Arbeitsrecht02.09.2025 Newsletter
FAQ zur Entgelttransparenz-Richtlinie
Mit der Entgelttransparenzrichtlinie 2023/970/EU versucht der europäische Gesetzgeber die Gender-Pay-Gap zwischen Männern und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit zu schließen. Das Ziel der Herstellung von Entgelttransparenz und Entgeltgleichheit soll unter anderem durch deutlich umfangreichere Pflichten für alle Unternehmen sowie deutlich strengere Konsequenzen bei Verstößen erreicht werden. Die wichtigsten Fragen beantworten wir nachfolgend:
1. Wann tritt die Richtlinie in Kraft und für wen gilt sie?
Die Richtlinie ist am 06. Juni 2023 in Kraft getreten. Bis zum 07. Juni 2026 müssen die Mitgliedsstaaten die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt haben. Die Richtlinie gilt für alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber, unabhängig von der Größe des Unternehmens.
2. Inhalt der Richtlinie
Die Richtlinie enthält folgende Regelungsinhalte sowie Maßnahmen zur Durchsetzung der Ziele:
- Anspruch auf gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit
- Entgelttransparent für Stellenbewerber, d.h. bereits vor Beschäftigung
- Berichtspflichten über das geschlechtsspezifische Lohngefälle
- Individuelle Auskunftsrechte
- Anspruch auf Schadensersatz/Entschädigung
- Verlagerung der Beweislast
- Einführung „wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender“ Sanktionen bei Verstößen
3. Was fällt unter den Begriff des Entgelts?
Unter den Begriff des Entgelts fällt die Grundvergütung, variable Vergütung sowie sämtliche weitere Geld- und Sachleistungen, die durch den Arbeitgeber erbracht werden.
4. Was ist der Unterschied zwischen gleicher und gleichwertiger Arbeit?
Maßgeblich ist die zu verrichtende Arbeit. Gleich ist diese bei identischer oder gleichartiger Tätigkeit. Gleichwertig ist die ausgeführte Tätigkeit, wenn unter Beachtung einer Gesamtheit von Kriterien (siehe nachfolgend) eine vergleichbare Situation vorliegt. Hier werden regelmäßig Arbeitsbewertungssysteme herangezogen.
5. Anhand welcher Kriterien wird das Vorliegen von gleicher oder gleichwertiger Arbeit bestimmt?
Die Basis bilden die folgenden vier Kriterien, die für den jeweiligen Arbeitsplatz und jeweilige Position zu gewichten, auszulegen und anzuwenden sind:
- Kompetenzen (für den Arbeitsplatz relevante Erfahrungen und Fähigkeiten, fachlich/sozial)
- Belastungen (emotional, psychisch, körperlich)
- Verantwortung (Personal, Budget, Gesundheit)
- Arbeitsbedingungen (Hitze, Wärme, Nachtarbeit, Schichtarbeit)
Für große Unternehmen sind weitere Kriterien möglich, sofern dies relevant und gerechtfertigt ist, z.B.:
- Berufliche Anforderungen
- Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsanforderungen
6. Kann der Besitzstand als (vorübergehendes) zusätzliches und taugliches Kriterium herangezogen werden?
Besitzstandregelungen sind jedenfalls für eine Übergangszeit möglich.
7. Wie ist die Gruppe der Vergleichspersonen mit gleicher/gleichwertiger Arbeit zu bilden?
Es sind alle Beschäftigten vergleichbar, deren Vergütung auf einer einheitlichen Quelle beruht („single source“, z.B. Konzern- und Gesamtbetriebsvereinbarungen, Tarifverträge, Vorgaben Konzernmutter). Die Beschäftigten müssen für die Bestimmung der Vergleichbarkeit nicht gleichzeitig beschäftigt sein, sodass auch ein Vergleich mit ausgeschiedenen Beschäftigten in Betracht kommt. Die Vergleichsgruppenbildung ist insoweit in zeitlicher Hinsicht erweitert. Sind keine vergleichbaren Beschäftigten vorhanden, ist vorgesehen, dass andere Beweismittel wie Statistiken oder Hypothesen zum Nachweis einer mutmaßlichen Entgeltdiskriminierung herangezogen werden können.
8. Welche Unternehmen müssen Berichte erstellen?
Hat ein Unternehmen mehr als 100 Beschäftigte, muss regelmäßig wie folgt über das Lohngefälle berichtet werden:
- 100 bis 149 Beschäftigte: Berichterstattungspflicht alle drei Jahre ab dem 7. Juni 2031
- 150 bis 249 Beschäftigte: Berichterstattungspflicht alle drei Jahre ab dem 07. Juni 2027
- Mindestens 250 Beschäftigte: jährliche Berichterstattungspflicht ab Juni 2027
Diese Berichte werden u.a. den Aufsichtsbehörden zur Verfügung gestellt und durch diese veröffentlicht.
9. Wie verläuft die Entgeltbewertung und wie wird die Höhe der Entgeltdifferenz beurteilt?
Es besteht die Pflicht, eine gemeinsame Entgeltbewertung in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern nach einem vorgegebenen Verfahren vorzunehmen (sog. "Joint Pay Assessment").
