Kartellrecht und Fusionskontrolle / Arbeitsrecht24.07.2025 Newsletter
Personalmärkte unter Druck: EU-Kartellbehörden verhängen Bußgelder wegen No-Poach Agreements
Abwerbeverbote sind ins Visier der Kartellbehörden geraten: Die Europäische Kommission hat zum ersten Mal Bußgelder wegen Kartellabsprachen auf dem Arbeitsmarkt verhängt. Mit ihrem Beschluss vom 2. Juni 2025 (AT.40795) stellt sie klar, dass der „War for Talents“ nicht durch einen gegenseitigen Abwerbeverzicht ausgebremst werden darf. Nur eine Woche später zog die französische Kartellbehörde nach und sanktionierte No-Poach Agreements ebenfalls mit hohen Bußgeldern (Adlc, Beschluss Nr. 25-D-03 v. 11.06.2025). In diesem Beitrag erläutern wir die kartellrechtlichen Leitplanken für Abwerbeverbote und zeigen, wie Unternehmen ihr Bußgeldrisiko minimieren können.
Was sind No-Poach Agreements?
No-Poach Agreements sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, in denen sie sich verpflichten, keine Mitarbeiter des jeweils anderen Unternehmens aktiv abzuwerben („non-solicit“) oder einzustellen („no-hire“).
Sie werden ebenso wie Wage-fixing Agreements, also Absprachen über Gehälter und sonstige Vergütungen, von Kartellbehörden i. d. R. als Hardcore-Beschränkungen geahndet.
Solche Vereinbarungen schränken die Wahlmöglichkeiten der Arbeitnehmer und damit den Wettbewerb um qualifiziertes Personal sowie die Entwicklungsmöglichkeiten der Beschäftigten ein.
Von Brüssel bis Paris: Wie Kartellbehörden No-Poach Agreements bewerten
Die Europäische Kommission hat erstmals Abwerbeverbote geahndet: Das Verfahren betraf die Essenslieferdienste Delivery Hero und Glovo, die No-Poach Agreements zunächst für bestimmte Beschäftigtengruppen vereinbarten, bevor sie auf sämtliche Mitarbeiter ausgeweitet wurden. Für diese und weitere wettbewerbswidrigen Praktiken wie den Austausch sensibler Informationen und die Aufteilung der räumlichen Märkte verhängte die Kommission ein Bußgeld i. H. v. 329 Millionen Euro.
Dieses Verfahren ist besonders, weil Arbeitsmärkte üblicherweise national abgegrenzt sind und daher meist von den nationalen Kartellbehörden geprüft werden. Vor diesem Hintergrund hatte die Kommission den nationalen Kartellbehörden bereits 2024 „Leitlinien“ an die Hand gegeben, wie No-Poach Agreements zu bewerten sind.
Diesen „Leitlinien“ folgte auch die französische Kartellbehörde(Autorité de la concurrence) in einem neuen Beschluss: In einem Kronzeugenverfahren verhängte sie ein Bußgeld in Höhe von rund 30 Millionen Euro gegen Unternehmen aus den Bereichen Ingenieurwesen, Technologieberatung und IT-Dienstleistungen, die No-Poach Agreements als gentlemen’s agreements abgeschlossen hatten. Die Behörde orientierte sich an den „Leitlinien“ der EU-Kommission und stellte fest, dass es sich bei den No-Poach Agreements um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen handelt. Ausschlaggebend war, dass das betroffene Personal aufgrund seiner strategischen Bedeutung einen wesentlichen Wettbewerbsfaktor zwischen den Unternehmen darstellt.
Erstmals befasste sich die Autorité auch mit Abwerbeverboten, wie sie typischerweise in Subunternehmerverhältnissen vereinbart werden. Diese Klauseln wurden jedoch nicht als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen gewertet, da sie nur bestimmte, für die Auftragserfüllung relevante Mitarbeiter betrafen und zeitlich begrenzt waren.
Leitplanken für Unternehmen
Aus der Praxis der Europäischen Kommission und der französischen Kartellbehörde lassen sich folgende Leitplanken ableiten:
- Unternehmen sollten besonders vorsichtig sein, wenn Personal einen zentralen Wettbewerbsfaktor darstellt. Darauf können ein hoher Anteil der Personalkosten an den Gesamtausgaben, Fachkräftemangel oder eine hohe Personalfluktuation hinweisen.
- Wettbewerb um Personal besteht nicht zwingend nur innerhalb derselben Branche/Industrie. Auch branchenfremde Unternehmen können mit Ihrem Unternehmen im Wettbewerb um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen.
- Das Bußgeldrisiko sinkt, wenn das Abwerbeverbot auf ein konkretes Projekt beschränkt und für dessen Durchführung objektiv erforderlich ist. Abwerbeverbote sollten daher niemals ohne konkreten Anlass vereinbart werden. Gerechtfertigt sind Abwerbeverbote in der Regel im Zusammenhang mit Unternehmenstransaktionen, Kooperationen oder Auftragsverhältnissen. Im Zweifel sollte Rechtsrat eingeholt werden.
- Abwerbeverbote sollte den Kreis der Betroffenen präzise und möglichst eng fassen und nur für einen begrenzten Zeitraum gelten.
- Eine im Abwerbeverbot vorgesehene Entschädigung sollte den durch die Abwerbung entstandenen Schaden nur teilweise ausgleichen und keine abschreckende Wirkung entfalten, damit eine punktuelle Abwerbung weiterhin möglich bleibt.
- Abwerbeverbote sollten stets das „letzte Mittel“ sein: Unternehmen müssen prüfen, ob der Zweck nicht auch durch weniger wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen erreicht werden kann, z. B. Mindestbeschäftigungsdauer oder anteilige Rückzahlung von Ausbildungskosten.
Ausblick
Weltweit nehmen Kartellbehörden den Arbeitsmarkt verstärkt in den Fokus, sei es im Kontext der Fusionskontrolle (siehe unseren Newsletter „Übernahme von Mitarbeitenden kann Fusionskontrolle unterliegen“) oder bei Kartellabsprachen. No-Poach Agreements werden zunehmend isoliert geprüft und sanktioniert: Nach dem französischen Beschluss hat auch die slowakische Kartellbehörde ein (wenn auch symbolisches) Bußgeld gegen einen Verband verhängt, der Abwerbeverbote zwischen seinen Mitgliedern forciert hatte.
Die Praxis zeigt: Abwerbeverbote sind nicht per se verboten, werden aber nur unter engen Voraussetzungen toleriert. Um das Bußgeldrisiko zu minimieren, sollten Unternehmen jede personalbezogene Vereinbarung mit anderen Unternehmen sorgfältig kartellrechtlich prüfen und ihre kartellrechtlichen Compliance-Management-Systeme auf Arbeitsmarktfragen ausweiten.
Haben Sie Fragen zu diesem Thema? Sprechen Sie uns gerne an.
Dr. Agnès Reinhold
AssociateAvocate (Frankreich)
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