EuGH bejaht Zugangsansprüche zu digitalen Plattformen: Verfeinerung der Essential-Facilities-Doctrine

Der Europäische Gerichtshof hat im Februar 2025 in einem wichtigen Urteil „Android Auto“ (EuGH, Urteil vom 25.2.2025, C‑233/23) die Anwendung der Essential-Facilities-Doctrine im Kontext digitaler Plattformen präzisiert. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Weigerung eines marktbeherrschenden Unternehmens, die Interoperabilität seiner Plattform mit einer Drittanbieter-App zu gewährleisten, missbräuchlich sein kann. Dabei muss die Plattform für die kommerzielle Nutzung der App durch den Drittanbieter nicht unverzichtbar sein, es reicht bereits aus, dass sie die App für die Nutzer attraktiver macht.

 

Hintergrund der Entscheidung

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand die App JuicePass der Enel-Gruppe. Sie wurde entwickelt, um Fahrern von Elektrofahrzeugen in Italien die Suche und Reservierung von Ladestationen zu erleichtern. Die Enel-Gruppe wollte die App mit Googles Plattform Android Auto interoperabel machen, um das Nutzungserlebnis zu verbessern. Google verweigerte dies jedoch mit der Begründung, dass die Plattform zurzeit nur Multimedia- und Messaging-Apps von Drittanbietern unterstütze und dass Google hohe Kosten für die Entwicklung einer passenden Vorlage für die App entstünden.

Die italienische Wettbewerbsbehörde (AGCM) wertete diese Verweigerung als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und verhängte ein Bußgeld in Höhe von 102 Millionen Euro gegen Google. Google legte Berufung beim Verwaltungsgericht ein, doch auch dieses wies die Klage ab. Der Fall wurde daraufhin dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Kernaussagen des EuGH-Urteils

Der EuGH stellte klar, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen, das die Herstellung von Interoperabilität zwischen seiner Plattform und einer Drittanbieter-App verweigert, hierdurch seine marktbeherrschende Stellung missbrauchen kann. Dabei sei es nicht zwingend erforderlich, dass die Plattform für den Betrieb der App absolut notwendig ist. Vielmehr reiche es aus, wenn die Interoperabilität die App für Verbraucher attraktiver mache und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigere. Dies gelte insbesondere für Plattformen, die auch für den Zugang durch Drittanbieter entwickelt wurden, da in solchen Fällen strengere Anforderungen an die Zugangsverweigerung zu stellen seien als für klassische Infrastrukturen, wie z. B. Häfen, Bahnhöfe oder Energie- und Telekommunikationsnetze, die ausschließlich für den internen Gebrauch eines Unternehmens entwickelt wurden.

Mit dieser Entscheidung weicht der EuGH von der bisherigen Rechtsprechung zur Essential-Facilities-Doctrine ab, die im Bronner-Fall von 1998 etabliert wurde (EuGH, Urteil vom 26.11.1998, C-7/97). In diesem Fall stellte der EuGH fest, dass die Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung durch ein marktbeherrschendes Unternehmen unter anderem nur dann einen Missbrauch darstelle, wenn die Einrichtung für den Geschäftsbetrieb des Antragstellers unverzichtbar ist und es keine wirtschaftlich zumutbare Alternative gibt.

Der EuGH hob im Android Auto-Fall zudem hervor, dass die Weigerung des marktbeherrschenden Unternehmens auch dann wettbewerbswidrige Auswirkungen haben könne, wenn konkurrierende Apps auch ohne einen Zugang zur Plattform erfolgreich seien. Daher müsse im Einzelfall geprüft werden, ob das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens den Wettbewerb auf diesem Markt beeinträchtigen konnte.

Die Verweigerung des Zugangs könne jedoch durch objektive Gründe gerechtfertigt werden, etwa wenn durch die Interoperabilität die Sicherheit oder Integrität der Plattform gefährdet sei. Der EuGH stellte jedoch klar, dass das Fehlen einer spezifischen technischen Vorlage für die App kein ausreichender Grund sei, den Zugang zu verweigern. Das marktbeherrschende Unternehmen sei vielmehr verpflichtet, innerhalb eines angemessenen Zeitraums eine solche Vorlage zu entwickeln. Dabei könne es eine angemessene finanzielle Gegenleistung verlangen, die den Entwicklungsaufwand sowie die Bedürfnisse des Drittanbieters berücksichtigt.

Ausblick

Das Urteil des EuGHs stellt einen Wendepunkt im Hinblick auf den Zugang zu digitalen Plattformen dar. Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung im Bereich digitaler Plattformen können unter bestimmten Bedingungen verpflichtet sein, die Interoperabilität ihrer Plattformen mit Drittanbieter-Apps sicherzustellen, selbst wenn der Zugang für den Drittanbieter nicht absolut erforderlich ist, um am Markt bestehen zu können. Dies gilt insbesondere für Plattformen, die auch für den Zugang durch Drittanbieter entwickelt wurden. Relevant ist dieses Urteil auch im Kontext des Digital Markets Acts (DMA), da es deutlich macht, dass Zugangsverpflichtungen nicht auf bestimmte „Gatekeeper“-Plattformen beschränkt sind, sondern für alle marktbeherrschenden digitalen Plattformen bestehen können.

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Dr. Daniel Dohrn

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