Kartellrechtliche Haftungsfallen im „Agenturmodell“ – Worauf Sie achten müssen

Nicht nur in der Automobilindustrie befinden sich derzeit Handelsvertreter- bzw. Agenturmodelle in einer Konjunktur. Immer mehr Hersteller stellen – branchenübergreifend – den Vertrieb ihrer Produkte auf Handelsvertreter um bzw. planen diesen Schritt in den nächsten Jahren. Diese Modelle haben aus Sicht der Auftraggeber einen großen Vorteil: Sie gewähren dem Prinzipal mehr Einfluss auf die Ausgestaltung und Einhaltung seines Vertriebssystems sowie auf das Preisniveau seiner Produkte und Dienstleistungen und ermöglichen eine größere Nähe zum Endkunden.

Diese Vorteile haben jedoch ihren Preis. Auftraggeber tragen in Agenturmodellen in der Regel nicht nur ein deutlich höheres wirtschaftliches Risiko (z. B. das Risiko bei Zahlungsausfall des Kunden), sie bergen auch Herausforderungen bei der kartellrechtlichen Compliance, die bei Nichtbeachtung schnell ins Geld gehen können.

Dieser Beitrag ist kein Abgesang auf das Agenturmodell. Vielmehr wird ein Überblick über die wichtigsten Haftungsszenarien gegeben, die Auftraggeber beachten müssen, um das kartellrechtliche Compliance-Risiko bei der Einschaltung von Vermittlern zu minimieren.

Wer volle Kontrolle will, muss Risiken übernehmen

Wer ein Handelsvertreter- bzw. Agenturmodell implementiert, möchte in der Regel die Art und Weise des Absatzes seiner Waren oder Dienstleistungen stärker steuern, um näher am Endkunden zu sein, und zusätzlich die Einhaltung eines bestimmten Preisniveaus im Markt bestimmen können. Dies beinhaltet in der Regel strikte Vorgaben an die Handelsvertreter zu Vertriebsgebieten, Kundengruppen, Warenpräsentation und Verkaufspreisen.

Diese engmaschige Kontrolle der Vermittler setzt allerdings voraus, dass sie bezüglich des Absatzes der Vertragswaren innerhalb der EU keine bzw. nur sehr unbedeutende wirtschaftliche Risiken tragen. Nur unter diesen Voraussetzungen erlaubt das EU Kartellrecht nämlich eine uneingeschränkte Einflussnahme des Prinzipals auf die Geschäfts- und Preisstrategie seiner Handelsvertreter. Nur dann geht das EU Kartellrecht davon aus, dass der Vermittler nicht mehr als unabhängiger Händler, sondern als „verlängerter Arm“ des Auftraggebers im Markt agiert, - mit der Folge, dass das Kartellverbot im Hinblick auf den Absatz der Waren und Dienstleistungen des Prinzipals keine Anwendung findet. Diese Konstellation wird auch „Handelsvertreterprivileg“ genannt.

Irrelevant ist dabei, wie der Vertrag betitelt ist. Entscheidend ist allein, dass der Vertriebspartner beim Absatz der Vertragswaren kein wirtschaftliches Risiko trägt. Das Handelsvertreterprivileg kann daher z. B. auch bei einem Kommissionsmodell greifen, in dem der Vertriebspartner die Waren im eigenen Namen, aber für Rechnung des Auftraggebers verkauft.

Konkret müssen Auftraggeber die folgenden Risiken auf sich nehmen, damit das Handelsvertreterprivileg greift:

  • vertragsspezifische Risiken, die unmittelbar mit dem Absatz der Vertragswaren oder -dienstleistungen zusammenhängen. Z.B. muss der Auftraggeber die Finanzierung von Lagerbeständen oder das Delkredererisiko der Endkunden übernehmen. Zudem darf sich der Handelsvertreter nicht an den Kosten beteiligen (einschließlich Beförderungskosten), die mit der Lieferung oder dem Erwerb der Vertragswaren verbunden sind, es sei denn der Auftraggeber erstattet diese Kosten.
  • Risiken, die marktspezifische Investitionen betreffen: Das sind Investitionen, die erforderlich sind, damit der Handelsvertreter seine Tätigkeit für den Auftraggeber ausführen kann. Daraus folgt, dass der Handelsvertreter weder unmittelbar noch mittelbar verpflichtet werden darf, in verkaufsfördernde Maßnahmen zu investieren. Z. B. muss der Auftraggeber Werbeaufwendungen oder Werbe- oder Verkaufsförderungsmaßnahmen, die sich auf die Vertragswaren oder -dienstleistungen beziehen, vollständig alleine finanzieren bzw. diese Kosten dem Handelsvertreter vollständig erstatten. Der Handelsvertreter darf auch keine Kosten für vertragsspezifische Ausrüstungen, Räumlichkeiten, Mitarbeiterschulungen oder spezielle Software übernehmen.
  • Bei Risiken für sonstige Tätigkeiten, die mit dem Absatz der Vertragswaren oder -dienstleistungen im Zusammenhang stehen, darf beispielsweise der Auftraggeber seinen Handelsvertreter nicht dazu verpflichten, die Lieferung der Vertragswaren auf eigene Kosten vorzunehmen.

