Kartellrecht und Fusionskontrolle21.10.2025 Newsletter

Signaling 2.0 – öffentliche Kommunikation als kartellrechtliches Risiko

1. KI gestützte Analyse löst kartellrechtliche Durchsuchungen der EU-Kommission aus

Die Europäische Kommission hatte Anfang 2024 gegen mehrere Reifenhersteller unangekündigte Durchsuchungen wegen des Verdachts kartellrechtswidriger Absprachen durchgeführt und ihren Anfangsverdacht maßgeblich auf öffentlich zugängliche Informationen – insbesondere Transkripte von Analysten-Calls, Pressemitteilungen und Präsentationen – gestützt. Die Kommission hatte diese systematisch und teils KI-gestützt ausgewertet, um Hinweise auf eine wettbewerbswidrige Koordinierung zu identifizieren.

Das Gericht der Europäischen Union stufte diese Ermittlungsmethode als ausreichende Grundlage für eine Durchsuchung ein und betonte, dass gesetzlichen Veröffentlichungs- und Transparenzpflichten keine Rechtfertigung für einen Kartellrechtsverstoß darstellen (T-188/24 – Michelin). Unternehmen sind angehalten, den Inhalt ihrer öffentlichen Kommunikation genau auf wettbewerblich relevante Informationen zu überprüfen.

2. Hintergrund

In dem oben genannten Urteil befasste sich das Gericht der Europäischen Union mit einer Klage des Reifenherstellers Michelin gegen die Nachprüfungsentscheidung der Kommission. Diese diente als Grundlage für eine Durchsuchung der Kommission Anfang 2024 wegen des Verdachts wettbewerbswidriger Verhaltensweisen in der Reifenindustrie.

Die Kommission vermutete, dass mehrere Marktteilnehmer, darunter auch Michelin, öffentliche Analysten-Calls und Mitteilungen möglicherweise strategisch eingesetzt hatten, um künftige Verkaufspreise anzukündigen und so eine koordinierte Preissetzung herbeizuführen, ohne dass eine ausdrückliche Absprache vorlag.

Grundlage dieses Verdachts war eine durch KI gestützte Analyse von mehreren hunderttausend öffentlich zugänglichen Erklärungen sowie Telefonkonferenzen zu Finanzergebnissen und Prognosen der betroffenen Unternehmen – insbesondere im Hinblick auf erwartete Großhandelspreise. Die automatisierte Auswertung ergänzte die Kommission zusätzlich durch manuelle Prüfungen. Nach Einschätzung der Kommission ergaben sich daraus hinreichende Anhaltspunkte für mögliche Verstöße gegen das Kartellrecht, die die Nachprüfungen rechtfertigten. Diese Auffassung hat das Gericht der Europäischen Union in weiten Teilen bestätigt.

3. Was bedeutet das für Unternehmen?

3.1 Jede öffentliche Aussage zählt

Ob Analysten-Call, Geschäftsbericht, Pressemitteilung oder Präsentation: jede öffentliche Äußerung, die strategische Informationen zu künftigen Preisen, zum Markt- oder zu sonstigem Wettbewerbsverhalten enthält, könnte von Kartellbehörden als Indiz für eine unzulässige Koordinierung gewertet werden. Besonders kritisch sind Aussagen, die als „Signal“ an Wettbewerber verstanden werden könnten – etwa Ankündigungen von Preisstrategien oder Hinweise auf branchenweite „Wettbewerbsdisziplin“.

Unternehmen sollten daher ihre Kommunikations- und Compliance-Strategien entsprechend überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um das Risiko kartellrechtlicher Ermittlungen zu minimieren.

3.2 Transparenzpflichten schützen nicht vor Kartellrechtsverstößen

Auch wenn gesetzliche Offenlegungspflichten bestehen, entbindet dies nicht von der Einhaltung des Kartellrechts. Die Erfüllung von Transparenzpflichten darf nicht dazu führen, dass wettbewerblich sensible Informationen veröffentlicht werden.

3.3. Synchronisierte Kommunikation erhöht das Risiko

Zeitlich oder inhaltlich abgestimmte öffentliche Aussagen mehrerer Marktteilnehmer können den Verdacht auf eine verbotene Koordinierung begründen. Unternehmen sollten daher besonders vorsichtig sein, wenn sie zu ähnlichen Zeitpunkten wie Wettbewerber vergleichbare Mitteilungen veröffentlichen.

4. Leitplanken für Unternehmen

Sorgfalt und Zurückhaltung bei öffentlichen Mitteilungen:

Unternehmen sollten in öffentlichen Mitteilungen (z. B. Geschäftsberichten, Pressemitteilungen, Analysten-Calls, Investorenpräsentationen) keine konkreten oder detaillierten Informationen zu künftigen Preisen, Preisstrategien oder geplanten Preiserhöhungen kommunizieren. Solche Aussagen können als ein „Signal“ an Wettbewerber gewertet werden und ein Ermittlungsrisiko durch die Kartellbehörden begründen.

Auch öffentliche Aussagen zu Kapazitätsanpassungen oder anderen geplanten strategischen Maßnahmen sollten vor Veröffentlichung auf ihre wettbewerbliche Relevanz geprüft werden, insbesondere wenn sie Rückschlüsse auf das künftige Marktverhalten zulassen.

Klare interne Kommunikationsrichtlinien und Freigabeprozesse:

Unternehmen sollten klare interne Richtlinien erlassen, die regeln, welche Informationen in öffentlichen Mitteilungen zulässig sind und welche nicht. Insbesondere Aussagen zu Preisen, Kapazitäten, Marktanteilen oder strategischen Absichten sollten einer besonderen Prüfung unterliegen.

Alle öffentlichen Mitteilungen mit Marktbezug sollten vor ihrer Veröffentlichung auf kartellrechtliche Risiken geprüft werden. Die Freigabe und Prüfung sollten dokumentiert werden, um im Falle einer Untersuchung die Einhaltung der Compliance-Prozesse nachweisen zu können.

Monitoring und Analyse der Kommunikation:

Unternehmen sollten ein System zur Überwachung und Analyse der eigenen öffentlichen Kommunikation einrichten, um frühzeitig Risiken zu erkennen und gegenzusteuern.

Schulungen und Sensibilisierung:

Führungskräfte sowie alle Mitarbeitenden, die an öffentlichen Kommunikationsformaten beteiligt sind, sollten regelmäßig zu kartellrechtlichen Risiken geschult werden.

Im Zweifel gilt:

Weniger ist mehr – verzichten Sie auf Aussagen, die als „Signal“ an Wettbewerber verstanden werden könnten, und holen Sie rechtlichen Rat ein, bevor Sie strategisch relevante Informationen veröffentlichen.

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Dr. Daniel Dohrn

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Dr. Agnès Reinhold

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