Handel und Konsumgüter16.11.2021 Newsletter

Lieferengpässe: Rechte und Ansprüche von Einzel- und Onlinehändlern

Knappe Rohstoffe, Produktionsstopps und die Krise in der Transport- und Logistikbranche – solche Faktoren sind Sand im Getriebe der globalen Wirtschaft. Sie stören das fragile System der eng aufeinander abgestimmten Lieferketten. Nach aktuellen Berichten ist das Weihnachtsgeschäft 2021 akut bedroht. Vor allem Unterhaltungselektronik und Sportartikel sind Mangelware und Nachschub in vielen Fällen nicht rechtzeitig zu erwarten.

Ursachen für diese Störungen sind aktuell die Corona-Pandemie und der Halbleiter-Engpass. Doch Störungen in der Lieferkette können auch auf andere Ursachen zurückzuführen sein, zum Beispiel auf den Ausfall von Maschinen, mangelnde Produktqualität oder Arbeitnehmerstreiks.

Welche rechtlichen Implikationen haben solche Störungen in der Lieferkette für den Einzel- und Onlinehandel? Wir geben Ihnen nachfolgend einen kompakten Überblick.

Pflicht zur Lieferung

Grundsätzlich gilt: Verträge sind einzuhalten. Mit anderen Worten: Hat ein Händler bei seinem Lieferanten Waren bestellt, hat er einen Anspruch auf Lieferung, und zwar zum vereinbarten Zeitpunkt. Lieferengpässe können den Lieferanten von seiner Lieferpflicht befreien. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach der Ursache des Lieferengpasses und muss im jeweiligen Einzelfall anhand der vertraglichen Vereinbarungen geprüft werden. Grundsätzlich gilt aber Folgendes:

Wegfall der Lieferpflicht durch Force Majeure

Lieferengpässe können ein Fall sog. höherer Gewalt sein (frz.: „force majeure“). Dem deutschen Zivilrecht ist der Begriff der höheren Gewalt zwar grundsätzlich fremd. Oft enthalten Verträge aber sog. Force Majeure-Klauseln, die den Fall höherer Gewalt definieren und die Risikoverteilung für ein solches nach Vertragsschluss aufgetretenes Erfüllungshindernis zwischen den Parteien regeln. Ist der Lieferengpass auf eine Ursache zurückzuführen, die laut Vertrag höhere Gewalt ist, kann der Vertragspartner in der Regel das Vertragsverhältnis beenden. Macht er von diesem Recht Gebrauch, erlischt der Lieferanspruch des Bestellers.

Wegfall der Lieferpflicht durch Unmöglichkeit

Der Vertragspartner wird kraft Gesetzes von seiner Lieferverpflichtung befreit, sofern ihm die Leistungserbringung objektiv oder subjektiv unmöglich geworden ist. Unmöglichkeit liegt jedoch nur in den Fällen vor, in denen dem Vertragspartner die Leistungserbringung dauerhaft unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Eine nur vorübergehende „Unmöglichkeit“, beispielsweise aufgrund von Einschränkungen zur Pandemiebekämpfung, begründet in aller Regel keine Unmöglichkeit und führt nicht zur dauerhaften Leistungsbefreiung des Lieferanten.

Grundsätzlich keine Befreiung durch erhöhten Aufwand des Schuldners

In der Praxis verweigert der Lieferant häufig die Leistung unter Verweis auf seinen steigenden Beschaffungsaufwand, etwa bei gestiegenen Transportkosten, Rohstoffpreise o. Ä. Er kann mit dieser Begründung gesetzlich nur dann die Leistung verweigern, wenn der höhere Aufwand zur Erfüllung seiner Verpflichtung in einem Missverhältnis zum Interesse des Bestellers an der Belieferung mit der bestellten Ware steht. Dies ist typischerweise nicht der Fall, da bei einem steigenden Aufwand des Lieferanten häufig auch das Interesse des Händlers an der Leistungserbringung steigt.

Befreiung von der Lieferverpflichtung durch Wegfall der Geschäftsgrundlage

Ein Lieferengpass kann außerdem einen sogenannten Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen (§ 313 BGB). Bei schwerwiegender Veränderung von Umständen, die nach den Vorstellungen der Parteien bei Abschluss des Vertrages vorhanden sind, kann eine Partei unter strengen Voraussetzungen eine Vertragsanpassung verlangen. Ein Recht zum Rücktritt oder zur Kündigung besteht nur, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist.

Die Anwendung von § 313 BGB scheidet in der Regel dann aus, wenn sich durch die Veränderung der Umstände ein Risiko verwirklicht, das eine der beiden Parteien zu tragen hat. Oft übernimmt ein Lieferant vertraglich beispielsweise das Risiko der Beschaffung der Ware. Scheitert die Beschaffung an vorübergehenden Hindernissen, etwa auf dem Transportweg durch einen Containerschiffstau, ist § 313 BGB regelmäßig nicht anwendbar.

