Arbeitsrecht27.10.2025Köln Newsletter

Reform der EBR-Richtlinie – Neue Compliance-Pflichten für multinationale Unternehmen in Sicht

Die von der EU geplante Reform der EBR-Richtlinie befindet sich in den finalen Zügen. Der Entwurf der Kommission („RLE-KOM“) liegt seit Anfang 2024 vor. Im Verlauf der Trilog-Gespräche hat der Rat am 28. Mai 2025 den finalen Kompromiss-Entwurf („RLE-final“) als Grundlage für die Abstimmung über die Richtlinie an das EU Parlament weitergeleitet.

Das EU-Parlament hat am 9. Oktober 2025 diesem Kompromiss-Entwurf zugestimmt. Da auch der Ministerrat seine Zustimmung signalisiert hat, dürfte der Verabschiedung der überarbeiteten Richtlinie nun nichts mehr im Wege stehen. Daher dürfte mit einem Inkrafttreten der Richtlinie noch Ende 2025 zu rechnen sein. Die Mitgliedstaaten haben ab Inkrafttreten 2 Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Anzuwenden sind die neuen Vorschriften sodann (mit Ausnahme der Regelungen zu freiwilligen EBR-Vereinbarungen) spätestens 3 Jahre nach Inkrafttreten der Reform.

Die Reform bringt deutlich schärfere Pflichten für Unternehmen und erweiterte Rechte für Europäische Betriebsräte („EBR“). Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Änderungen zusammen, die Unternehmen im Blick haben sollten.

Überblick über die wichtigsten Änderungen der geplanten Reform

1. Erweiterung der Definition "grenzüberschreitende Angelegenheiten"

Nach aktueller Fassung des Art. 1 Abs. 4 EBR-RL gilt eine Angelegenheit als grenzüberschreitend, wenn sie mindestens zwei Betriebe aus zwei unterschiedlichen Mitgliedsstaaten betrifft.

Die neue Definition weitet den Anwendungsbereich erheblich aus. Nach der Begründung zum RLE-KOM soll die neue Definition Art. 1 Abs. 4 EBR-RL eine Vermutungsregel enthalten. Demnach soll eine Angelegenheit bereits als grenzüberschreitend geltend, wenn vernünftigerweise damit zu rechnen ist, dass mindestens zwei Betriebe aus zwei unterschiedlichen Mitgliedsstaaten betroffen sein könnten. Damit wird nicht nur die Schwelle zur EBR-Beteiligung deutlich abgesenkt. Überdies wird eine Beweiserleichterung zugunsten der Arbeitnehmervertretungen geschaffen, da diese nicht mehr den tatsächlichen grenzüberschreitenden Charakter einer Maßnahme nachweisen müssen. Vielmehr obliegt es dem Unternehmen, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen, sofern es eine EBR-Beteiligung vermeiden will.

In der Praxis werden sich Unternehmen wesentlich häufiger in der Situation sehen, begründen zu müssen, wieso u.U. keine grenzüberschreitende Angelegenheit vorliegt.

2. Zwei jährliche Versammlungen zwischen EBR und zentraler Leitung

Die Verpflichtung der zentralen Leitung („zL“), den EBR einmal jährlich zu unterrichten findet sich bisher nur im Anhang 1 zur EBR-RL und wurde vom deutschen Gesetzgeber entsprechend in § 29 Abs. 1 EBRG umgesetzt.

Geplant ist, den Turnus für diese reguläre Unterrichtung auf zwei Mal pro Jahr zu erhöhen. Der RLE-final übernimmt diese Forderung und schreibt zudem fest, dass die Sitzungen künftig grundsätzlich physisch („in person“) stattzufinden haben. Eine Sitzung kann nur hybrid oder als Videokonferenz stattfinden, wenn der EBR ausdrücklich zustimmt (Vetorecht). Zudem können Sachverständige des EBR künftig an allen Sitzungen mit dem Management teilnehmen.

Unternehmen müssen daher erhebliche zeitliche und organisatorische Ressourcen einplanen und mit deutlich steigenden Kosten – für Anreise, Verpflegung, evtl. Dolmetscher – der EBR-Mitglieder aus verschiedenen Ländern rechnen, wenn sie sich nicht mit ihrem EBR auf eine virtuelle Durchführung der Sitzung verständigen können.