Es bedarf daher stets einer sorgfältigen (wirtschaftlichen) Abwägung, ob man als Auftraggeber bereit ist, für die volle Kontrolle seines Warenvertriebs die oben genannten Risiken zu übernehmen. Trägt der Vermittler nur eines oder auch mehrere der oben genannten Risiken, kann sich der Auftraggeber nicht mehr auf das kartellrechtliche Handelsvertreterprivileg berufen. In der Folge wäre z. B. die Vorgabe von Weiterverkaufspreisen als schwerwiegender Verstoß gegen das Kartellverbot zu werten, der von den europäischen Kartellbehörden in der Regel mit hohen Bußgeldern geahndet wird (Verbot der vertikalen Preisbindung). Auch Vorgaben und Beschränkungen beim Vertrieb in bestimmten Gebieten oder an bestimmte Kundengruppen (z. B. Exklusivitätsvereinbarungen) wären in diesem Falle nicht mehr ohne weiteres möglich. Nicht sorgfältig entworfene Agenturverträge können daher schnell zur Kostenfalle werden.

Vorsicht bei parallelen Agentur- und Händlermodellen

Vorsicht ist auch geboten, wenn Vertriebspartner für einen Anbieter parallel als Vermittler im Agenturmodell und als unabhängiger Händler agieren. Diese Konstellation trifft man z. B. in der Automobilindustrie häufig an: Neue Elektromodelle vertreibt der Händler über einen Agenturvertrag auf Provisionsbasis, Verbrennermodelle über den klassischen Eigenvertrieb. Das ist in der Regel ohne größere Probleme möglich, wenn – wie im Falle der Elektro-Automobile – die Produkte im Agenturvertrieb mit anderen oderzusätzlichen Funktionen oder neuen Merkmalen ausgestattet sind. Sind die Produkte oder Dienstleistungen im Agenturmodell aber nicht hinreichend von denjenigen abgrenzbar, die im klassischen Händlermodell vertrieben werden, drohen die Grenzen zwischen Agentur- und Händlermodell zu verschwimmen. Z. B. besteht dann die Gefahr, dass sich der Händler zunehmend an der vom Prinzipal vorgegebenen Preisstruktur im Agenturmodell orientiert und die Preise für die Produkte, die er als unabhängiger Händler verkauft, nicht mehr unabhängig davon festlegt.

„Infiziert“ auf diese Weise der Agenturvertrieb den unabhängigen Handelsvertrieb, kann dies mitunter das Handelsvertreterprivileg im Agenturvertrieb zu Fall bringen – mit allen oben genannten Konsequenzen. Bei gemischten Vertriebsstrukturen sollte daher darauf geachtet werden, dass die unter den Agenturvertrag fallenden Produkte, Tätigkeiten und Risiken klar von denjenigen des Händlervertrages abgegrenzt werden können.

Haftungsrisiko des Auftraggebers bei Kartellverstößen des Vermittlers

Ist ein Vermittler als „verlängerter Arm“ des Prinzipals in dessen Unternehmenssphäre integriert, weil er keine eigenen wirtschaftlichen Risiken beim Absatz der Vertragswaren trägt, darf der Auftraggeber zwar die Geschäfts- und Preisstrategie seines Vertriebspartners – anders als bei unabhängigen Händlern – umfassend selbst bestimmen. Allerdings führt dies aus dem Blickwinkel des EU Kartellrechts zu einer weiteren Konsequenz: Auftraggeber und Vermittler können dann aufgrund der engen Verbundenheit eine sog. „wirtschaftliche Einheit“ bilden.

