Gesundheit23.09.2022 Newsletter

Telemedizin: Fernbehandlung als juristische Herausforderung

Die fortschreitende Entwicklung neuer Technologien führt auch in der Gesundheitsbranche zu neuen Anwendungsfeldern und Innovationen. Was schon seit Jahrzehnten in der Seefahrt etabliert ist, soll nun auch in Arztpraxen Einzug finden: die Fernbehandlung von Patienten ohne physisch realen Kontakt. Gerade in dünn besiedelten Regionen lassen sich damit bestehende Versorgungslücken schließen und auch im städtischen Bereich kann die Erreichbarkeit fachärztlicher Versorgung verbessert werden.

Wir geben einen Überblick über berufs- und haftungsrechtliche Fragen und zur Werbung für telemedizinische Behandlungen.

Was ist Telemedizin?

Zur Telemedizin gehören viele Neuerungen des zunehmend digitalisierten Gesundheitswesens. Bereits die Nutzung digitaler Kommunikationsmittel zur Weitergabe von Befunden zwischen Ärzten und Laboren kann hierunter gefasst werden. Die Bandbreite nutzbarer Kommunikationsmittel reicht von einfacher Telefonie über SMS bzw. E-Mail bis hin zu neuen Chat-Funktionen inklusive Videoübertragung. Letztere spielen vor allem im Bereich der Fernbehandlung eine Rolle.  Fernbehandlung im juristischen Sinne meint die „Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen (…) beruht“ (§ 9 HWG).

Fernbehandlung wirft berufsrechtliche Fragen auf

Ärztinnen und Ärzte sahen sich bis 2018 mit einem berufsrechtlichen Verbot von Fernbehandlungen konfrontiert (§ 7 Abs. 4 MBO-Ä). Dem schaffte der 121. Deutsche Ärztetag im Mai 2018 Abhilfe: Seither ist im Einzelfall eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien unter der Voraussetzung möglich, dass dies aus medizinischer Sicht vertretbar erscheint und der Patient entsprechend aufgeklärt wurde.

Dies ändert nichts daran, dass der unmittelbare Patientenkontakt im Rahmen der ärztlichen Behandlung weiterhin als „Goldstandard“ gilt. Im Einzelfall ist also sorgfältig zu prüfen, ob die konkrete Behandlung bzw. Beratung im Einklang mit dem medizinischen Facharztstandard telemedizinisch durchgeführt werden kann. Sollte die Einschätzung des Arztes fehlerbehaftet sein, so können sich sowohl berufsrechtliche (§ 2 Abs. 2 MBO-Ä) als auch haftungsrechtliche Konsequenzen ergeben.

Aufklärungs- und Behandlungsfehler vermeiden

Zur Beurteilung von Haftungsrisiken bei Fernbehandlungen muss zwischen einer Haftung für Aufklärungsfehler und Fehlern bei der Behandlung unterschieden werden.

Bei der Aufklärung vor einer Behandlung (§ 630e Abs. 1 BGB) muss der Arzt einige Besonderheiten der telemedizinischen Betreuung berücksichtigen. Dabei sind vor allem alternative, also physisch-reale Behandlungsmöglichkeiten sowie Risiken einer Fernbehandlung in den Blick zu nehmen. Zu letzterem gehören etwa die Stabilität der Datenübertragung und mögliche Einschränkungen der Behandlung. Die Aufklärung muss grundsätzlich mündlich erfolgen (§ 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB). In der Regel wird dabei von einem persönlichen Gespräch ausgegangen. Ob ein Gespräch im Zuge einer Videosprechstunde ebenfalls genügt, ist von den Gerichten noch nicht entschieden worden. Es spricht aus Praktikabilitätsgründen einiges für diese Möglichkeit. Begeht der Arzt einen Aufklärungsfehler und erleidet der Patient in der Folge einen Gesundheitsschaden, so können sich Schadensersatzansprüche ergeben.

Auch bei der telemedizinischen Behandlung gilt der Facharztstandard. Hiervon abweichende Vorgehensweisen können einen Behandlungsfehler darstellen, der zum Schadensersatz verpflichtet. Besonders relevant bei der Fernbehandlung ist die Haftung für technisches Überwachungsverschulden. Gerade der Datentransfer stellt eine elementare Grundlage für den Behandlungsprozess dar. Sämtliche technischen Geräte müssen auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft werden. Erkennbare Gerätefehler oder der Einsatz von qualitativ minderwertigen Kommunikationsmitteln bringen besondere Haftungsrisiken mit sich.

