Arbeitsrecht25.08.2022 Newsletter

Drohende Energiekrise: Verpflichtende Energieeinsparung ab 01.09.2022

Die aufkommende Energiekrise zwingt zum Handeln: Das Bundeskabinett hat gestern zwei Verordnungen zur Energieeinsparung beschlossen, die von Bundeswirtschaftsminister Habeck vorgelegt wurden. Durch die Verordnungen werden nicht nur öffentliche Einrichtungen zur Einsparung von Gas und Strom konkret verpflichtet, sondern jedes Unternehmen. Die ersten Maßnahmen sind ab dem 01.09.2022 verpflichtend.

Welche arbeitsrechtlichen Auswirkungen die beiden Verordnungen haben werden, erklären Annabelle Marceau und Jörn Kuhn.

1. Geplante Maßnahmen

Die Reaktionen der Bundesregierung auf die Energiekrise sind vielfältig. Aktuell sind in zwei Verordnungen flächendeckende Energiesparmaßnahmen festgelegt.

Die Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen (Kurzfristenergiesicherungsverordnung – EnSikuV) regelt verpflichtende Energieeinsparmaßnahmen u. a. für öffentliche Nichtwohngebäude und Unternehmen.

Dabei sieht die Verordnung u. a. Folgendes vor:

  • Höchsttemperaturen für Arbeitsräume in öffentlichen Gebäuden
  • Mindesttemperaturen für Arbeitsstätten
  • Verbot des Offenhaltens von Eingängen im Einzelhandel
  • Nutzungseinschränkung beleuchteter Werbeanlagen (Verbot der Beleuchtung von 22–6 Uhr)

Da die Geltungsdauer der EnSikuV auf sechs Monate beschränkt ist, bedarf die Verordnung keiner Zustimmung des Bundesrates (§ 30 Abs. 4 Energiesicherungsgesetz), sodass die Verordnung ohne Weiteres am 01.09.2022 in Kraft treten wird. Die Verkündung im Bundesgesetzblatt steht allerdings noch aus.

Die weitere Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über mittelfristig wirksame Maßnahmen (Mittelfristenergiesicherungsverordnung – EnSimiV) soll am 01.10.2022 für die Dauer von zwei Jahren in Kraft treten. Diese Verordnung regelt technische Energieeinsparmaßnahmen in Gebäuden und verpflichtet Unternehmen dazu, Energiemanagementsysteme umzusetzen. Erforderlich ist allerdings noch die Zustimmung des Bundesrates.

Der Erlass der EnSikuV gibt Anlass, sich mit einzelnen arbeitsrechtlichen Fragestellung zu befassen.

2. Sind Arbeitgeber zur Reduzierung der Temperaturen in Büroräumen verpflichtet?

Grundsätzlich differenziert die EnSikuV nicht zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Arbeitgebern, sondern danach, ob die Arbeitsräume in öffentlichen Gebäuden liegen oder nicht. Für Arbeitsräume in öffentlichen Gebäuden gilt, dass die in § 6 EnSikuV vorgegeben Lufttemperaturwerte Höchstwerte (!) sind.

Diese liegen im Schnitt ca. 1-2 Grad unter den Raummindesttemperaturen der bislang zu berücksichtigenden Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) 3.5 Ziffer 4.2. 

Bei sonstigen gewerblichen Arbeitsstätten werden die nunmehr vorgegebenen Raumtemperaturen hingegen als Mindesttemperaturen deklariert (vgl. § 12 EnSikuV). Eine verpflichtende Absenkung der Temperaturen ist für diese Gebäude nicht vorgeschrieben.

Die Verordnungsbegründung appelliert jedoch an Unternehmen, dem Beispiel der öffentlichen Hand zu folgen. Fraglich ist dabei, ob der Appell so überhaupt umsetzbar ist, denn die Raumtemperaturen der ASR ist grundsätzlich über die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) zu berücksichtigen (vgl. § 3 Abs. 1 ArbStättV i.V.m. Anhang 3.5). Ob die EnSikuV hingegen eine vorrangige Verordnung im Sinne von § 3a Abs. 4 ArbStättV zur Anwendung gelangt, ist bisher ungeklärt.  