3. Geschlechterparität im EBR und im Verhandlungsgremium

Der Reformvorschlag verfolgt ferner das Ziel, ein paritätisches Geschlechterverhältnis in den Arbeitnehmervertretungen zu erreichen. Vorgesehen ist eine verbindliche Mindestquote von jeweils 40 % für Frauen und Männer, sowohl im besonderen Verhandlungsgremium („bVG“) als auch im EBR.

Während der Kommissionsentwurf keinerlei Sanktionen für die Nichterreichung vorsah, ist der RLE-final an dieser Stelle strenger. In Fällen, in denen die Quote nicht eingehalten wird, sollen bVG und EBR verpflichtet sein, eine schriftliche Begründung gegenüber den Arbeitnehmern abzugeben. Eine automatische Pflicht zur Nachbesetzung ist damit jedoch nicht verbunden. Im Gegenteil betont auch der RLE-final, dass die Einrichtung der Gremien unabhängig von der Einhaltung der Geschlechterquote Bestand haben soll.

Das Ziel der Geschlechterparität wird durch die Einführung einer Berichtspflicht mit mehr Nachdruck verfolgt. Eine unmittelbare Sanktionierung droht allerdings bei Verstoß nicht.

4. Anspruch auf begründete Antworten der zentralen Leitung 

In Deutschland gilt bereits nach § 1 Abs. 5 Satz 2 – in überschießender Umsetzung der geltenden EBR-RL – dass eine Anhörung des EBR stets eine begründete Stellungnahme der zL zur Folge haben muss.

Diese Pflicht zur Stellungnahme rechtzeitig vor der Entscheidung über eine grenzüberschreitende Angelegenheit ist nun auch in den Reformentwürfen zur EBR-RL enthalten. Somit wird die aus Deutschland bereits bekannte Verpflichtung auch in den Umsetzungsgesetzen anderer Mitgliedsstaaten zu erwarten sein. Die RLE-final lässt bewusst offen, was als „rechtzeitig“ gilt. Damit verbleibt auf Unternehmensseite ein gewisser Spielraum, im Einzelfall Umstände wie Dringlichkeit, Komplexität und Bedeutung der Maßnahme zu berücksichtigen.

Erfreulicherweise nimmt aber die RLE-final Abstand von der ursprünglichen Forderung, die Stellungnahmepflicht mit der Möglichkeit zur Durchsetzung über einstweilige Verfügungen zu flankieren!

Eine Veränderung wird somit vor allem für EBR, die bisher nicht auf Grundlage des deutschen EBRG formiert waren, spürbar sein.

5. Konkretisierung der Finanzierungspflichten

Auch nach der geltenden Richtlinie, hat die zL für den EBR finanzielle und materielle Ressourcen bereitzustellen (Art. 6 Abs. 2 lit. f BER-RL). Diese Vorgabe erhält eine Konkretisierung. Die mit RLE-KOM eingebrachte Auflistung zu finanzierender Maßnahmen wird beibehalten.

Umfasst sein sollen demnach insbesondere die Kosten für die Organisation von Sitzungen und die Bereitstellung von Dolmetschern sowie die Unterbringungs- und Reisekosten der Mitglieder des EBR. Auch müssen künftig alle angemessenen Kosten für Sachverständige, einschließlich Rechtsexperten, von der zentralen Leitung getragen werden, d.h. die derzeitige Begrenzung auf nur einen Sachverständigen soll mithin entfallen. Ergänzend gibt die RLE-final den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, unter Berücksichtigung dieser Vorgaben auch „budgetary rules“ für die Angelegenheiten des EBR gesetzlich zu regeln.

6. Vertrauliche Informationen und Nichtweitergabe

Die RLE-final führt detaillierte Regelungen zur Vertraulichkeit und Zurückhaltung von Informationen gegenüber dem EBR ein. Es wird differenziert zwischen der vertraulichen Übermittlung von Informationen (Art. 8) und der vollständigen Informationsverweigerung (Art. 8a). Informationen dürfen vertraulich übermittelt werden, wenn dies im legitimen Interesse der zL liegt und die Voraussetzungen nach objektiven Kriterien vorliegen, die im jeweiligen nationalen Recht festzulegen sind. In diesen Fällen muss die zL die Gründe für die Vertraulichkeit sowie – soweit möglich – deren Dauer benennen.

