Kartellrecht und Fusionskontrolle02.05.2023 Newsletter

Von „Zähnen und Klauen“: Regierungsentwurf zur 11. GWB-Novelle

Nachdem im September letzten Jahres ein erster Entwurf (Referentenentwurf; „Ref-E“) des BMWK über eine Novelle des GWB (sog. 11. GWB-Novelle) veröffentlicht wurde, legte das Bundeskabinett nun am 5. April 2023 nach und verabschiedete einen entsprechenden Regierungsentwurf („GWB-E“) zur Verschärfung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Die Befürworter der Gesetzesnovelle überschlagen sich dabei geradezu mit dentalen Metaphern: von einem „Kartellrecht mit Klauen und Zähnen“ oder einer „Wettbewerbsbehörde mit Biss“ ist die Rede. Wir geben Ihnen einen Überblick, wie der Gesetzgeber die „Zähne“ des Bundeskartellamts schärfen wird.  

Erhebliche Kompetenzerweiterungen der Kartellbehörde im Anschluss an Sektoruntersuchungen

Spätestens seit der Sektoruntersuchung „Raffinerien und Kraftstoffgroßhandel“, die das BKartA im November 2022 als Reaktion auf den explosionsartigen Preisanstieg an der Zapfsäule einleitete, wurde der Ruf nach weiteren regulatorischen Befugnissen zur Zähmung vermeintlicher Profitgier von Unternehmen unüberhörbar. Denn nach bislang geltendem Recht kann die Kartellbehörde im Anschluss an eine Sektoruntersuchung nicht direkt tätig werden, sondern muss Verfahren einleiten und Verstöße gegen die kartellrechtlichen Vorschriften feststellen.

Künftig wird es aber dem BKartA möglich sein, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung direkt unterschiedliche Maßnahmen zu ergreifen – und zwar unabhängig davon, ob ein Rechtsverstoß vorliegt.

  • Neue Eingriffsinstrumente: Stellt das BKartA nach einer Sektoruntersuchung eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ fest, kann es in einem zweiten Schritt künftig gem. § 32f Abs. 3 GWB-E Abhilfemaßnahmen gegenüber den auf dem betroffenen Markt tätigen Unternehmen erlassen. Hierzu gehören beispielsweise die Gewährung des Zugangs zu Daten, Netzen oder sonstigen Einrichtungen, Vorgaben zu Geschäftsbeziehungen oder der Vertragsgestaltung der Unternehmen oder eine organisatorische Trennung von Geschäftsbereichen. Adressaten können grundsätzlich alle auf dem Markt tätigen Unternehmen sein. Vornehmlich sollen jedoch solche Unternehmen betroffen sein, „die durch ihr Verhalten zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen“. Entscheidende Neuerung ist die Tatsache, dass diese Maßnahmen gegenüber Marktteilnehmern erlassen werden dürfen,die nicht gegen Wettbewerbsvorschriften verstoßen haben. Ein rechtswidriges Verhalten der Verfügungsadressaten ist also nicht zwingend notwendig. Allerdings sind die neuen Eingriffsinstrumente subsidiär gegenüber den bereits bestehenden Befugnissen des BKartA. Im Zweifel hat das BKartA also zunächst Maßnahmen gegen Unternehmen zu treffen, die sich kartellrechtswidrig verhalten haben, bevor es die neuen Eingriffsinstrumente anwenden kann.
  • Entflechtungsanordnungen: Als ultima-ratio erlaubt der neue § 32f Abs. 4 GWB-E eine im Einzelfall ausdifferenzierte Entflechtungsanordnung. Adressaten einer solchen Anordnung können allerdings nur marktbeherrschende Unternehmen sein, oder solche, bei denen das BKartA eine überragende marktübergreifende Bedeutung i. S. d. § 19a GWB festgestellt hat. Auch hier ist Voraussetzung, dass eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs“ vorliegt und zu erwarten ist, dass durch die Maßnahme eine Beseitigung oder erheblichen Verringerung der Störung erreicht werden kann. Ein Verstoß gegen Wettbewerbsvorschriften wird hier ebenfalls nicht vorausgesetzt. Schutz vor Entflechtungsanordnungen bekommen aber Unternehmen, deren Zusammenschluss innerhalb der letzten 10 Jahren behördlich freigegeben wurde (§ 32f Abs. 4 S. 10 GWB-E). Der Ref-E sah demgegenüber noch eine Schutzfrist von nur 5 Jahren vor. Ebenfalls neu gegenüber dem Ref-E ist, dass eine Beschwerde gegen Entflechtungsanordnungen aufschiebende Wirkung hat (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 GWB-E).
  • Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse: Liegen nach Abschluss einer Sektoruntersuchung gem. § 32f Absatz 2 GWB-E „objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte“ für eine Behinderung des Wettbewerbs durch künftige Zusammenschlüsse auf dem untersuchten Markt vor, können Unternehmen verpflichtet werden, jeden Zusammenschluss i. S. d. § 37 GWB beim BKartA anzumelden. Voraussetzung ist lediglich, dass der Erwerber im Vorjahr einen Inlandsumsatz von 50 Mio.Euro und die Zielgesellschaft auf dem betroffenen Markt einen Inlandsumsatz von 500.000 Euro erzielt hat. Eine solche Anordnung ist auf 3 Jahre befristet, kann aber jeweils um 3 Jahre verlängert werden. Der neue § 32f Absatz 2 GWB-E ersetzt damit den bisherigen § 39a GWB.

