Newsflash: Bundestag beschließt Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

(Stand: 25. März 2020)

Der Bundestag hat heute das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht beschlossen. Die darin vorgesehenen Änderungen des Insolvenzrechts durch das COVID-Insolvenz-Aussetzungsgesetz (COVInsAG) sind weitreichend. Geschäftsleiter von Unternehmen, die aufgrund der COVID-19-Pandemie in Schieflage geraten, sind bis zum 30. September 2020 von der Insolvenzantragspflicht befreit. In diesem Zeitraum sind auch die sonst geltenden Zahlungsverbote bei Insolvenzreife ausgesetzt. Zusätzlich wird für einen Übergangszeitraum von drei Monaten das Insolvenzantragsrecht der Gläubiger suspendiert. Flankiert werden diese Maßnahmen durch die Privilegierung von Sanierungskredite – einschließlich Gesellschafterdarlehen – sowie den Anfechtungsschutz von Geschäftspartnern. Die Regelungen geltenden rückwirkend zum 1. März 2020.

 

1. Ziel des COVInsAG

Ziel des COVInsAG ist es, die Fortführung von Unternehmen zu ermöglichen und zu erleichtern, die infolge der COVID-19-Pandemie insolvent geworden sind oder wirtschaftliche Schwierigkeiten haben. Den betroffenen Unternehmen und ihren organschaftlichen Vertretern soll Zeit gegeben werden, um die notwendigen Vorkehrungen zur Beseitigung der Insolvenzreife zu treffen, insbesondere um zu diesem Zwecke staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen oder Finanzierungs- oder Sanierungsarrangements mit Gläubigern und Kapitalgebern zu treffen. Auch sollen durch die Einschränkung von Haftungs- und Anfechtungsrisiken die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass solchen Unternehmen Sanierungskredite gewährt werden können und dass die Geschäftsverbindungen zu Geschäftspartner nicht abgebrochen werden.

 

2. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung ist unverzüglich ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Wird diese in § 15a Abs. 1 InsO (bzw. für Vereine in § 42 Abs. 2 BGB) normierte Pflicht nicht erfüllt, kann dies für die betroffenen Mitglieder der Vertretungsorgane sowohl zu zivilrechtlichen Schadenersatzpflichten führen als auch strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Durch das COVInsAG wird die Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht oder keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.

Dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, wird wiederum vermutet, wenn am 31. Dezember 2019 keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Zwar ist die Vermutung widerleglich. Allerdings soll nach Ansicht des Gesetzgebers angesichts des Zwecks der Vermutung, den Antragspflichtigen von den Nachweis- und Prognoseschwierigkeiten effektiv zu entlasten, eine Widerlegung nur in solchen Fällen in Betracht kommen, bei denen kein Zweifel daran bestehen kann, dass die COVID-19-Pandemie nicht ursächlich für die Insolvenzreife war und dass die Beseitigung einer eingetretenen Insolvenzreife nicht gelingen konnte.

 

3. Keine Zahlungsverbote bei Insolvenzreife

Ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung dürfen Geschäftsleiter betroffener Unternehmen nur noch solche Zahlungen vornehmen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Zahlungen waren hiernach bislang nur sehr eingeschränkt möglich. Erforderlich war, dass die getätigten Zahlungen im Interesse der Gläubiger der Aufrechterhaltung realistischer Sanierungschancen dienen. Dies war z.B. für Zahlungen für Wasser, Strom und Heizung sowie Löhne und Gehälter der Fall.

Nach dem COVInsAG gelten nunmehr alle Geschäftsführungsmaßnahmen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Zulässig sind danach sowohl Maßnahmen der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs, als auch Maßnahmen zur Umsetzung eines Sanierungskonzepts. Hierdurch sollen die Geschäftsleiter betroffener Unternehmen in die Lage versetzt werden, alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können, um das Unternehmen im ordentlichen Geschäftsgang fortzuführen.

 

4. Insolvenzverfahren bei Fremdanträgen

Zusätzlich zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Fremdanträgen, d.h. bei von Gläubigern gestellten Insolvenzanträgen, für einen Zeitraum von drei Monaten ab Inkrafttreten des COVInsAG ausgesetzt. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei nach Inkrafttreten des Gesetzes gestellten Fremdanträgen ist danach nur noch möglich, wenn der Insolvenzgrund bereits am 1. März 2020 vorlag. Durch die Neuregelung zu den Fremdanträgen wird für einen Zeitraum von drei Monaten verhindert, dass von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen, die am 1. März 2020 noch nicht insolvent waren, durch Fremdanträge in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden können.

Die Aussetzung der Antragspflicht umfasst im Übrigen auch die ansonsten bestehenden Pflichten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bzw. der zuständigen Aufsichtsbehörden, ihr Antragsrecht gemäß § 46b Absatz 1 KWG, § 43 Absatz 1 KAGB i.V.m. § 46b Absatz 1 KWG, § 21 Absatz 4 und Absatz 5 ZAG und § 312 VAG zu nutzen.

 

5. Privilegierung von Sanierungskrediten (einschließlich Gesellschafterdarlehen)

Das COVInsAG sieht zudem eine anfechtungs- und haftungsrechtliche Privilegierung neuer Sanierungskredite vor.