Voraussetzung:
- Aus der Berichterstattung ergibt sich bei durchschnittlicher Entgelthöhe zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Unterschied von mind. 5 %
- Keine Rechtfertigung nach objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien
- Keine Korrektur durch Arbeitgeber binnen 6 Monaten
10. Was gehört zum „Joint Pay Assessment?“
- Analyse des Anteils der Arbeitnehmer in jeder Gruppe
- Informationen über die durchschnittlichen Entgelthöhen und variable Bestandteile
- Unterschiede bei den durchschnittlichen Entgelthöhen zwischen den Gruppen
- Gründe für Entgeltunterschiede, basierend auf objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien
- Anteil der Arbeitnehmer mit Entgeltverbesserungen nach familiären Auszeiten
- Maßnahmen zur Beseitigung ungerechtfertigter Entgeltunterschiede
- Bewertung der Wirksamkeit vorheriger Maßnahmen
11. Was gilt in Unternehmen mit keiner Arbeitnehmervertretung? Wie verläuft die Entgeltbewertung dort?
Gemäß Erwägungsgrund 43 der Richtlinie sind in Unternehmen ohne bestehende Arbeitnehmervertretung Vertreter durch die Belegschaft zu benennen, um die gemeinsame Entgeltbewertung zu ermöglichen. Wer diese Arbeitnehmervertretung benennt und ob es insoweit einer Urwahl bedarf, regelt die Richtlinie nicht. Insoweit ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten bei der Richtlinienumsetzung ein auf die nationalen Umstände abgestimmtes Verfahren zu entwickeln und auszugestalten.
12. Wie lässt sich die Richtlinie mit dem Datenschutz vereinbaren?
Auch wenn Gehaltsangaben nicht zu den besonderen Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Art. 9 DS-GVO zählen, sind sie als besonders schutzwürdig einzustufen. Die Richtlinie selbst betont ausdrücklich die Einhaltung der DS-GVO (Art. 12 der Richtlinie). Arbeitgeber sind daher verpflichtet, vor jeder Datenweitergabe die rechtliche Grundlage (in der Regel Art. 6 Abs. 1 lit. c DS-GVO), die Zweckbindung sowie mögliche Risiken sorgfältig zu prüfen.
Eine datenschutzkonforme Umsetzung gelingt durch klare Zugriffsregelungen, technische Schutzmaßnahmen, transparente Prozesse und eine nachvollziehbare Dokumentation. So kann die Richtlinie wirksam und zugleich datenschutzgerecht umgesetzt werden. In kleineren Unternehmen ist der Datenschutz besonders herausfordernd: Hier können einzelne Personen aufgrund kleiner Vergleichsgruppen leicht identifizierbar sein. In solchen Fällen dürfen nur die Informationen offengelegt werden, die zwingend erforderlich sind – möglichst anonymisiert oder pseudonymisiert.
13. Kommt auch auf tarifgebundene Unternehmen Arbeit zu?
Die Berichtspflicht sowie die Auskunftspflicht gilt auch für tarifgebundene Unternehmen. Bei tarifvertraglichen Entgeltregelungen galt bislang oft ein sog. „Angemessenheitsindiz“. Dennoch sind auch Tarifverträge nicht zwingend diskriminierungsfrei ausgestaltet, wie einige höchstrichterliche Entscheidungen in der Vergangenheit zeigten. Problematisch ist ferner, dass die Bestimmung „gleichwertiger Arbeit“ bei Tarifverträgen über Entgeltgruppen und deren Bewertungsprinzipien durch die Sozialpartner erfolgt. Diese decken aber womöglich nicht die vier Mindestkriterien der Richtlinie (Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung, Arbeitsbedingungen) vollständig und zureichend ab. Auch fehlen oftmals in Tarifverträgen konkrete Vorgaben für die Ein- bzw. Umgruppierung bei Beförderungen und lassen Spielräume zu, die zukünftig transparent und zumindest nach Maßgabe der vier Mindestkriterien und deren Gewichtung durch den Arbeitgeber ausgestaltet sein müssen. Überdies erhalten Beschäftigte u.U. zusätzliche außer- oder übertarifliche Vergütungsbestandteile, die nach Maßgabe der Richtlinie neu zu bewerten sind. Auch tarifgebundene und tarifanwendende Arbeitgeber sind daher gehalten, ihre Vergütungssysteme auf deren Compliance zu überprüfen.
14. Schreibt die Richtlinie eine Methode zur Entgeltbewertung vor?
Die Richtlinie gibt keine bestimmte Methode zur Entgeltbewertung vor. Die konkrete Ausgestaltung eines solchen Systems bleibt dem Arbeitgeber überlassen. Es wird jedoch empfohlen, ein unternehmensinternes Stellenbewertungssystem zu entwickeln, das auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruht und transparent dokumentiert ist. Viele Unternehmen verfügen bereits über ein solches System zur Stellenbewertung.
15. Was passiert bei Verstößen gegen die Richtlinie?
Die Beschäftigten haben Anspruch auf Schadensersatz, wenn sie aufgrund einer Lohnungleichheit diskriminiert wurden. Liegt die Entgeltlücke in einer Beschäftigungsgruppe bei mindestens 5%, ist der Arbeitgeber verpflichtet eine Bewertung durchzuführen und Maßnahmen zur Beseitigung der Lohnlücke zu ergreifen. Die Mitgliedsstaaten sind zudem gehalten, wirksame und abschreckende Sanktionen gegen die Unternehmen bei Verstößen festzulegen. Die Richtlinie geht dabei soweit, dass auch Aufsichtsbehörden bei Verstößen Eingriffe in Entgeltsysteme vornehmen könnten.
16. Relevanz der Richtlinie in M&A-Transaktionen und Due-Diligence-Prozessen
Auch im Rahmen von Due-Diligence-Prozessen wird nun standardmäßig zu prüfen sein, ob Lohnunterschiede bestehen. Die Ergebnisse der Due Diligence können sowohl den Kaufpreis beeinflussen, als auch die Vertragsgestaltung Post-M&A beeinflussen. Beim Verkauf als solchem könnten Garantien eine Rolle spielen, bei denen der Verkäufer die Einhaltung der Richtlinienvorgaben zusichert.