Schadensersatzansprüche

Durch Lieferverzögerungen entstehen Händlern häufig Schäden. Dazu gehört etwa der durch Warenfehlbestände entgangene Gewinn. Häufig hat der Händler außerdem Mehrkosten, weil er zur Erfüllung seiner eigenen Lieferverpflichtungen kurzfristig Ersatzbeschaffungen zu einem höheren Preis tätigen muss.

Schadensersatzansprüche gegen Lieferanten hängen vor allem davon ab, ob diese die Spät- oder Nichtlieferung zu vertreten haben. Lieferanten müssen grundsätzlich nur für Vorsatz und Fahrlässigkeit einstehen (§ 276 BGB). Ob ihnen ein solcher Vorwurf gemacht werden kann, richtet sich nach der Ursache der Lieferverzögerung und dem Pflichtenprogramm des Lieferanten. In der Regel wird ein Lieferant die Schuld von sich weisen können. Dafür kann der Nachweis genügen, dass die Lieferverzögerungen aufgrund von Produktionsmängeln des Herstellers erfolgen und der Lieferant hinreichende Vorsorgemaßnahmen getroffen hat. Den Lieferanten kann aber auch eine strengere Haftung treffen.

Das ist der Fall, wenn er die Lieferung garantiert oder er vertraglich das Beschaffungsrisiko übernimmt. Möglicherweise könnte ein Anknüpfungspunkt für eine Haftung im Übrigen auch darin zu sehen sein, dass der Lieferant seine knappe Ware nicht fair an seine Abnehmer verteilt, sondern etwa nur denjenigen Händler beliefert, mit dem er den höchsten Gewinn erzielt. Ob der Lieferant eine Pflicht zur fairen Kontingentierung hat, bedarf allerdings einer eingehenden Prüfung.

In jedem Fall ist die Betrachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalles erforderlich. Dabei ist auch das eigene Verhalten unter die Lupe zu nehmen. Ein eigenes Verschulden bei der Schadensentstehung kann zu erheblichen Kürzungen des Anspruchs führen (§ 254 BGB).

Vorsicht vor kostenpflichtigen Abmahnungen im Weihnachtsgeschäft

Hamsterkäufe im Corona-Jahr haben gezeigt, dass leere Regale bei Verbrauchern zu Unruhen führen. Typischerweise erhöht sich dadurch die ohnehin große Nachfrage bei Onlinehändlern. Hier besteht das Risiko, dass Onlineshops Waren als verfügbar und versandbereit anzeigen, obwohl die Lagerbestände bereits erschöpft sind und sich eine Nachlieferung auf unbestimmte Zeit verzögert.

Weist der Händler nicht leicht lesbar, gut erkennbar und einfach verständlich darauf hin, dass die angebotene Ware nicht verfügbar ist, unternimmt er eine wettbewerbswidrige und damit unzulässige Handlung im Geschäftsverkehr. Neben unzufriedenen Kunden droht dabei ein signifikanter finanzieller Schaden, denn Wettbewerber und Verbände können den Anbieter wegen dessen unlauteren Wettbewerbshandlung kostenpflichtig abmahnen.

Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) verbietet es Unternehmen, gegenüber Verbrauchern mit sog. „Lockangeboten“ zu werben. Darunter versteht man die Bewerbung einer Ware zu einem bestimmten Preis, ohne den potenziellen Kunden darüber aufzuklären, dass die angebotene Ware für den beworbenen Preis nicht auf Lager und/oder in hinreichender Stückzahl vorhanden ist und auch nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu dem genannten Preis bereitgestellt werden kann.

Es besteht daher keine Pflicht, Waren aus einem Onlineshop zu entfernen, nur weil diese aktuell nicht vorrätig sind. Wettbewerbswidrig und damit abmahnfähig wird es nur beim Fehlen klarer Hinweise auf die fehlende Verfügbarkeit der Ware.

Fazit

Händler sollten ihre Onlineshops dieses Jahr besonders im Fokus haben und vor allem die Programmierung sowie Rückkopplung zwischen Lagerbeständen und Angebotsanzeige im Onlineshop prüfen. Durch die Berichterstattung über Lieferengpässe in überregionalen Zeitungen haben sowohl Wettbewerber als auch Verbraucherschutzverbände das Thema Lockangebote verstärkt auf ihrer Agenda, sodass auch bei kleineren Verstößen mit kostenpflichten Abmahnungen gerechnet werden muss.

Für weitere Informationen oder Fragen zur Durchsetzung Ihrer Ansprüche gegen Ihren Vertragspartner, zu wettbewerbsrechtlich zulässigen Handlungen und Gestaltungsmöglichkeiten oder allgemein zum Thema Störung von Lieferketten stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

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Jörn Kuhn

Jörn Kuhn

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