Arbeitsrecht18.03.2021 Newsletter

Recruiting in Corona-Zeiten – leichtes Spiel oder digitale Herausforderung?

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind auch auf dem Bewerbermarkt zu spüren. Obwohl es zunächst vermeintlich einfach scheint, an Personal zu kommen, scheinen ungeahnte Hürden für die Unternehmen zu Stolpersteinen zu werden. Unser Partner Jörn Kuhn geht hierzu ins Gespräch mit Thomas Hartenfels, Director bei Robert Walters, einem führenden internationalen Personalberater.

Lieber Herr Hartenfels, 1 Jahr Recruiting in Corona-Zeiten. Haben sich die Unternehmen an die neue Situation angepasst?

Tatsächlich stellen wir bei unseren Kunden eine gewisse Gewöhnung an die neue Arbeitsnormalität fest. Ganz anders sah es beim ersten Lockdown aus, da fühlten sich viele Unternehmen überrumpelt, da häufig einfach die Grundausrüstung für mobiles Arbeiten fehlte.

Nach nun einem Jahr sind mobile Arbeitsgeräte und Softwarelösungen wie Teams, Zoom und Stack üblich geworden. Dadurch hat sich in den Unternehmen eine gewisse Routine eingestellt und wir beobachten eine zunehmende Digitalisierung der Arbeitsprozesse.

Wir nehmen wahr, dass sich immer noch nicht jeder mit rein virtuellen Bewerbungsgesprächen angefreundet hat. Wie ist Ihr Eindruck: Bestehen Unternehmen noch auf Vorstellungstermine in Präsenz oder ist alles virtuell?

Laut aktuellen Befragungen unserer Kunden finden inzwischen zwei Drittel der Bewerbungsprozesse vollständig digital statt. Das übrige Drittel führt häufig teildigitale Verfahren durch, wünscht sich aber ein finales persönliches Treffen zum Abschluss. Wir erleben nur noch sehr wenige Unternehmen, die vollständig an Präsenz-Gesprächen festhalten. 

Ich gebe Ihnen aber Recht bei der Frage der Akzeptanz des Digitalgespräches: Diese ist nicht besonders hoch. Über die Hälfte unserer Ansprechpartner, und zwei Drittel unserer Kandidaten, sehen darin eher Nachteile – aus nachvollziehbaren Gründen: Zum einen bleiben so viele wichtige Eindrücke auf der Strecke, wie zum Beispiel das ganzheitliche Erleben des Gegenübers oder des potenziellen neuen Arbeitsplatzes. Auf dem Weg vom Empfang zum Konferenzraum verschafft man sich als Kandidat ja bereits viele Eindrücke – diese fehlen nun.

Zum anderen sind Interviewer wie Bewerber eben nicht aus Überzeugung und Affinität zum digitalen Bewerbungsgespräch übergegangen, sondern wurden durch äußere Umstände gezwungen. Und Zwang ruft nun mal auch in diesem Fall häufig Skepsis hervor.

Haben Sie Erfahrungen gesammelt, was Bewerber bei virtuellen Gesprächen erwartet?

Der für das Interview zuständige Personaler sollte versuchen, sich nicht nur rein inhaltlich auf das Gespräch zu konzentrieren, sondern dem Bewerber auch auf digitalem Weg ein wenig das Drumherum des Unternehmens und der Abläufe vermitteln. Wenn schon die persönliche Nähe fehlt, sollte man versuchen, auch im digitalen Interview eine Beziehung zum Gegenüber aufzubauen, damit eine Vertrauensbasis entsteht. Ein ohnehin bereits per Bildschirm distanziertes Gespräch sollte nicht noch unnötig formalisiert und stocksteif sein – dies hinterlässt kein gutes Gefühl beim Bewerber.

Was würde einen Bewerber bei virtuellen Gesprächen in jedem Fall verschrecken?

Als besonders negativ nehmen Bewerber fehlende technische Routine des Gegenübers sowie Verspätungen wahr. Wenn der Personaler während des Gesprächs anderweitig beschäftigt ist und dem Kandidaten nicht seine volle Aufmerksamkeit widmet, lässt dies ganz klar Wertschätzung vermissen. Im Grunde gelten hier die gleichen Regeln für den Unternehmensvertreter wie für den Kandidaten.

Dass ein digitales Gespräch bei Desinteresse stark verkürzt und man bei einem für eine Stunde angesetzten Gespräch nach 15–20 Minuten entlassen wird, ist einfach eine Unsitte. Bei digitalen Gesprächen sollte dem Gegenüber immer die Möglichkeit gegeben werden, offene Fragen zu klären. Auch beim digitalen Interview sollten alle Teilnehmer mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch gehen.