Der Zeitraum zwischen Abschluss und Erlass einer dieser Maßnahmen soll in Zukunft 18 Monate betragen (§ 32f Abs. 7 GWB-E). Gleiches gilt für die Zeit zwischen Einleitung und Abschluss der Sektoruntersuchung (§ 32e Abs. 3 GWB-E). Hierdurch soll gewährleistet werden, dass das Verfahren beschleunigt wird und so Störungen des Wettbewerbs zügig bekämpft werden können. Der Konzeption nach handelt es sich um eine Soll-Frist. Ein Verstoß gegen die Regeldauer hat daher für das BKartA keine rechtlichen Folgen.

Effektivierung der Vorteilsabschöpfung

Des Weiteren soll im Zuge der Novelle das Instrument der Vorteilsabschöpfung gestärkt werden. Diese scheiterte bislang in der Regel an dem Nachweis eines durch den Verstoß erlangten Vorteils. Nunmehr stellt § 34 Abs. 4 GWB-E eine widerlegliche Vermutung dafür auf, dass durch einen Verstoß gegen bestimmte Kartellrechtsvorschriften und Verfügungen des BKartA dem Unternehmen ein finanzieller Vorteil entstanden ist. In der Höhe wird ein Vorteil von mindestens 1 % der inländischen Umsätze der kartellbetroffenen Produkte bzw. Dienstleistungen angenommen, wobei der abgeschöpfte Betrag die Grenze von 10 % der Gesamtumsätze des Unternehmens nicht überschreiten darf.

Widerlegt ist die Vermutung nur, wenn das Unternehmen nachweisen kann, dass es während des Abschöpfungszeitraums keinen Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat. Nicht ausreichend ist dagegen der Nachweis, dass kein wirtschaftlicher Vorteil (hierzu gehören neben finanziellen Vorteilen auch sonstige Vorteile wie etwa eine Verbesserung der Marktstellung oder eine Steigerung des Marktwertes des Unternehmens) oder nur ein geringer Vorteil angefallen ist.

War im Referentenentwurf ursprünglich noch eine Abschöpfungsfrist von 10 Jahren nach Beendigung des Verstoßes vorgesehen, orientiert sich der Regierungsentwurf am derzeit geltenden Status Quo. Das BKartA kann demnach weiterhin nur innerhalb von 7 Jahren nach Beendigung der Zuwiderhandlung die Vorteile für einen maximalen Zeitraum von 5 Jahren abschöpfen, wenn das Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.

