17.05.2021 Newsletter

Whistleblower-Schutz: Gefahr für Geschäftsgeheimnisse oder angemessener Interessensausgleich?

Mit der Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblower-Richtlinie), haben sich die Mitgliedsstaaten auf einen einheitlichen Schutz von Whistleblowern geeinigt, sofern diese Verstöße gegen EU-Recht aufdecken. Die Richtlinie ist bis zum Ende dieses Jahres national umzusetzen.

Sowohl in Deutschland, als auch in Frankreich hat die geplante Umsetzung zu kontroversen Diskussionen geführt. Während einerseits ein über die Richtlinie hinausgehender Schutz gefordert wird, sorgen sich andere um das Wohl der Unternehmen und ihrer Geschäftsgeheimnisse.

So wurde zuletzt Ende April aus der deutschen Presse bekannt, dass Verhandlungen zum Hinweisgeberschutzgesetz innerhalb der deutschen Koalition zwischen SPD und CDU vorerst gescheitert sind.

Ausgleich der gegenläufigen Interessen in nationalem Recht

Die Whistleblower-RL wurde bislang weder in Frankreich noch in Deutschland in nationales Recht umgesetzt. Sie muss bis zum 17. Dezember 2021 umgesetzt werden, sodass von einem Abschluss der Gesetzgebungsverfahren innerhalb der nächsten Monate zu rechnen ist.

Deutschland

Die Umsetzung der Geschäftsgeheimnisschutz-RL erfolgte in Deutschland bereits 2019 durch das Inkrafttreten des Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes (GeschGehG). Das GeschGehG enthält auch eine Sonderregelung zum Schutz von Whistleblowern. Die Vorschrift begrenzt den Geheimnisschutz zugunsten der Meinungsfreiheit bei Vorliegen eines berechtigten Interesses. Bei der Prüfung des berechtigten Interesses ist eine Abwägung zwischen dem grundrechtlich geschützten Unternehmerinteresse an der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen und dem Interesse des Hinweisgebers an der Meinungsäußerung vorzunehmen.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat nun Anfang des Jahres ein Hinweisgeberschutzgesetz entworfen (HinSchG-E). Der Gesetzesentwurf sieht im Vergleich zur Whistleblower-RL insbesondere eine Ausweitung des sachlichen Anwendungsbereichs vor, sodass auch Hinweise auf Verstöße gegen nationales Recht geschützt werden. Der Schutz des Whistleblowers ist jedoch nicht allumfassend: Der Hinweisgeber soll dann keinen Schutz erhalten, wenn er Missstände unmittelbar der Öffentlichkeit preisgibt (§ 31 HinSchG-E) oder Informationen preisgibt, die Gegenstand einer Verschlusssache oder dem richterlichen Beratungsgeheimnis, der ärztlichen oder anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen (§ 5 HinSchG-E). Außerdem haben Hinweisgeber darauf zu achten, dass Geschäftsgeheimnisse auch ihrem Umfang nach nur insoweit weitergegeben werden, wie dies für die Aufdeckung eines Verstoßes erforderlich ist (§ 6 Abs. 1 HinSchG-E). Meldungen, die Geschäftsgeheimnissebeinhalten, sollen nur in den Schutzbereich des Gesetzes fallen, wenn die hinweisgebende Person „hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe oder Offenlegung notwendig ist, um einen Verstoß aufzudecken“.

Bisher stößt der Entwurf allerdings innerhalb der Regierung teilweise auf erhebliche Ablehnung. 

Frankreich

In Frankreich wurde die Geschäftsgeheimnisschutz-RL durch die Loi no.2018-670 relative à la protection du secret des affaires umgesetzt.

Außerdem sieht die Loi Sapin II, seit 2017 eine Pflicht bestimmter Unternehmen vor, Compliance-Programme mit einem Whistleblower-System zu etablieren.

Das Ministère de la justice hat Anfang dieses Jahres Verbände, Organisationen, Gewerkschaften, Berufsverbände und Privatpersonen aufgefordert, Stellungnahmen zur geplanten Umsetzung der Whistleblower-RL abzugeben. Die Ergebnisse sollen nach der Prüfung des Ministeriums in einer Zusammenfassung veröffentlicht werden. 

Zum Hintergrund

EU-Richtlinien für besseren Schutz

Die Europäische Union verfolgt mit der Whistleblower-Richtlinie das Ziel, Hinweisgeber stärker zu schützen. Damit soll ein Anreiz geschaffen werden, dass Rechtsverstöße frühzeitig bekannt und verfolgt werden können. Bisher ist der Schutz von Hinweisgebern in den Mitgliedsstaaten sehr heterogen und teilweise nur partiell bis gar nicht vorhanden. Zwar haben in Deutschland viele Unternehmen im Rahmen ihrer Compliance schon Whistleblower-Hotlines eingerichtet, damit Hinweisgeber Verstöße anonym melden können. Eine rechtliche Pflicht dafür besteht bisher aber nicht. In Frankreich hingegen ist durch die sogenannte Loi Sapin II seit 2017 bereits gesetzlich ein gewisses unternehmensinternes Whistleblowing-Verfahren vorgesehen.