Die wichtigsten Erkenntnisse sind:

  • Es gibt (vorerst) keine verpflichtenden flächendeckenden Temperaturabsenkungen, sondern nur für öffentliche Gebäude.
  • Private Unternehmen, die Betriebsräume in öffentlichen Gebäuden haben, müssen sich auf die neuen Höchsttemperaturen einstellen.
  • In allen Arbeitsstätten sollen Temperaturen gesenkt werden, jedoch ist der Konflikt nicht geklärt. 

3. Sind Arbeitgeber bei einem Heizungsausfall verpflichtet, die Temperaturen in Büroräumen zu erhöhen?

Aufgrund der Energiekrise besteht das Risiko, dass insbesondere in Gebäuden, die mit Gas beheizt werden, die Heizung ausfallen kann. Insoweit stellt sich die Frage, ob Arbeitgeber in diesem Fall verpflichtet sind, für eine Erhöhung der Raumtemperatur zu sorgen.

Wie bereits ausgeführt, sind in Arbeitsstätten von nicht öffentlichen Gebäuden weiterhin die Raumtemperaturen der ASR vorrangig zu berücksichtigen (s. o.; vgl. § 3 Abs. 1 ArbStättV i.V.m. Anhang 3.5). Werden die vorgesehenen Raumtemperaturen nicht erreicht, so muss der Arbeitgeber nach den Grundsätzen des Arbeitsschutzes zunächst technische und organisatorische Maßnahmen ergreifen, bevor er zu personellen Maßnahmen greifen kann. Insoweit regelt auch § 6 Abs. 4 EnSikuV, dass die unter § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EnSikuV vorgegebenen Raumtemperaturen nur dann nicht gelten, sofern dies zu einer Gesundheitsgefährdung der Mitarbeitenden führt und sonstige Schutzmaßnahmen nicht möglich oder ausreichend sind.

Das Aufstellen von energieintensiven Heizstrahlern oder Heizlüftern wird nach unserer Einschätzung in Büros nicht in Betracht kommen, so dass andere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Verordnungsbegründung sieht vielmehr vor, dass Arbeitgeber die Erbringung der Arbeitsleistung im Home-Office anbieten.

Dabei bleibt insgesamt zu berücksichtigen, dass Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit darstellen, die mit einer Geldbuße geahndet werden können (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG i.V.m. ArbStättV).

4. Können Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden ins Home-Office schicken?

Die Energieeinsparverordnungen sehen keine Sonderregelungen vor, sodass die allgemeinen Anforderungen an die Einführung von Home-Office gelten. Insbesondere sollte eine verbindliche Grundlage geschaffen werden, um auch die Rückkehr der Mitarbeitenden nach der Winterperiode zu gewährleisten.

In den politischen Diskussionen der letzten Wochen ist eine Verpflichtung zum Home-Office wiederaufgekommen, ähnlich der Regelungen in der alten Fassung des § 28b Abs. 7 Infektionsschutzgesetz (verpflichtendes Angebot auf Homeoffice, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen). Es ist derzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es entsprechende Regelungen geben wird. Möglicherweise wird dieses auch mit der geplanten Neufassung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung umgesetzt.

Sofern ein Betriebsrat im Unternehmen besteht, ist dann bekanntermaßen die Beteiligung der Betriebsräte nach § 87 Abs. 1 Nr. 6, 7, 14 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu beachten.

5. Muss der Arbeitgeber bei der Home-Office-Pflicht eine Aufwandsentschädigung leisten?

In den allermeisten Fällen kommt ein Aufwandserstattungsanspruch nicht in Betracht, da Mitarbeitende sich bei einer möglichen Mehrbelastung durch das Homeoffice auch die Einsparungen anrechnen lassen müssen, die sie dadurch haben, dass sie die betriebliche Arbeitsstätte nicht aufsuchen müssen.

In dem Kontext noch ein Punkt: Die steuerliche Home-Office-Pauschale des Gesetzgebers von 5,00 Euro pro Tag läuft am 31.12.2022 aus. Hier wird erwartet, dass es vom Gesetzgeber Änderungen gibt, denn die Begrenzung auf 120 Tage und 600 Euro wird stark kritisiert und das Jahr 2022 mit Corona- und Energiekrise kaum abdecken.

