BFH zu Unternehmensnachfolge: Weiterhin Vorsicht bei der Vollverschonung

Der BFH hatte im letzten Jahr entschieden, dass bei der Übertragung von Unternehmen auf die nächste Generation für jedes einzelne übertragene Unternehmen (= wirtschaftliche Einheit) die sog. Vollverschonung beantragt werden kann und damit der bisherigen Sichtweise der Finanzverwaltung eine Absage erteilt (Urteil vom 26.07.2022 – II R 25/20). Damit kann für jede einzelne wirtschaftliche Einheit entschieden werden, ob die Regelverschonung oder die Vollverschonung besser ist. Noch nicht absehbar ist, ob sich die Finanzverwaltung dieser Auffassung anschließt. Vorsicht ist daher geboten, wenn mehrere wirtschaftliche Einheiten übertragen werden sollen und von der Vollverschonung Gebrauch gemacht werden soll. 


Steuerpolitisch wird der schenkweise oder erbfallbedingte Übergang von Unternehmen auf die nächste Generation privilegiert. Hierdurch soll vermieden werden, dass es durch die ansonsten bestehende Steuerbelastung zu negativen Auswirkungen bei den übertragenen Unternehmen selbst kommt, beispielsweise durch den erforderlichen Kapitalabzug oder Restrukturierungsmaßnahmen. Für die steuerliche Privilegierung ist daher Voraussetzung, dass genau das nicht passiert und das Unternehmen im Wesentlichen hinsichtlich seiner Kapital- und Personalausstattung erhalten bleibt. Im Rahmen der sog. Regelverschonung können so im Idealfall bis zu 85 % des Unternehmenswerts steuerfrei übertragen werden. Auf Antrag können unter verschärften Voraussetzungen sogar bis zu 100 % steuerfrei übertragen werden (sog. Vollverschonung).

Die einzuhaltenden Voraussetzungen waren im Detail schon immer umstritten und bereits Gegenstand zahlreicher Entscheidungen der Rechtsprechung und Gesetzesänderungen. Dies betrifft immer wieder den Umgang mit dem sog. Verwaltungsvermögen, das nur in sehr engen Grenzen steuerbefreit werden soll. Bei Verwaltungsvermögen handelt es sich prinzipiell um das zwar im Betriebsvermögen befindliche, jedoch nicht für das Unternehmen benötigte Vermögen. Hierunter können zum Beispiel Kunstgegenstände, übermäßige Geldbestände, vermietete Immobilien und Wertpapiere fallen. Der Gesetzgeber möchte vermeiden, dass Vermögen, das nicht dem Unternehmen dient, unter dem Deckmantel seiner Betriebsvermögenszugehörigkeit steuerfrei übertragen werden kann.

Im Rahmen der Erfüllung der besonders strengen Voraussetzungen der Vollverschonung wird verlangt, dass das sog. begünstigungsfähige Vermögen nicht zu mehr als 20 % aus Verwaltungsvermögen bestehen darf.Brisanz entfaltet dies insbesondere immer dann, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die 20 %-Quote überschritten wurde.

Nach bisheriger Verwaltungsauffassung (vgl. R E 13a.21 ErbStR) ist im Grundfall, d. h. der Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit, ein Rückfall auf die Regelverschonung möglich. Das Überschreiten der Quote führt somit lediglich dazu, dass zwar nicht die Vollverschonung, jedoch zumindest die Regelverschonung in Anspruch genommen werden kann.

Werden mehrere wirtschaftliche Einheiten übertragen, ist nach bisheriger Verwaltungsauffassung allerdings nur ein Antrag auf Vollverschonung für alle wirtschaftlichen Einheiten möglich. Wird dieser gestellt und ist die 20 %-Quote in einer einzelnen wirtschaftlichen Einheit nicht erfüllt, kommt weder eine Voll- noch eine Regelverschonung für diese wirtschaftliche Einheit in Betracht. Die Übertragung dieser wirtschaftlichen Einheit ist dann voll steuerpflichtig. Erst dann, wenn die Quote in jeder wirtschaftlichen Einheit überschritten wird, soll zumindest ein Rückfall auf die Regelverschonung möglich sein. Im Einzelfall kann es daher äußerst risikoreich sein, einen Antrag auf die Vollverschonung zu stellen, wenn hinsichtlich einzelner wirtschaftlicher Einheiten noch nicht klar ist, ob die 20 %-Quote eingehalten werden kann. 

Der BFH hat der Verwaltungsauffassung nun teilweise eine Absage erteilt. Dem Steuerpflichtigen sei es unbenommen, für jede einzelne wirtschaftliche Einheit einen Antrag zu stellen oder dies zu unterlassen. Bestehen also Bedenken, dass ggf. die 20 %-Quote hinsichtlich einzelner wirtschaftlicher Einheiten überschritten wird, können diese gezielt von dem Antrag auf Vollverschonung herausgelassen werden und profitieren so zumindest von der Regelverschonung.

Abzuwarten bleibt allerdings, ob die Finanzverwaltung das Urteil übernimmt. Bisher gibt es kein Anzeichen, dass die Finanzverwaltung ihre Verwaltungsauffassung ändert.

Ist ein Antrag auf Vollverschonung geplant und beträfe dieser – nach Verwaltungsauffassung – mehrere wirtschaftliche Einheiten sollte daher geprüft werden, ob und inwieweit Risiken hinsichtlich der Überschreitung der 20 %-Quote bestehen. Gegebenenfalls ist dann die Abstandnahme von einem Antrag auf Vollverschonung die bessere Alternative.

Autoren: Jan Mohrmann (Partner, Steuerrecht) & Lydia Baumann (Wissenschaftliche Mitarbeiterin)

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