Arbeitsrecht03.04.2023 Newsletter

Fachkräftemigration: Neue Rahmenbedingungen für Fachkräfte aus Drittstaaten

Nach der Corona-Pandemie ist der Fachkräftemangel in Deutschland in zahlreichen Branchen anhaltend groß. Verstärkt wird dies zusätzlich durch die Folgen des demographischen Wandels und eine hohe Wechselwilligkeit bei Mitarbeitenden. In unserer Beitragsreihe „Fachkräftemangel“ stellen wir mögliche Maßnahmen vor, dem Fachkräfteschwund im Unternehmen entgegenzuwirken.

2022 lag die Zahl der offenen Stellen in deutschen Unternehmen bei rund 1,98 Millionen – der höchste je gemessene Wert. Will Deutschland trotz des demografischen Wandels sein Erwerbspersonenpotenzial konstant halten, müssten laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) jährlich 400.000 Menschen zuwandern. Doch die Hürde ist hoch, will man als Fachkraft aus einem Drittstaat, also einem Land außerhalb der EU, nach Deutschland einwandern. So brauchen Fachkräfte aus Drittstaaten einen Aufenthaltstitel, der zur Erwerbstätigkeit in Deutschland berechtigt. Dass die Anforderungen für eine Beschäftigung einer Fachkraft aus einem Drittstaat gemessen an dem Bedarf nach wie vor zu hoch sind, hat auch die Bundesregierung erkannt und nun am 29. März 2023 eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes auf den Weg gebracht. Wir erläutern die wesentlichen Punkte der beabsichtigten Gesetzesreform.

Update für die Fachkräftemigration aus Drittstaaten

Mit der am vergangenen Mittwoch durch das Kabinett beschlossenen Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beabsichtigt die Bundesregierung zum einen die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/1883 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2021 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hoch qualifizierten Beschäftigung und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/50/EG des Rates (Blauen Karte EU). Zum anderen sollen durch die Reform neue Wege der Erwerbsmigration geschaffen werden, die die Suche von Unternehmen nach Fachkräften erleichtern und beschleunigen.

Die Bundesregierung stellt mit der Reform die Fachkräfteeinwanderung künftig auf drei Säulen: die Fachkräftesäule, die Erfahrungssäule und die Potenzialsäule.

1. Fachkräftesäule: Erweiterter Zugang zur Blauen Karte EU

Die zentrale Säule deutscher Einwanderungspolitik bleibt weiterhin die Fachkräfteeinwanderung (sog. Fachkräftesäule). Ein in Deutschland erworbener oder anerkannter Abschluss einer Fachkraft ist schon heute der Königsweg für die Migration zu Erwerbszwecken von Drittstaatern nach Deutschland, etwa über die Blaue Karte EU, und soll dies auch weiterhin bleiben. 

Künftig soll ein in Deutschland erworbener Abschluss oder ein bereits anerkannter Abschluss ebenfalls dazu befähigen, jede qualifizierte Beschäftigung in nicht reglementierten Berufen auszuüben. Das heißt: Künftig muss die anerkannte Qualifikation nicht mehr der qualifizierten Beschäftigung entsprechen. Damit wird der Einschätzung von Arbeitgebern, ob eine Qualifikation zu der qualifizierten Beschäftigung befähigt, mehr Gewicht verliehen und dem sich wandelnden Arbeitsmarkt Rechnung getragen.

Für Inhaber der Blauen Karte EU sollen zudem Arbeitgeberwechselvereinfacht werden.

Darüber hinaus sollen für die Blaue Karte EU die Gehaltsschwellen gesenkt werden. Für Regelberufe soll die Mindestgehaltsschwelle für die Erteilung der Blauen Karte EU auf ein Bruttojahresgehalt von 56,6 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung festgelegt werden. Für 2023 wären dies 49.581,60 Euro. Derzeit liegt das Mindestgehalt noch bei ca. 56.800 bzw. 58.400 Euro (2/3 der Beitragsbemessungsgrenze).

2. Erfahrungssäule: Fokus Berufserfahrung

Mit der Gesetzesreform rückt die Bundesregierung auch die Berufserfahrung potenzieller Arbeitskräfte aus dem Ausland mehr in den Fokus, indem die Erfahrungssäule zu einer weiteren Säule der Fachkräftemigration werden soll.

