearbeit ergänzt werden.

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Alexandra Groth

Alexandra Groth

PartnerinRechtsanwältinFachanwältin für Arbeitsrecht

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