Diese Konstellation kann aus Compliance-Gesichtspunkten problematisch sein, wenn sich der Vermittler nicht an kartellrechtlichen Normen hält und z. B. mit einem Wettbewerber seines Auftraggebers illegale Preis- oder Marktaufteilungskartelle eingeht. Nach der ständigen Rechtsprechung der europäischen Gerichte wird das kartellrechtliche Fehlverhalten des abhängigen Vermittlers dem Prinzipal wie eigenes Fehlverhalten zugerechnet – unabhängig davon, ob der Auftraggeber Kenntnis von den unzulässigen Aktivitäten seines Vertriebspartners hatte. Als Folge können jedenfalls auf Basis des EU Kartellrechts kartellrechtliche Sanktionen, z. B. in Form von Bußgeldern, direkt gegenüber dem Auftraggeber ausgesprochen werden.

(Potentielle) Auftraggeber sollten sich also bewusstmachen, dass die enge Integration von Handelsvertretern und Agenten in das eigene Vertriebssystem erhöhte Anforderungen an die Überwachung dieser Vermittler stellt. Auf vermeintliche Unkenntnis von illegalen Verhaltensweisen der Vermittler kann sich der Prinzipal im Zweifel nicht berufen. Handelsvertreter und Agenten sollten daher (technisch und inhaltlich) genauso in das unternehmensinterne Compliance System eingebunden werden, wie die eigenen Tochtergesellschaften und Mitarbeiter. Dazu gehören auch regelmäßige kartellrechtliche Schulungen. Zudem bietet sich die Aufnahme eines verbindlichen kartellrechtlichen Verhaltenskodex in die Vertriebsverträge an.

Haftungsrisiken durch Informationsaustausch

Ein erhöhtes kartellrechtliches Compliance-Risiko besteht auch dann, wenn Vertriebsmittler für mehrere Geschäftsherren auf demselben Markt tätig sind. Problematisch wird es insbesondere, wenn wettbewerbliche sensible Geschäftsinformationen zwischen den Auftraggebern über den Vermittler ausgetauscht werden. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Hub-and-Spoke-Konstellation. Bildlich gesprochen sind die Auftraggeber die Speichen eines Rades, die über die Radnabe – den Vertriebsmittler – miteinander verbunden sind.

Gibt ein Vermittler sensible Informationen einer seiner Auftraggeber an einen anderen Geschäftsherrn weiter (z. B. anstehende Preiserhöhungen), kann dieser indirekte Informationsaustausch gegen das Kartellverbot verstoßen. Nicht nur der Vertriebsmittler, sondern auch die Auftraggeber können in diesem Fall z. B. in Form von Bußgeldern sanktioniert werden. Eine Sanktion wird die Geschäftsherren insbesondere dann treffen, wenn der Agent mit Billigung und Kenntnis der Auftraggeber die wettbewerblichen sensiblen Informationen weitergegeben hat. Ein Haftungsrisiko für die Auftraggeber besteht allerdings auch dann, wenn diese vernünftigerweise hätten vorhersehen können, dass ihre sensiblen Informationen über den gemeinsamen Vertriebspartner weitergegeben werden.

Maßnahmen zur Reduzierung der kartellrechtlichen Risiken

Zur Minimierung der kartellrechtlichen Risiken sollten daher als präventives Mittel Vertraulichkeitsvereinbarungen mit den Vertriebsmittlern abgeschlossen werden, welche klare Vorgaben im Umgang mit Vertriebspartnern von Wettbewerbern beinhalten und wettbewerbswidrige Kontaktaufnahmen mit Wettbewerbern (z. B. in Form der Weitergabe von vertraulichen Daten und Informationen des Auftraggebers an Dritte) untersagen und sanktionieren. Auch die enge Einbindung der Vertriebsmittler in das kartellrechtliche Compliance-Programm des Auftraggebers sollte erwogen werden.

Erlangt ein Auftraggeber Kenntnis von einem wettbewerbswidrigen Verhalten seines Vermittlers oder bestehen Anhaltspunkte für einen solchen Verdacht, sollte sich der Auftraggeber keinesfalls passiv verhalten oder darauf vertrauen, dass mit Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung alles geregelt wäre. Sie bietet im Fall des Verstoßes keinen hundertprozentigen Schutz gegen eine eigene Haftung des Geschäftsherrn. Vielmehr sollten angesichts des hohen Haftungsrisikos für Auftraggeber proaktiv Maßnahmen ergriffen werden, um den Verdachtsfall aufzuarbeiten und etwaiges kartellrechtswidriges Verhaltens sofort einzustellen. Je nach Schwere des Verstoßes sollte auch über einen Kronzeugenantrag bei der zuständigen Kartellbehörde nachgedacht werden.

 

 

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Dr. Daniel Dohrn

Dr. Daniel Dohrn

PartnerRechtsanwalt

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