Vorsicht bei Compliance-Untersuchungen: Kenntniszurechnung des nicht kündigungsbefugten Compliance-Leiters

Die Beklagte streitet mit dem zuletzt als Vertriebsleiter tätigen Kläger über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie widerklagend geltend gemachten Ermittlungskosten. Dem sonderkündigungsgeschützten Kläger wird vorgeworfen, geheimhaltungspflichtige Bundeswehrdokumente mit vergaberechtlicher Relevanz unberechtigterweise weitergegeben zu haben. Nachdem im Juli 2018 Hinweise auf etwaige Verfehlungen bei der Compliance-Abteilung der Beklagten eingegangen waren, folgte die Einleitung interner Ermittlungen, im Oktober 2018 die Beauftragung einer externen Kanzlei zur Durchführung einer Untersuchung, im Dezember 2018 eine IT-forensische Auswertung sowie von April bis Juni 2019 eine Datensichtung. Die Geschäftsführung erhielt erstmals im September 2019 einen Zwischenbericht, woraufhin dem Kläger binnen 2 Wochen fristlos gekündigt wurde.

Gegen das erstinstanzliche klagestattgebende Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten. Diese blieb erfolglos, da die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB verstrichen sei. Auch wenn vorliegend der Leiter Compliance selbst nicht kündigungsberechtigt war, sei dessen Kenntnis vom Stand der Ermittlungen der Geschäftsführung aufgrund Organisationsverschuldens zuzurechnen. Denn die Geschäftsführung habe nicht sichergestellt, dass sie fortlaufend über den Stand der Ermittlungen informiert wird. Zudem habe der Leiter Compliance eine hervorgehobene Position bekleidet und sei tatsächlich und rechtlich in der Lage gewesen, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt mit Blick auf eine Kündigung zu klären. Die Beklagte vermochte sich auch nicht auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu berufen, da sie selbst interne Ermittlungen eingeleitet habe. Sukzessive Kündigungen seien ab Beendigung des Erkenntnisgewinns im Juni 2019 möglich gewesen, ohne weitere Ermittlungen zu gefährden. Die widerklagend geltend gemachten Ermittlungskosten seien mit Blick auf den Kläger nicht ausreichend individualisiert und anhand konkreter Ermittlungsschritte dargelegt worden.

Die Entscheidung ist von hoher praktischer Relevanz. Gerade bei internen Ermittlungen stellt sich regelmäßig die Frage, wann die 2-Wochen-Kündigungserklärungsfrist in Gang gesetzt wird. Kündigungsberechtigte Personen können sich nicht schlicht „blind und taub“ stellen, sondern müssen – um eine Wissenszurechnung zu vermeiden – organisatorisch „sicherstellen“, zeitnah über Ermittlungsergebnisse unterrichtet zu werden. Auch bei Ermittlungen gegen eine Vielzahl von Arbeitnehmern darf nicht bis zum Abschluss aller Ermittlungen gewartet werden, sondern jeder Vorwurf ist individuell zu betrachten. Ermittlungskosten sind nur ersatzfähig, wenn der Arbeitgeber eine bezogen auf den Arbeitnehmer individualisierte Aufstellung des Aufwands und dessen Erforderlichkeit darzulegen vermag (grundlegend dazu BAG vom 29.04.2021 - 8 AZR 276/20).

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Isabel Hexel

Isabel Hexel

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