So gelten Kreditgewährung und Besicherung im Aussetzungszeitraum als nicht sittenwidrig; etwaige Ansprüche z.B. aus § 826 BGB im Rahmen der sog. Lender Liability sind danach ausgeschlossen.

Zudem sind die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite insolvenzanfechtungsfest. Die Regelung schützt die Geber von neuen Krediten, einschließlich von Warenkrediten und anderen Formen der Leistungserbringung auf Ziel. Sie sollen nicht befürchten müssen, zur Rückgewähr zwischenzeitlicher Leistungen verpflichtet zu werden oder den Zugriff auf die bei der Vergabe der neuen Kredite gewährten Sicherheiten zu verlieren, wenn die Bemühungen um eine Rettung des Unternehmens des Kreditnehmers scheitern und deshalb doch ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Zwingend erforderlich ist, dass es sich um einen neuen Kredit handelt. Bei einer bloßen Novation, Prolongation oder wirtschaftlich vergleichbaren Sachverhalten, die etwa auf ein Hin- und Herzahlen hinauslaufen, soll das Anfechtungsprivileg keine Anwendung finden.

Das COVInsAG will auch für Gesellschafter Anreize schaffen, den Unternehmen in der Krise zusätzliche Liquidität zuzuführen. Daher wird auch die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen unter den gleichen Voraussetzungen wie die Rückgewähr von Drittfinanzierungen geschützt. Demselben Zweck dient die Suspendierung des insolvenzrechtlichen Nachrangs von Gesellschafterdarlehen. Auch bei der Ausreichung von Gesellschafterdarlehen muss es sich um neue Kredite im Sinne zusätzlicher Liquidität handeln. Nicht erfasst sind daher Prolongation oder Neuvergabe eines bislang nachrangigen Gesellschafterdarlehens zum Zwecke oder mit der Wirkung einer Rangaufwertung. Ausdrücklich nicht privilegiert wird die Besicherung von Gesellschafterdarlehen aus dem Vermögen der Gesellschaft.

Die vorgenannten Privilegien gelten für Finanzierungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und ihren Finanzierungspartnern oder anderen Institutionen anlässlich der COVID-19-Pandemie gewährt werden, zeitlich unbeschränkt. Das gilt nicht nur für die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bereitgestellten Teile der Finanzierung, sondern auch für die von Dritten bereitzustellenden Teile davon.

 

6. Anfechtungsschutz für Geschäftspartner

Anfechtungsschutz gewährt das COVInsAG daneben auch in bestimmten Fällen, in denen es nicht um die Vergabe von Sanierungskrediten geht. Dies betrifft z. B. Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens aufgrund einer Insolvenzanfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf schnellstem Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde.

Daher bestimmt das COVInsAG, dass die Anfechtung kongruenter Leistungen und Sicherungen – d.h. solcher, die genau wie vereinbart erbracht bzw. gestellt werden – im Aussetzungszeitraum ausgeschlossen ist, wenn dem Empfänger nicht positiv bekannt war, dass die Sanierungs­ und Finanzierungsbemühungen des betroffenen Unternehmens nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Ausdrücklich geschützt werden auch Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber, Forderungsabtretungen statt Barzahlungen und Zahlungen durch Dritte auf Anweisung des betroffenen Unternehmens, weil solche der Leistung des Geschuldeten wirtschaftlich gleichstehen. Auch die Auswechslung einer Sicherheit ohne Erhöhung des Sicherheitswerts wird geschützt, um die betriebswirtschaftliche sinnvolle Verwendung von Sicherungsgegenständen nicht zu behindern. Der Schutz wird auf die Gewährung von Zahlungserleichterungen erstreckt, weil solche die Liquidität des Unternehmens stärken und insoweit ähnlich wirken wie die Gewährung neuer Kredite. Der Schutz einer Verkürzung von Zahlungszielen verfolgt demgegenüber den Zweck, Vertragspartnern einen weitergehenden Anreiz für eine Fortsetzung der Vertragsbeziehungen zu bieten. Wenn z. B. eine Lieferantin oder ein Lieferant betriebsnotwendiger Bauteile nur dann zur Weiterbelieferung des schuldnerischen Unternehmens bereit ist, wenn die bisher in einem Rahmenvertrag vereinbarten Zahlungsfristen verkürzt werden, sollte er nicht allein deshalb zu einer vollständigen Vertragsbeendigung gedrängt werden, weil er sich durch die Vertragsanpassung Anfechtungsrisiken aussetzen würde.

 

7. Inkrafttreten und Geltungsdauer

Das COVInsAG tritt mit Wirkung vom 1. März 2020 in Kraft. Da nicht absehbar ist, ob sich die Verhältnisse in den nächsten Monaten hinreichend stabilisiert haben werden, können die Maßnahmen im COVInsAG durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bis zum 31. März 2021 verlängert werden, wenn dies aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, andauernder Finanzierungsschwierigkeiten oder sonstiger Umstände geboten erscheint.

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Prof. Dr. Nefail Berjasevic<br/>EMBA, LL.M. (NYU)

Prof. Dr. Nefail Berjasevic
EMBA, LL.M. (NYU)

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