VersicherungenGesellschaftsrecht01.10.2025 Newsletter
VW muss nachsitzen: BGH erklärt Zustimmungsbeschlüsse zum Deckungsvergleich für nichtig
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (Az. II ZR 154/23) hat mit Urteil vom 30. September 2025 den Beschluss der Hauptversammlung der Volkswagen AG über die Zustimmung zu einem Deckungsvergleich mit D&O-Versicherern im Zusammenhang mit dem "Dieselskandal" für nichtig erklärt. Zugleich hat der BGH die Frage der Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse zu Haftungsvergleichen mit ehemaligen Vorstandsmitgliedern an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen.
Hintergrund des Urteils:
Im Juni 2021 schloss die Volkswagen AG im Rahmen des "Dieselskandals" mit den ehemaligen Vorstandsmitgliedern Winterkorn und Stadler Haftungsvergleiche, sowie darauf bezogene Deckungsvergleiche mit D&O-Versicherern zur Abgeltung und Erledigung möglicher Schadensersatzansprüche Dritter. Neben zu zahlenden Eigenbeiträgen der Vorstandsmitglieder in Höhe von 11,2 Mio. EUR bzw. 4,1 Mio. EUR wurde vereinbart, dass die D&O-Versicherer Zahlungen in Höhe von rund 270 Mio. EUR leisten. Bestandteil der Vergleiche war auch ein Verzicht von VW auf mögliche Schadensersatzansprüche gegen sämtliche weitere ehemalige oder amtierende Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats. Die Hauptversammlung stimmte diesen Vereinbarungen im Juli 2021 mit einer Mehrheit von über 99 % per Beschluss zu. Kapitalanlegerschutzvereinigungen erhoben jedoch Widerspruch zur Niederschrift und klagten gegen die Zustimmungsbeschlüsse.
Entscheidung des BGH:
Der BGH erklärte den Zustimmungsbeschluss über den Deckungsvergleich nun für nichtig, da die Tagesordnung der Hauptversammlung nicht den Anforderungen des § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG entsprach. Konkret wurde nicht ausreichend mitgeteilt, dass der Deckungsvergleich – mit Ausnahme der ehemaligen Vorstandsmitglieder Winterkorn und Stadler – einen Verzicht auf Ansprüche gegenüber sämtlichen amtierenden und ausgeschiedenen Organmitgliedern beinhaltete. Diese Information fand sich lediglich im Bericht des Vorstands, der jedoch nicht Teil der in der Einberufung angegebenen Tagesordnung war. Für den durchschnittlichen Aktionär war daher nicht erkennbar, dass über einen weitreichenden Verzicht im Rahmen der weiteren Informationen zu den Tagesordnungspunkten abgestimmt werden sollte. Dies stellt einen Gesetzesverstoß dar, der die Anfechtbarkeit des Beschlusses zur Folge hat.
Hinsichtlich der Haftungsvergleiche mit den ehemaligen Vorstandsmitgliedern Winterkorn und Stadler beanstandete der BGH zudem, dass die Auskünfte zu deren Vermögensverhältnissen unzureichend waren und die jeweilige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für die Aktionäre im Bericht des Aufsichtsrates und des Vorstands nicht ausreichend dargelegt wurde. Aus den Angaben ließ sich nicht verlässlich erkennen, ob die im Bericht vertretene Annahme, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der ehemaligen Vorstandsmitglieder – selbst unter Berücksichtigung der Versicherungssumme – bei weitem nicht ausreiche, um die ihnen zurechenbaren Schäden zu decken, hinreichend erläutert wurde.
Relevanz des Urteils für die Praxis:
Die Anforderungen an die Einberufung der Hauptversammlung bei der Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen dürfen in der Praxis nicht unterschätzt werden. Aus der Pressemeldung des BGH sind zwei wichtige Kernaussagen der noch unveröffentlichten Entscheidungsgründe hervorzuheben:
1. Tagesordnung und Transparenz:
Unternehmen sollten sicherstellen, dass alle relevanten Informationen in der Tagesordnung enthalten sind und die Aktionäre über jeden Punkt umfassend informiert werden, um sich angemessen auf die Hauptversammlung vorbereiten zu können. Für die Aktionäre muss anhand der bekannt gemachten Tagesordnung ohne weiteres zu erkennen sein, worüber verhandelt und beschlossen wird. Dies umfasst alle wesentlichen Informationen, die für die Beschlussfassung relevant sind.
Insbesondere bei Beschlüssen über den Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder ist die Tagesordnung von zentraler Bedeutung, da sie sowohl eine positive als auch eine negative Bindungswirkung entfaltet. Die negative Bindungswirkung bedeutet, dass über nicht ordnungsgemäß bekannt gemachte Gegenstände keine Beschlüsse gefasst werden dürfen. Umgekehrt unterliegen alle in der Tagesordnung bekannt gemachten Gegenstände der positiven Bindungswirkung, sodass sie in der Hauptversammlung zwingend behandelt werden müssen.
Zwar macht das Gesetz keine konkreten Vorgaben zum erforderlichen Konkretisierungsgrad der Tagesordnung, jedoch bestehen gemäß § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG besondere Anforderungen bei Beschlussfassungen über zustimmungsbedürftige Verträge. Dazu zählen auch Vergleiche über Ersatzansprüche der Gesellschaft. In solchen Fällen ist eine präzise Darstellung der für den Vergleich wesentlichen und kritischen Punkte erforderlich. Hierzu gehören insbesondere weitreichende Verzichtserklärungen gegenüber Organmitgliedern, die klar und verständlich offengelegt werden müssen. Informationen, die lediglich aus Berichten des Vorstands oder des Aufsichtsrats ergehen, genügen diesen Anforderungen nicht.
2. Auskunftspflichten:
Vorstandsmitglieder sollten sich ihrer mitunter umfangreichen Auskunftspflichten nach § 131 AktG bewusst sein und diese sorgfältig erfüllen, um nachträgliche rechtliche Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit der in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse zu vermeiden. Unzureichende Informationen können das Auskunftsrecht der Aktionäre in der Hauptversammlung verletzen und somit die Anfechtbarkeit von Beschlüssen begründen. Dabei sind die persönlichen Verhältnisse von Organmitgliedern ausnahmsweise Gegenstand des Auskunftsrechts, wenn sie für den Zustimmungsbeschluss über einen Haftungsvergleich mit dem betreffenden Organmitglied relevant sind. Dies umfasst nicht nur Einkommensangaben, sondern auch Informationen über das vorhandene Vermögen und die Deckung möglicher Haftungsansprüche. So war in dem konkreten Fall des BGH maßgeblich, in welchem Umfang etwaige Haftungsansprüche von Dritten durch eigenes Vermögen der ehemaligen Vorstandsmitglieder gedeckt gewesen wären.
Anna-Catharina von Girsewald
PartnerinRechtsanwältin
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