Energiewirtschaftsrecht09.03.2023 Newsletter

Der Energie-Impuls: Planungssicherheit vs. strenge Regulierung – Anforderungen an grünen Wasserstoff & Co. im Verkehrssektor durch den Delegated Act der EU-Kommission

Es mutet ein wenig wie eine Trotz-Reaktion der EU-Kommission an, als sie am 10. Februar 2023 den delegierten Rechtsakt veröffentlicht, der das regulatorische Rückgrat für eine gesamteuropäische Wasserstoffwirtschaft bilden soll. Denn kurz zuvor hatte das Europäische Parlament den für den 7. Februar 2023 anberaumten „Trilog“ zwischen Kommission, Parlament und Rat für die Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (von RED II zu RED III) abgesagt. Grund: die EU-Kommission hätte den delegierten Rechtsakt nach der aktuell gültigen RED II (Art. 27 Abs. 3) bis zum 31. Dezember 2021 erlassen müssen.

Mit mehr als einjähriger Verspätung kommt sie dieser Pflicht nunmehr nach. Der delegierte Rechtsakt bestimmt für den Verkehrssektor, ab wann aus Strom erzeugte flüssige und gasförmige Kraftstoffe nicht-biologischen Ursprungs als grün gelten. Damit sind neben Wasserstoff auch alle anderen potentiellen Kraftstoffe angesprochen, die durch Strom oder auf Basis von Wasserstoff erzeugt werden können (bspw. Ammoniak, Methanol und E-Fuels). Kraftstoffe aus Biomasse nehmen eine Sonderrolle ein und werden bereits an anderer Stelle der RED II behandelt.

Keine grundlegenden Änderungen im Vergleich zum umstrittenen Entwurf aus Mai 2022

Der jetzt verabschiedete Inhalt weist im Vergleich zum veröffentlichten Entwurf vom 20. Mai 2022 keine grundlegenden Änderungen auf (wir berichteten). Dieser wurde von den deutschen Wasserstoffakteuren vielfach wegen seiner hohen Anforderungen an die Zusätzlichkeit und Zeitgleichheit kritisiert. Diese beiden Begriffe haben zum Inhalt, dass für grüne Kraftstoffe zusätzliche, erneuerbare Stromerzeugungsanlagen (EE-Anlage) errichtet werden sollen und der zur Erzeugung der grünen Kraftstoffe benötigte Strom zeitgleich in einem fest definierten Zeitraum produziert wird, wie die Kraftstoffe selbst. Motiv dafür ist der politische Wille zur Dekarbonisierung des Stromversorgungssystems. Die Europäische Kommission befürchtet, dass ohne die Vorgaben der Zusätzlichkeit und Zeitgleichheit der – durch die Elektrolyseure für die Wasserstofferzeugung erhöhte – Strombedarf aus fossilen Brennstoffen gedeckt würde. Genau diese Vorgaben hielten aber viele Akteure der Branche für zu streng und befürchteten nicht rentable Investitionen in die Erzeugung von Wasserstoff & Co. In der Folge sei der erfolgreiche Wasserstoffhochlauf in Deutschland insgesamt in Gefahr.

Die Vorgaben des jetzt erlassenen delegierten Rechtsakts weichen die Anforderungen an die Zusätzlichkeit und Zeitgleichheit vor allem durch großzügigere Übergangsregelungen auf, bringen jedoch keine wesentlichen Änderungen mit sich. Folgende Änderungen weist der jetzt präsentierte delegierte Rechtsakt im Vergleich zum veröffentlichten und konsultierten Entwurf aus Mai 2022 auf:

Zusätzlichkeit

Wenn der Elektrolyseur mit Grünstrom aus dem allgemeinen Netz betrieben wird, muss ein Stromliefervertrag (PPA) mit einer EE-Anlage abgeschlossen und darf diese EE-Anlage maximal 36 Monate vor dem Elektrolyseur in Betrieb genommen worden sein. Der nachträgliche Zubau von Elektrolyseurkapazitäten kann bis maximal 36 Monate nach der Inbetriebnahme des Elektrolyseurs erfolgen. Insofern ist die Regelung gleichgeblieben, verändert wurde aber die Übergangsphase. Nach dem jetzt veröffentlichten delegated act soll jedenfalls für Grünstrombezug aus dem allgemeinen Netz mittels PPA diese Anforderung an die Zusätzlichkeit erst für ab dem 1. Januar 2028 in Betrieb genommene Elektrolyseure gelten, jedoch bis maximal 31. Dezember 2038. Letztere Frist soll Bestandsanlagen schützen. Sie greift jedoch nicht für den nachträglichen Zubau von Elektrolyseurkapazitäten, hier müssen die Anforderungen ab dem 1. Januar 2028 eingehalten werden. Im Entwurf aus Mai 2022 sollte die Zusätzlichkeit einheitlich ab dem 1. Januar 2027 gelten und war eine Regelung für Bestandsanlagen nicht vorgesehen.