Krankschreibung per Telefon

Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie ist sie in aller Munde: die telefonische Krankschreibung. Dabei ist ein solches Vorgehen alles andere als selbstverständlich. Bis zur Liberalisierung der Berufsordnung für Ärzte war sie in keiner Form vorgesehen. Mittlerweile hat der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie vorgesehen, dass eine Krankschreibung im Nachgang an eine Videosprechstunde möglich ist (§ 4 Abs. 5 AU-RL G-BA).

Die maximale Dauer einer solchen Krankschreibung richtet sich danach, ob der Patient einem Arzt der betroffenen Fachrichtung bereits bekannt ist oder nicht. In letzterem Fall ist die Dauer der Krankschreibung auf bis zu drei Kalendertage beschränkt. Bei bekannten Patienten auf bis zu sieben Kalendertage. Eine Sonderstellung nimmt die rein telefonische Krankschreibung im Rahmen der besonderen Pandemielage ein. Bei leichten Erkrankungen der oberen Atemwege ist nach telefonischem Kontakt eine bis zu siebentägige Krankschreibung möglich. Diese Regelung ist aktuell bis zum 30.11.2022 befristet.

Datenschutzrechtliche Anforderungen an Dienstanbieter

Ärztinnen und Ärzte, die im Rahmen ihrer Behandlung digitale Kommunikationsmittel nutzen, müssen sich mit den datenschutzrechtlichen Anforderungen der DSGVO, des BDSG sowie den berufsrechtlichen Konkretisierungen dieser Anforderungen auseinandersetzen.

Wichtig sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Regelungen in Anlage 31b des Bundesmantelvertrags der Ärzte (BMV-Ä) zur Videosprechstunde. Dort ist zunächst geregelt, dass (auch) der Videodienstanbieter Verantwortlicher im Sinne der DSGVO ist (§ 2a Abs. 2). Eine Auftragsverarbeitung nach Art. 28 DSGVO, im Rahmen derer alleine die Ärztin bzw. der Arzt datenschutzrechtlich verantwortlich bliebe, scheidet daher aus.

Die Datenverarbeitung darf nur innerhalb der EU oder in einem aufgrund eines Angemessenheitsbeschlusses der EU-Kommission gleichgestellten Land durchgeführt werden. Darüber hinaus darf die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt eine Videosprechstunde nur mit Einwilligung durchführen (§ 4 Anlage 31b BMV‑Ä i.V.m. Art. 9 Abs. 2 lit. a DSGVO) und muss einen Dienstanbieter einsetzen, der den technischen Anforderungen von § 5 Anlage 31b BMV-Ä genügt. Hier sei insbesondere auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von Daten, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und dass der Dienstanbieter keine Einsicht in Daten hat hingewiesen. Der Dienstanbieter muss entsprechend zertifiziert sein. Eine aktuelle Liste mit der zertifizierten Anbieter ist auf der Webseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung abrufbar.

Werbung für Fernbehandlungen

Wer eine Fernbehandlung anbietet, möchte diese bewerben. Dies war bis 2019 äußerst problematisch, da laut Heilmittelwerbegesetz ein vollständiges Werbeverbot für Fernbehandlungen galt (§ 9 HWG aF). Hiervon gibt es inzwischen eine Ausnahme: Die Werbung für eine Fernbehandlung ist nicht verboten, wenn im Rahmen der Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt nicht erforderlich ist (§ 9 S. 2 HWG). Werbung richtet sich natürlicherweise an eine Vielzahl von Personen. Bei ihrer Formulierung können die konkreten Krankheitssituationen also keine Berücksichtigung finden.

Es ist somit vorab nicht feststellbar, ob eine zukünftige Behandlung mit Blick auf die medizinischen Standards möglich wäre. So entsteht ein schmaler Grat, auf dem es bei der rechtssicheren Formulierung von Werbungen zu balancieren gilt: Zum einen muss die beworbene Fernbehandlung grundsätzlich im Einklang mit Leitlinien der jeweiligen medizinischen Fachgesellschaften stehen. Zum anderen sollte in die Werbeaussage integriert werden, dass erst im konkreten Einzelfall entschieden werden kann, ob eine Fernbehandlung nach fachlichen Standards möglich ist. Mit dem richtigen Fingerspitzengefühl kann für Fernbehandlungen also geworben werden.

Fazit

Fernbehandlungen zu etablieren erscheint als logische Konsequenz einer immer weiter fortschreitenden Digitalisierung unserer Gesellschaft. Neben den beschriebenen Vorteilen existieren auch Risiken bei der Diagnose und Behandlung ohne persönlichen ärztlichen Kontakt. Diesen Risiken trägt der Gesetzgeber mit neuen Regelungen Rechnung, in deren Zentrum die Patientensicherheit steht. Im Sinne des Patienten und auch des Behandlers ist somit eine rechtliche Begleitung von telemedizinischen Angeboten sinnvoll.

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Marco Degginger

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