17.04.2020 Newsletter

Corona-Krise – virtuelle Betriebsverfassung

(Stand: 1. Juni 2020)

Betriebsratssitzungen, Wirtschaftsausschuss und Einigungsstelle per Video- und Telefonkonferenz

1. Drohende Unwirksamkeit von Beschlüssen des Betriebsrats

Die Coronavirus-Pandemie erschwert die Betriebsratsarbeit, da Präsenzsitzungen häufig nicht möglich sind. Für die Unternehmen droht damit ein Stillstand in den mitbestimmungsrelevanten Fragestellungen.

Am 23.03.2020 hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vor diesem Hintergrund eine Ministererklärung von Hubertus Heil vom 20.03.2020 veröffentlicht. Nach dieser seien in der aktuellen Lage im Ausnahmefall Betriebsratssitzungen per Videokonferenz oder Telefonkonferenz einschließlich online gestützter Anwendungen wie WebEx-Meetings oder Skype zulässig.

Dieser Ansatz ist vielfach kritisiert worden, da die bisherige Gesetzeslage vorschreibt, dass Betriebsratssitzungen nicht öffentlich sind und dass Beschlüsse mit der Mehrheit der Anwesenden gefasst werden müssen.

Viele Unternehmen hatten gleichwohl zur Vermeidung des Stillstands in mitbestimmungsrelevanten Fragestellungen Verfahrensregelungen mit den Betriebsräten getroffen oder einseitige Zusagen erklärt, dass der Arbeitgeber nicht die formelle Wirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen bestreitet.

 

2. Reaktion des Gesetzgebers

Um die bestehende Rechtsunsicherheit final zu klären und die Handlungs- und Beschlussfähigkeit des Betriebsrates in Zeiten der Corona-Pandemie zu sichern, hat die Bundesregierung nun nach entsprechendem Drängen der Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Betriebsratsvertreter reagiert. Mit Mitteilung der Bundesregierung vom 09.04.2020 hat diese mit § 129 BetrVG n.F. eine gesetzliche Neuregelung auf den Weg gebracht, die mit deutlichem Verzug erst am 20.05.2020 durch den Bundestag beschlossen wurde. Der Wortlaut der Neuregelung lautet:

§ 129 BetrVG Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie.

(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzungen keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Absatz 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. Gleiches gilt für die von den in Satz 1 genannten Gremien gebildeten Ausschüsse.

(2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Absatz 1 Satz 1 und 2 entsprechend.

(3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis vom Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.

Damit hat eine Rechtsgrundlage für die Nutzung technischer Einrichtungen wie Telefon- oder Videokonferenz für die Betriebsratstätigkeit in das Betriebsverfassungsgesetz Einzug gehalten. Die Neuregelung sieht damit vor, dass sowohl die Teilnahme an den Betriebsratssitzungen, als auch die Beschlussfassung mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen kann. Zugleich muss jedoch sichergestellt sein, dass die Inhalte der Sitzungen vor der Kenntnisnahme durch unbefugte Dritte geschützt sind. Eine Aufzeichnung der Sitzungen ist ausdrücklich nicht erlaubt (§ 129 Absatz 1 BetrVG).

Die Teilnahme an den Sitzungen und die Beschlussfassung mittels Video- und Telefonkonferenz soll auch für Einigungsstellen und Wirtschaftsausschüsse gelten (§ 129 Absatz 2 BetrVG).

Zudem sieht Absatz 3 der Neuregelung vor, dass Betriebsräte- und Betriebsversammlungen mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden können. Auch insoweit gilt, dass sicherzustellen ist, dass der Inhalt der Versammlungen vor der Kenntnisnahme durch Dritte geschützt ist und dass Aufzeichnungen nicht erlaubt sind.

3. Rückwirkung der gesetzlichen Neuregelung

Um Rechtssicherheit auch in Bezug auf die zwischenzeitlich bereits virtuell gefassten Beschlüsse zu erzielen, ist § 129 BetrVG mit seiner Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 28.05.2020 rückwirkend ab dem 1.3.2020 in Kraft getreten. Damit sind etwaige Verfahrensregelungen oder einseitige Erklärung des Arbeitgebers auch für die Vergangenheit obsolet geworden.

Wo der Gesetzesentwurf mit einen Absatz 4 der Neuregelung noch eine befristete Geltung bis zum 31.12.2020 vorsah, ist dies im Gesetzgebungsverfahren aus der Regelung gestrichen worden. Damit werden Betriebsratssitzungen auch in Zukunft weiter virtuell möglich sein.

4. Weitere Neuregelungen

Mit § 129 BetrVG n.F. sind ebenso vergleichbare Sonderregelungen wie etwa für den Sprecherausschuss, den Europäischen Betriebsrat oder den SE-Betriebsrat in Kraft getreten.

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Jörn Kuhn

Jörn Kuhn

PartnerRechtsanwaltFachanwalt für Arbeitsrecht

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