Andererseits hat die EU schon 2016 auch den Schutz von Geschäftsgeheimnissen stärker in den Fokus gerückt. Mit der Verabschiedung der Richtlinie (EU) 2016/943 vom 8. Juni 2016 (Geschäftsgeheimnisschutz-Richtlinie) verfolgt die EU das Ziel, Investitionen und Innovationen in einer wissensbasierten Wirtschaft stärker abzusichern und zivilrechtlich zu schützen. Darüber hinaus soll ein einheitlicher Schutzstandard für Geschäftsgeheimnisseetabliert werden, die aufgrund ihres Wesens nicht dem Regelungsgegenstand von anderen Schutzmechanismen, wie beispielsweise dem Patent oder Urheberrecht unterfallen. Die Vereinheitlichung des Umgangs und des Schutzstandards für Geschäftsgeheimnisseist für eine wissenschaftsgetriebene EU mit Blick auf den Wettbewerb zu anderen großen Wirtschaftsakteuren notwendig.

Mithin verfolgen die beiden Richtlinien unterschiedliche Regelungszwecke: Während die Geschäftsgeheimnisschutz-RL dem Schutz von Geschäftsgeheimnissendient, bezweckt die Whistleblower-RL eine Stärkung des Private Enforcement des Unionsrechts.

Spannungsfeld zwischen Verschwiegenheit und Aufklärung

Bei Meldungen von Whistleblowern besteht oftmals ein Spannungsfeld zwischen den Verschwiegenheitspflichten in Bezug auf Geschäftsgeheimnisse und dem Interesse an der Aufdeckung von Fehlverhalten. Natürlich können Compliance-Verstöße an sich nicht als Geschäftsgeheimnis eingestuft werden. Es besteht aber oft die Frage, wie viele geheimhaltungsbedürftige Inhalte im Rahmen einer Meldung rechtmäßig offengelegt werden dürfen.

Mit Blick auf die voranschreitende Implementierung und Integration von Compliance-Strukturen, insbesondere in mittelständischen und Großunternehmen, verstärkt sich das Bedürfnis nach einem besseren Schutz von Whistleblowern. Missstände sollen sich dadurch nicht zu einem Unternehmensbedrohenden Skandal entwickeln. Das bedeutet aber nicht, dass Unternehmen Geschäftsgeheimnissewenigerstreng Schützen dürfen, um deren Schutz weiterhin sicherstellen zu können.

Der Ausgleich der gegenläufigen Interessen im System der Richtlinien

Die Geschäftsgeheimnisschutz-Richtlinie statuiert die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Rechtsbehelfe zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen abzulehnen, wenn die Offenlegung im Rahmen eines Whistleblowings erfolgt (Art. 5 lit. b) und Erwägungsgrund 20). Eine Voraussetzung dafür ist, dass der Antragsgegner in der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Weitere Vorschriften zum Schutz des Whistleblowers enthält die Geschäftsgeheimnisschutz-Richtlinie nicht. Die Ausgestaltung hatte der europäische Gesetzgeber grundsätzlich den Mitgliedsstaaten überlassen. Durch die Whitsleblowing-RL wird nun ein engerer Rahmen hierfür vorgegeben.

Gemäß den Regelungen in der Whistleblowing-RL, dürfen einem Whistleblower durch die Meldung eines Verstoßes gegen Unionsrecht keine Nachteile wie Entlassung, Degradierungen oder sonstigen Diskriminierungen entstehen.

Auch eine Meldung oder Offenlegung von Informationen, die Geschäftsgeheimnisseenthalten, gilt nach der Whistleblower-RL als rechtmäßig, sofern die Voraussetzung der Richtlinie erfüllt sind. Dabei ist sich der europäische Gesetzgeber des Spannungsverhältnisses zwischen Offenlegung und Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens grundsätzlich bewusst: In die Erwägungsgründe hat er ausdrücklich aufgenommen, dass die beiden Richtlinien als einander ergänzend betrachtet werden sollen.

Ausblick

Es bleibt abzuwarten, wie die nationalen Rechtsordnungen die Whistleblower-RL umsetzen und einen Ausgleich zwischen dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen und dem von Hinweisgebern finden.

In einer (virtuellen) Veranstaltung werden wir uns im Juni mit einem Gast aus Frankreich zu diesem Thema austauschen und freuen uns, viele von Ihnen dazu begrüßen zu dürfen. Weitere Informationen werden wir in Kürze auf unserer Oppenhoff French Desk Seite und bei LinkedIn veröffentlichen.

 

Zurück zur Übersicht

Mareike Heesing<br/>LL.M. (Köln/Paris I)

Mareike Heesing
LL.M. (Köln/Paris I)

Junior PartnerinRechtsanwältin

Konrad-Adenauer-Ufer 23
50668 Köln
T +49 221 2091 320
M +49 172 5798 005

E-Mail

LinkedIn