Wird die Übermittlung vollständig verweigert, weil dies das Unternehmen ernsthaft beeinträchtigen würde, sind konkrete Gründe hierfür anzugeben. Mitgliedstaaten können zu diesem Zweck ein behördliches oder gerichtliches Genehmigungserfordernis vorsehen.

Die neuen Regelungen schaffen mehr Transparenz und Prüfbarkeit, ohne aber eine generelle Offenlegungspflicht einzuführen. Unternehmen sollten ihre internen Prozesse und bestehenden EBR-Vereinbarungen im Hinblick auf Vertraulichkeit und Informationsweitergabe prüfen. 

7. ​​​Sanktionen und Zugang zu Rechtsschutz

Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, verbindliche Durchsetzungsmechanismen und klar geregelte Sanktionen einzuführen.

Nach Art. 11 RLE-final müssen die Mitgliedstaaten künftig effektive, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen einführen. Bei deren Bemessung müssen die Mitgliedstaaten u. a. Schwere, Dauer, Folgen und Verschuldensgrad berücksichtigen; auch der Jahresumsatz des Unternehmens ist einzubeziehen oder es muss ein vergleichbar abschreckender Effekt sichergestellt werden.

Zusätzlich soll dem EBR bzw. bVG der Zugang zu gerichtlichen oder verwaltungsrechtlichen Verfahren ermöglicht werden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, entweder die Kostentragung für Rechtsvertretung durch die zL zu regeln oder gleichwertige Maßnahmen vorzusehen (z. B. Zugang zu Prozesskostenhilfe), um den Zugang nicht aus finanziellen Gründen faktisch zu verhindern. Wird der Zugang zu Gerichten von einer vorherigen außergerichtlichen Streitbeilegung abhängig gemacht, so darf diese Voraussetzung nicht zu einer faktischen Rechtsverweigerung führen.

Für Unternehmen erhöht sich dadurch der Compliance-Druck erheblich. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der existente EBR auf einem Rechtsstatut eines Landes formiert wurde, welches bisher keinen Zugang zu gerichtlichen Verfahren ermöglichte (wie z. B. in Irland). Gleichwohl sind erfreulicherweise weiterreichende Maßnahmen, wie die Einführung einstweiliger Verfahren, ausgeblieben.

8. Auswirkungen auf „freiwillige EBR-Vereinbarungen“

Alle "freiwilligen" EBR-Vereinbarungen, die vor dem 23. September 1996 geschlossen wurden, sind innerhalb von zwei Jahren nach Umsetzung der Reform an die neue EBR-Richtlinie anzupassen. Scheitern die Verhandlungen mit dem EBR, droht nicht mehr die Auflösung des EBR, sondern es gelten die subsidiären Vorschriften (EBR "kraft Gesetz").

Fazit 

Das ausgerufene Ziel – die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf europäischer Ebene zu stärken – wird die neue EBR-RL mit mehr Entschiedenheit umsetzen. Auch ohne die Einführung von einstweiligen Verfahren, gewinnen die Rechte der EBR an Durchsetzungskraft. Dies durch weitere Anwendungsbereiche, klarere Regelungen und schärfere Sanktionen.

Grenzüberschreitend tätige Unternehmen sollten sich auf deutliche Auswirkungen auf Mitbestimmung, HR und Compliance einstellen. Das Inkrafttreten der endgültigen Fassung der reformierten EBR-RL bleibt abzuwarten, aber schon jetzt ist klar, sie wird neue Compliance-Herausforderungen für Unternehmen mit sich bringen.

Zurück zur Übersicht

Isabel Hexel

Isabel Hexel

PartnerinRechtsanwältinFachanwältin für Arbeitsrecht

Konrad-Adenauer-Ufer 23
50668 Köln
T +49 221 2091 348
M +49 172 1476 657

E-Mail

LinkedIn