Potenziellen Arbeitskräften soll künftig eine Einwanderung nach Deutschland ebenso ermöglicht werden, wenn sie über einen bislang in Deutschland formal (noch) nicht anerkannten Berufsabschluss verfügen (sog. Aufenthaltstitel zur Beschäftigung mit begleitender beruflicher Anerkennung). Im Rahmen einer sog. Anerkennungspartnerschaft soll der Drittstaater bereits nach Deutschland einreisen können und eine Beschäftigung antreten, und parallel das berufliche Anerkennungsverfahren bei der Bundesagentur für Arbeit durchlaufen (§ 16d Abs. 3a AufenthG-E). Die Möglichkeit der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis setzt u. a. voraus, dass der anzuerkennende ausländische Berufsabschluss im Herkunftsland staatlich anerkannt ist und mindestens zwei Jahr (Vollzeit) Ausbildungsdauer betragen hat. Zudem muss ein Arbeitsvertrag oder ein konkretes Arbeitsplatzangebot für eine qualifizierte Beschäftigung vorliegen, die bis zur Feststellung der Gleichwertigkeit ausgeübt werden soll. Ebenso muss der Drittstaater über hinreichende Deutschkenntnisse verfügen. Arbeitgeber und Drittstaater schließen eine Vereinbarung, dass sie das Anerkennungsverfahren zeitnah nach Einreise beantragen und betreiben.

3. Potenzialsäule: Chancenkarte zur Arbeitsplatzsuche in Deutschland

Nach kanadischem Vorbild sieht der Gesetzesentwurf des Weiteren die Einführung einer sog. Chancenkarte vor und stellt die Fachkräftemigration künftig auf eine weitere dritte Säule, die sog. Potenzialsäule.

Personen, die noch keinen Arbeitsvertrag in Deutschland haben, sollen die Chance erhalten, sich auf Basis der Chancenkarte einen Job in Deutschland zu suchen. Das Potenzial für eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration soll mittels eines Punktesystems ermittelt werden, wobei die Kriterien hierfür u. a. die ausländische Berufsqualifikation, die Sprachkenntnisse (sowohl deutsche als auch englische), die Berufserfahrung, der Deutschlandbezug und das Alter (nicht älter als 40 Jahre) sind.

Sobald der Drittstaater eine Mindestpunktzahl von sechs Punkten erreicht, kann ihm eine Chancenkarte erteilt werden. Diese berechtigt zu einer Beschäftigung von durchschnittlich insgesamt höchstens zwanzig Stunden pro Woche oder zu einer Probebeschäftigung für jeweils höchstens zwei Wochen. Die Karte soll für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr erteilt werden können.

Beschleunigtes Antragsverfahren

Wenngleich die Fachkräftemigration mit der Gesetzesreform breiter aufgestellt werden soll, bleibt ein großes Manko, dass entsprechende Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen mit Erwerbserlaubnis nach wie vor zu lange dauern, bis eine qualifizierte Fachkraft in Deutschland tatsächlich eingesetzt werden kann. So ist es nicht ungewöhnlich, dass entsprechende Verfahren schon einmal bis zu 18 Monate andauern.

Der Gesetzgeber hatte hier bereits bei der letzten Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes im März 2020 das sog. beschleunigte Verfahren gem. § 81a AufenthG eingeführt und damit ein Verfahren geschaffen, mit der die Beantragung eines Aufenthaltstitels gegen Zahlung einer Gebühr fest definierter Fristen für die unterschiedlichen Verfahrensschritte in den zuständigen Behörden unterliegt. Allerdings verhilft auch dieses Verfahren mit einer Gesamtdauer von ca. vier Monaten nicht zu wünschenswerten kurzfristigen Lösungen für Arbeitgeber auf der Suche nach Fachkräften. Zudem ist das Verfahren nach wie vor auf bestimmte Aufenthaltstitel beschränkt, sodass es auch nicht für jede Einstellung in Frage kommt.

Auch wenn die Anerkennungspartnerschaft sicherlich ein weiterer Schritt in die richtige Richtung zu schnelleren Einsatzmöglichkeiten von ausländischen Fachkräften in Deutschland ist, bleibt abzuwarten, ob der Gesetzesentwurf die gewünschten und in der Praxis dringend erforderlichen Erleichterungen schaffen kann. Viel wird weiterhin davon abhängen, wie schnell die zuständigen Behörden entsprechende Anträge bearbeiten können.

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Alexandra Groth

Alexandra Groth

PartnerinRechtsanwältinFachanwältin für Arbeitsrecht

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