Einzug des europäischen Digital Markets Act (DMA) in das GWB

Mit dem im November 2022 in Kraft getretenen DMA verfolgt die EU die Offenhaltung von digitalen Märkten, auf denen sogenannte „Gatekeeper" tätig sind. „Gatekeeper“ sind Unternehmen, die zentrale Plattformdienste bereitstellen und daher als „Torwächter“ für den jeweiligen Digitalmarkt agieren.

Ein dritter wesentlicher Punkt der GWB-Novelle ist es, eine Rechtsgrundlage zur effektiven Verwirklichung dieses Ziels zu schaffen. Zwar bleibt die EU-Kommission die primäre Verfolgungsbehörde, jedoch kann das BKartA künftig in eingeschränktem Maß unterstützend tätig werden. Dazu gehört insbesondere die behördliche Kontrolle der Einhaltung von Verpflichtungen von Gatekeepern nach Art. 5 bis 7 DMA. Geplant sind hierfür zum Beispiel neue Ermittlungsbefugnisse des BKartA (§ 32g GWB-E). Außerdem sieht der Entwurf eine verbesserte Zusammenarbeit von nationalen Gerichten mit der EU-Kommission sowie zwischen BKartA und EU-Kommission hinsichtlich Verstößen gegen den DMA vor.

Weiterhin werden die kartellrechtlichen Anspruchsgrundlagen im GWB im Rahmen der privaten Kartellrechtsdurchsetzung (Beseitigung, Unterlassen und Schadensersatz) auf Verstöße gegen Art. 5 bis 7 DMA erweitert. Kläger werden in diesem Zuge auch von einigen Erleichterungen profitieren, die das „private enforcement“ mit sich bringt. Stellt etwa die EU Kommission einen Verstoß gegen den DMA fest, sind die deutschen Gerichte in Privatklageverfahren hieran gebunden (§ 33b GWB-E). Auch findet eine Zuständigkeitskonzentration bei den Kartellspruchkörpern der Landgerichte statt. Zuletzt kann sich das BKartA jederzeit in ein Gerichtsverfahren als „amicus curiae“ beteiligen und so seine Marktkenntnisse und Einschätzungen einbringen.

Fazit

Mit der 11. GWB-Novelle führt der deutsche Gesetzgeber eine verstoßunabhängige Marktstrukturkontrolle ein – ein Novum im deutschen Kartellrecht. Insbesondere die neuen Eingriffsinstrumente des § 32f GWB-E bedeuten einen erheblichen Machtzuwachs des BKartA.

Ob dieser Schritt tatsächlich erforderlich war, um vermeintliche Lücken bei den Eingriffsbefugnissen der Kartellbehörden zu schließen, darüber wird sicherlich noch länger kontrovers diskutiert werden. Kritische Stimmen sehen unter anderem die Gefahr, dass die neuen Befugnisse des BKartA für politische Zwecke instrumentalisiert werden könnten. Insbesondere die Tatsache, dass fortan unternehmensinternes Wachstum, Effizienz und wirtschaftlicher Erfolg Anlass für behördliche Eingriffe sein können, kann mit Blick auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland gar nicht genug betont werden. Umso schwerer wiegt die Verantwortung der Kartellbehörde, die neuen Machtbefugnisse verantwortungsbewusst einzusetzen.

Damit wird es der Gesetzgeber aber nicht bewenden lassen: Die 12. GWB-Novelle steht bereits in den Startlöchern. Ausweislich des 10-Punkte-Plans des BMWK für nachhaltigen Wettbewerb plant die Bundesregierung unter anderem neue Regeln für Nachhaltigkeitskooperationen zwischen Wettbewerbern sowie einen stärkeren Verbraucherschutz.

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Dr. Daniel Dohrn

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