6. Dürfen Mitarbeitende bei zu geringen Raumtemperaturen die Arbeit verweigern?

Ist die Erbringung der Arbeitsleistung im Home-Office allerdings nicht möglich und kann der Arbeitgeber in der Arbeitsstätte nicht die vorgeschriebenen Mindesttemperaturen gewährleisten, so stellt sich die Frage, ob Mitarbeitende berechtigterweise ihre Arbeitsleistung zurückhalten dürfen und der Arbeitgeber weiterhin zur Vergütung verpflichtet ist.

Zwar trägt grundsätzlich der Arbeitgeber das Betriebsrisiko gemäß § 615 S. 3 BGB. Anders dürfte dies zu beurteilen sein, wenn die dritte Stufe des Gasnotfallplans ausgerufen wird. Dann stellt sich gerade die Frage, ob wirklich noch ein Betriebsrisiko vorliegt, wenn von staatlicher Seite die Einstellung der Gaslieferung angeordnet wird und es mithin zu einem Heizungsausfall in der Betriebsstätte kommt.

Diesbezüglich wird es auf den konkreten Einzelfall ankommen, da zum einen die Raumtemperatur stark vom Empfinden des Einzelnen abhängt und u. a. relevant ist, wie lange die Räumlichkeiten möglicherweise zu kalt sind. In diesem Zusammenhang stellt sich die Folgefrage, ob Arbeitgeber anderweitige (kurzfristige) Maßnahmen ergreifen und beispielsweise geeignete warme Kleidung zur Verfügung stellen können oder aber, ob Mitarbeitende – auf Kosten des Arbeitgebers – entsprechende Kleidung anschaffen dürfen.

7. Hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, wenn die Raumtemperatur abgesenkt werden soll?

Dem Betriebsrat steht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bei Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz zu. Dies bedeutet nicht, dass der Betriebsrat entscheiden kann, ob die Temperaturen gesenkt werden oder nicht. Gleichwohl darf der Betriebsrat aber bei der Umsetzung der Entscheidung mitbestimmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf zu ergreifende Maßnahmen des Arbeitgebers, um Gefährdungen der Belegschaft durch kühlere Raumverhältnisse vorzubeugen.

8. Müssen Tätigkeiten einer neuen Gefährdungsbeurteilung unterzogen werden?

Grundsätzlich hat jeder Arbeitgeber gemäß § 5 ArbSchG durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Konkretisiert wird dies wiederum durch die ArbStättV. Sie sieht unter § 3 vor, dass der Arbeitgeber u. a. physische Belastungen zu berücksichtigen hat. Hierzu gehört auch die Raumtemperatur (Anhang zu § 3 ArbStättV, Ziffer 3.5). Demnach spricht viel dafür, dass Arbeitgeber, die die Raumtemperaturen in ihren Räumlichkeiten absenken, neue Gefährdungsbeurteilungen erstellen müssen.

Auch hierbei ist wiederum an das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu denken.

9. Hat der Betriebsrat bei der Einführung von Energiemanagementsystemen ein Mitspracherecht?

Sofern ein IT-gestütztes Energiemanagementsystem durch ein Unternehmen eingeführt werden soll, steht dem Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dann ein Mitbestimmungsrecht zu, wenn die IT-Applikation geeignet ist, Verhalten oder die Leistung der Mitarbeitenden zu überwachen.

Gleiches gilt auch gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, sofern das einzuführende Energiemanagementsystem Auswirkungen auf den Gesundheitsschutz der Belegschaft haben sollte.

10. Ausblick

Der Verlauf der Energiekrise birgt viele Unwägbarkeiten für Unternehmen – nicht nur, dass nicht absehbar ist, inwieweit diese Krise weitere Einschränkungen erzwingen wird. Vielmehr bleibt abzuwarten, ob, und wenn ja, welche Auswirkungen der dritte „Corona-Winter“ mit sich bringen wird. Arbeitgeber sollten Notfallpläne entwickeln, um möglichst schnell auf neue Gegebenheiten reagieren zu können. Dabei sollte ebenfalls zeitnah das Gespräch mit den Arbeitnehmervertretungen gesucht werden, um ein schnelles Handeln gewährleisten zu können.

Gerne stehen Ihnen hierbei unsere Experten Annabelle Marceau und Jörn Kuhn zur Verfügung.

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Annabelle Marceau

Annabelle Marceau

Junior PartnerinRechtsanwältinFachanwältin für Arbeitsrecht

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Jörn Kuhn

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