Zeitgleicheit

An der zeitlichen Korrelation zwischen dem erzeugten Wasserstoff und dem dafür notwendigen Strom hält die EU-Kommission fest. Der in der EE-Anlage erzeugte und mittels PPA kontrahierte Strom muss grundsätzlich innerhalb eines definierten Zeitfensters von einer Stunde (one-hour period) durch den Elektrolyseur verbraucht werden. Während die Übergangsphase, in der das Zeitfenster mit einem Kalendermonat großzügiger bemessen ist, im Entwurf aus Mai 2022 bis Ende 2026 gelten sollte, kann nach dem jetzt erlassenen delegierten Rechtsakt die Übergangsphase nun bis zum 31. Dezember 2029 andauern. Die Mitgliedsstaaten können jedoch bereits ab dem 1. Juli 2027 zur one-hour period optieren.

Weitere Änderungen

Auch die Anforderungen an die geographische Korrelation zwischen erzeugtem Wasserstoff und dafür notwendigem Strom müssen weiterhin vorliegen: grundsätzlich dieselbe Gebotszone, wobei die Mitgliedsstaaten aber kleinere Gebotszonen als das ganze Staatsgebiet definieren können. Dies darf dann aber keine negativen Auswirkungen auf die Funktionalität des Elektrizitätsbinnenmarkts haben. Des Weiteren darf der Elektrolyseur bei einem Direktanschluss an die EE-Anlage nun bis 36 Monate nach Inbetriebnahme noch erweitert werden, statt wie zunächst vorgesehen nur bis zu 24 Monate. Gleich geblieben ist hingegen die Regel, dass ab einem Anteil von 90% erneuerbaren Stroms im Strommix einer Gebotszone die Anforderungen an die Zusätzlichkeit und Zeitgleichheit nicht mehr greifen, sondern mittels eines Schlüssels bis zu einer Höchststundenzahl im Jahr grüner Kraftstoff produziert werden kann. Hierbei enthält der delegierte Rechtsakt nun konkretere Vorgaben zur Berechnung des Schlüssels sowie eine Vermutung, dass fünf Jahre nach Erreichen des 90%-Anteils dieser nicht wieder unterschritten wird. Neben dieser Privilegierung bei „Grünstromländern“ gibt es nun aber noch eine weitere Privilegierung, bei der zwar weiterhin ein PPA mit Grünstrombezug aus einer EE-Anlage abzuschließen ist und die Zeitgleichheit vorliegen muss, jedoch die Anforderungen an die Zusätzlichkeit nicht mehr gegeben sein müssen: Wenn die Emissionsintensität des Netzstroms in der Gebotszone unter einem bestimmten Schwellenwert liegt (>18 gCO2eq/MJ). Das ist aktuell vor allem bei einem hohen Anteil an Atomstrom gegeben.

Zeitgleich hat die EU-Kommission einen zweiten delegierten Rechtsakt erlassen, der einen Mindestwert in Höhe von 70 % für die Treibhausgaseinsparungen durch wiederverwertete kohlenstoffhaltige Kraftstoffe und die Methode zur Berechnung der Treibhausgasemissionen festlegt.

Branchenechos verhalten und Zustimmung noch erforderlich

Die bisher veröffentlichten Reaktionen aus der Branche halten sich mit konkreten Meinungen zum delegierten Rechtsakt tendenziell eher (noch) zurück. Vielfach wird die nun bestehende Planungssicherheit gelobt und, dass die für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft notwendige Regulierung gerade in Ansehung des Inflation Reduction Act der USA drängt. Denn dieser sieht verstärkte Finanzmittel für den Ausbau erneuerbarer Energien in den Vereinigten Staaten vor. In Europa kommt die EU-Kommission den Kritikern aus der Wasserstoffwirtschaft durch längere Übergangsphasen zwar entgegen. Grundsätzliche Erleichterung hinsichtlich der Zusätzlichkeit und Zeitgleichheit lässt der verabschiedete delegierte Rechtsakt aber vermissen. Auch die gewährten erheblichen Vorteile für Länder mit einem hohen Anteil an Atomstrom (wie beispielsweise Frankreich) sind umstritten.

Zur finalen Wirksamkeit des delegierten Rechtsakts müssen indessen der Europäische Rat und insbesondere das Europäische Parlament binnen zwei Monaten zustimmen, wobei eine Verlängerung der Frist um weitere zwei Monate möglich ist. Hier könnte es durchaus noch einmal zum Showdown kommen. Denn das Europäische Parlament schien für die Kritik aus der Wasserstoffwirtschaft empfänglicher zu sein. So hat es im September 2022 seinen Standpunkt hinsichtlich der Novellierung der Erneuerbare-Energie-Richtlinie (geplante RED III) dahingehend festgelegt, dass die Anforderungen der Zusätzlichkeit und Zeitgleichheit deutlich weniger streng bemessen sein sollen und die Kompetenz der EU-Kommission zum Erlass des delegated acts – basierend auf der aktuell noch gültigen RED II, Art. 27 Abs. 3 – erheblich beschnitten wird. Auch die Beschränkung auf den Verkehrssektor soll hiernach fallen und die Vorgaben ubiquitär gelten.

Insofern darf die Entscheidung insbesondere des Europäischen Parlaments über den jetzt auf Basis der noch gültigen RED II erlassenen delegierten Rechtsakt mit Spannung erwartet werden.

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Dr. Carmen Schneider

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