Wie genau können Unternehmen überhaupt ihre Marke – also Stichwort Employer Branding – bei rein virtuellen Gesprächen einem Bewerber nahebringen?

Alles, was als zusätzliche Information neben dem reinen Gespräch mit der Führungskraft hinzukommt, ist hilfreich. So kann eine Präsentation zur Unternehmensvorstellung, der Darstellung der Werte und Visionen hilfreich sein. Auch ein Imagefilm oder ein Film über den typischen Arbeitsalltag im Leben eines Mitarbeiters können helfen, den digitalen Eindruck ganzheitlicher zu machen.

Sehr gute Erfahrungen haben wir zum Beispiel mit der digitalen Simulation eines Probetages gemacht, bei der der Kandidat das Team kennenlernen kann und die Möglichkeit hat, unter vier Augen mit einem Mitarbeiter in einer vergleichbaren Position zu sprechen. So etwas schafft Vertrauen und liefert eine sehr authentische Vorstellung vom neuen Arbeitsplatz.

Oft fehlt der letzte Kick, um einen Bewerber zu überzeugen. Was ist der eine Trick, der immer funktioniert? Gibt es diesen?

Diesen heiligen Gral des Recruitings suche ich auch noch – dieser eine Tipp gilt als verschollen oder ist ein Mythos. Ich würde sagen, es gibt vier wichtige Tipps im Einstellungsprozess, die regelmäßig den Unterschied machen.

1. Jeder Umgang mit dem Kandidaten muss von ausgeprägter Wertschätzung sein. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ein Gespräch mit dem Satz „Sie hören nächste Woche von uns“ zu beenden, oder mit „Ich kann mir das richtig gut vorstellen mit uns beiden und würde mich sehr freuen, Sie an Bord begrüßen zu dürfen.“

2. Ein häufig unterschätzter Aspekt im Bewerbungsprozesses ist die Schnelligkeit. Personalern ist bewusst, dass sie sich schnell für einen Kandidaten entscheiden müssen, da diese nicht ewig auf eine Zusage warten und sich ansonsten anderweitig entscheiden. Der aus dem Vertrieb entlehnte Merksatz „Time kills all deals“ spiegelt sich jedoch noch nicht in jedem Einstellungsverfahren wider.

3. Ein gutes Bewerbungsverfahren, welches letztlich zum Erfolg führt, besteht im Grunde aus den beiden vorgenannten Punkten: Der Bewerber sollte sich wertgeschätzt fühlen, möglichst wenige Stufen zu erklimmen haben und relativ zügig erfahren, wo genau er im Bewerbungsprozess gerade steht.

4. Nachträglich einberufene Zwischenschritte, Gespräche, Evaluationen oder das Anfordern von Referenzen können als Unsicherheit seitens des Arbeitsgebers gedeutet werden. Ist jeder Prozessschritt zu Anfang angekündigt, herrscht Transparenz und Klarheit und damit wird bereits der Grundstein zu einem Vertrauensverhältnis gelegt.

Aus eigener Erfahrung stelle ich fest, dass ein Onboarding, welches ganz bzw. in weiten Teilen digital stattfindet, deutlich mehr Arbeit und deutlich mehr Kommunikation erfordert. Wie sehen Sie das?

Diese Erfahrung machen unsere Kunden und wir selbst auch. Sicher ist, dass das digitale Onboarding in seiner aktuellen Form noch nicht final ist und es noch viel Optimierungspotenzial gibt. Erst 20 Prozent unserer Kunden haben angefangen, Inhalte des Onboardings zu digitalisieren, zum Beispiel Lern- und Unterweisungsvideos zu erstellen.

Web-Seminare und digitale Pre-Boarding-Videos können noch in deutlich stärkerem Umfange genutzt werden – hier ist noch Luft nach oben, was Unternehmen vor allem zeitlich entlasten dürfte.

Lieber Herr Hartenfels, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und die Einblicke.

Ich danke Ihnen für die Möglichkeit zu diesem Austausch, lieber Herr Kuhn.

 

Interviewpartner: Thomas Hartenfels, Director bei Robert Walters Düsseldorf & Köln, Fürstenwall 172, 40217 Düsseldorf, T +49 211 30 180 002, [email protected]

 

Zurück zur Übersicht

Jörn Kuhn

Jörn Kuhn

PartnerRechtsanwaltFachanwalt für Arbeitsrecht

Konrad-Adenauer-Ufer 23
50668 Köln
T +49 221 2091 349
M +49 173 6499 049

E-Mail

LinkedIn